Recep Tayyip Erdogan hat den Prediger Fethullah Gülen zum Staatsfeind Nummer eins gemacht. Das bekommen auch Lehrer und Schüler zu spüren, denen hierzulande eine Nähe zum Prediger nachgesagt wird.
Hakan Cakar ist ein zuvorkommender Mann. Der 35-Jährige, der im idyllischen Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) aufgewachsen ist, leitet seit 2013 als Geschäftsführer die Carl-Friedrich-Gauß-Schule in Ludwigsburg. Auf den ersten Blick eine ganz normale Bildungseinrichtung im Zentrum der 90 000-Einwohner-Stadt. Die Carl-Friedrich-Gauß-Schule ist jedoch eine der Schulen in Baden-Württemberg, der eine Nähe zu Prediger Fethullah Gülen nachgesagt wird, der von Recep Tayyip Erdogan zum Staatsfeind Nummer eins ausgerufen wurde.
Der türkische Präsident versucht nach dem gescheiterten Militär-Putsch momentan, sein Land von Anhängern Gülens, der im Exil in den USA lebt, zu säubern. Die Situation spitzt sich immer mehr zu, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte bereits davor, der Konflikt in der Türkei dürfe sich nicht auf Deutschland und damit auch nicht auf Baden-Württemberg übertragen.
Zwölf Kinder abgemeldet
In Ludwigsburg ist Cakar momentan täglich mit den Problemen in der Türkei beschäftigt. "Seit dem Putsch wurden zwölf Kinder abgemeldet." Das sind viele, schließlich hat die Schule, unter deren Dach sich eine Realschule und ein Gymnasium befinden, nur 176 Schüler. Sieben Eltern hätten ganz explizit politische Gründe für die Abmeldung angegeben. Einige hätten sogar gesagt, ihr Kind solle "lieber woanders eine Klasse wiederholen", als auf der Carl-Friedrich-Gauß-Schule zu bleiben. Für Cakar ein Beweis, dass viele der Eltern nach den Unruhen in der Türkei verängstigt sind - und ihr Kind deswegen nicht länger auf einer Schule lassen möchten, der eine Nähe zu Gülen nachgesagt wird. Auch an diesem Tag sei wieder ein Vater bei ihm gewesen. "Er hat mich gefragt, ob die Schule jetzt auf einer Liste steht." Eine Liste, die es dem Jungen dann nicht ermöglichen würde, später einmal in der Türkei zu arbeiten. Solche Befürchtungen hört Cakar derzeit fast täglich.
Die politischen Konflikte hinterlassen in Ludwigsburg auch an anderer Stelle ihre Spuren. "Es gab zuletzt auch Schmierereien", so Cakar. Vandalen hätten Sprüche wie "Wählt Erdogan" an eine Außenwand der Schule geschrieben. "Ich habe nach dem Putsch gleich den Kontakt zur Polizei gesucht", erklärt er. Dabei betont Cakar nahezu in jedem zweiten Satz, die Carl-Friedrich-Gauß-Schule lege Wert darauf, dass die Kinder und Jugendlichen neutral unterrichtet werden. "Unsere Schüler bekommen von Gülen überhaupt nichts mit", erklärt er. Auch in Fragen der Religion gebe man sich vorsichtig. "Wir bieten bei uns nur Ethikunterricht an."
Innerhalb der Elternschaft sorgen die politischen Unruhen für Diskussionen. Die Mutter einer deutschen Schülerin erklärt gegenüber unserer Zeitung, sie vertraue darauf, dass die Lehrkräfte auf mögliche Probleme reagieren. "Meine Tochter hat mir gesagt, dass der Konflikt in der Türkei von Klassenkameraden durchaus kontrovers diskutiert wird", erklärt die Ludwigsburgerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Auch eine türkischstämmige Mutter berichtet von einem "mulmigen Gefühl". Jedoch betonen beide Mütter, wie gut die schulischen Bedingungen an der Schule seien.
Im Südwesten gibt es neben Ludwigsburg auch in anderen größeren Städten wie Freiburg und Mannheim Privatschulen, die von Gülen-Anhängern gegründet wurden. Dazu gehören unter anderem auch die Stuttgarter Bil-Schulen, auf die 440 Schüler gehen. "Im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der Türkei haben sich bei uns zwölf Schüler abgemeldet", erklärt Lehrer Alexander Fenselau. Obwohl in der Vergangenheit auch die Gülen-Bewegung immer wieder kritisch betrachtet wurde, sieht der Landesverfassungsschutz derzeit keinen Grund zur Sorge. Die Bewegung sei "kein Beobachtungsobjekt", so ein Sprecher.
"Baut keine Moscheen, baut Schulen." Diesen Satz hat Gülen einmal gesagt. Trotz aller Neutralität gesteht der Ludwigsburger Geschäftsführer Cakar ein, dass er dem pädagogischen Ansatz des Predigers etwas abgewinnen kann. "Wer seinen Dienst an Menschen erweisen möchte, muss in ihre Bildung investieren", so Cakar. So interpretiert er Gülen.
Die immer wieder thematisierte Nähe der Carl-Friedrich-Gauß-Schule zum Erzfeind Erdogans gehe auf ihre Gründung 2007 zurück. "Damals hat Gülen eine große Rolle gespielt", sagt Cakar. Doch heute werde wie an jeder anderen Schule auch nach den Richtlinien und den Lehrplänen des Landes Baden-Württemberg unterrichtet. Dies betont auch der Schulträger aus Ludwigsburg, der "Verein für soziale Zusammenarbeit, Dialog und Integration", auf seiner Internetseite.
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