Ein Weißer will den Ort des Massakers von Wounded Knee verkaufen. Doch die Nachfahren der Sioux-Indianer können seinen Preis nicht zahlen. Es herrschen Unruhen im Reservat Pine Ridge.
Kalte Böen streichen über die offene Kuppe, durch kraftloses Gras. Ein paar Bäume trotzen dem Wind, die Gedenksäule, eine Kapelle. Der Blick geht durchs Friedhofstor Richtung Süden: fahle Landschaft, die leeren, weitgeschwungenen Hügel von South Dakota. Aber die Ruhe trügt. "F . . . Eure Bibeln", prangt auf der blutroten Tür der kleinen Kirche, davor liegt, drohend verrenkt, ein Strohmann aus Kleidern. Die Vergangenheit ist nicht tief begraben in Wounded Knee. Sie ruht in einem betonierten Rechteck, Knochen an Knochen. Ihre Geister quälen die Gegend bis heute.
"Da unten ist es passiert", sagt Linda Hollow Horn und deutet auf eine Fläche am Fuß des Hügels. "250 von Big Foots Leuten wurden hier getötet, vielleicht auch mehr. Unbewaffnet; Männer, Frauen und Kinder." Die 62-Jährige hustet oft. "Ein paar Tage später kam die Kavallerie zurück, überall lagen gefrorene Leichen", sagt sie und zieht ihre Jacke enger. "Sie schafften sie hier oben ins Massengrab." Hollow Horns Urgroßvater ist dem Massaker entkommen, zusammen mit seiner Tochter. Die meisten anderen hatten nicht so viel Glück. "Ihr Blut hat dieses Land getränkt", sagt sie. "Für Nachfahren wie mich fühlt es sich an, als ob man seine Verwandten verkauft."
Erregte Debatte
Das Grundstück am Fuß des entlegenen Friedhofs ist Gegenstand einer erregten Debatte: Am 29. Dezember 1890 fand hier das letzte große Blutvergießen im US-Krieg gegen die Urbevölkerung statt, das Militär schlachtete mehrere Hundert Gefangene ab. Die denkmalgeschützte Stätte liegt im Reservat Pine Ridge - auch damals schon Indianergebiet. Dennoch ging das Land in weiße Hände über. Der heutige Besitzer, Nachfahre polnischer Einwanderer, möchte es nun veräußern.
James Czywczynski hat den Indianern ein befristetes Vorkaufsrecht eingeräumt: 3,9 Millionen US-Dollar für 40 Morgen Prärie. Die hoch verschuldeten Sioux-Indianer sind empört: Ihren Berechnungen zufolge ist das Grasland nur ein paar Tausend Dollar wert. Für sie treibt Czywczynski Wucher, mit einem Kriegsverbrechen und mit Land, das ihm womöglich gar nicht gehört. Der Streit reißt aber noch andere Wunden auf: die Frage, wer überhaupt ein Indianer ist. Czywczynski findet seinen Preis nicht überteuert. Immerhin offeriert er eine National Historic Site - eine historische Stätte von nationaler Bedeutung. Er hat mit Frau und Kindern selbst auf dem Land gelebt, von 1968 bis 1973. "Und es gab zwei Wounded Knees", sagt der 74-Jährige. "1890, als das Massaker stattfand. Und 1973."
"Alles niedergebrannt"
Tatsächlich ist Pine Ridge nicht nur wegen des Verbrechens an den Ureinwohnern ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, sondern auch wegen eines Aufstands: Am 27. Februar 1973 besetzte die militante Bewegung American Indian Movement (AIM) Teile des Reservats, darunter auch Czywczynskis Land. 71 Tage lang lagen sich Staatsmacht und Rebellen gegenüber, auf beiden Seiten gab es Tote. Als sich die Indianer am 8. Mai ergaben, standen die Czywczynskis vor Trümmern: "Wir hatten einen neuen Handelsposten gebaut, ein Geschäft mit Poststelle, ein Zentrum für Kleinkunst", sagt Czywczynski. "Es gab ein Museum, ein Wohnhaus, Fahrzeuge und fünf Hütten." Heute steht dort nichts mehr: "Es war alles geplündert und niedergebrannt."
Czywczynski hat sich berappelt, er wohnt heute in Rapid City. Auf seiner Visitenkarte steht er als Präsident und Geschäftsführer von sieben Unternehmen. Aber er sagt, er müsse an seine Kinder denken: "Ich will das Land nicht versteigern", sagt er. "Mein Vorschlag ist eine Win-win-Situation für beide Seiten: Die Indianer würden das Land bekommen und ich würde für meine Verluste entschädigt."
Pine Ridge ist ein trister Landstrich, er gehört zu den ärmsten der USA. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 89 Prozent, die häufigsten Todesursachen sind Alkoholismus und Diabetes. Bryan Brewer verwaltet vor allem Elend: 91 Prozent der Reservatsbewohner leben unter der Armutsgrenze. Der Stammespräsident sagt rundheraus, dass er kein Geld hat, um Wounded Knee zu kaufen: "Es ist etwas mehr als 7000 Dollar wert", sagt er, "und das würden wir gerne bezahlen, aber Czywczynski droht uns mehr oder weniger, dass es kommerzialisiert werden wird, wenn er es an die falschen Leute verkauft, und das ist genau das, was wir nicht wollen."
Der Stamm der Oglala hat 60 Millionen Dollar Schulden. Brewer sagt, er habe Kontakt zu wohlhabenden Spendern. Aber gehört das Land dem Stamm nicht eigentlich schon? Brewer gehört zwar zu denen, die sich ein Museum vorstellen können, wenn es Arbeitsplätze bringt. Das müssten aber die Nachfahren der Opfer entscheiden. Leider betrachten die sein Gremium nicht immer wohlwollend. "Unsere Verwaltung wurde in den 30er Jahren von der US-Regierung eingesetzt", gibt Brewer zu. "Viele meiner Leute erkennen das nicht an."
Emerson Elk ist einer der letzten im Reservat, die noch Lakota sprechen; sein Großvater entkam als Kind, während Hotchkiss-Kanonen und Gadling-Gewehre niedermähten, was sich bewegte. Aber um zu erklären, warum er weder von Brewers Verwaltung noch vom Stamm überhaupt etwas hält, reicht es nicht, nur über Wounded Knee zu reden.
Keine Bürger der USA?
Der 56-Jährige ist einer der letzten Vollblut-Lakota. Er beruft sich darauf, dass die USA Teilen der Sioux 1868 im Vertrag von Fort Laramie nicht nur ein weit größeres Gebiet als das heutige Reservat zugesichert haben. Der Vertrag war auch das letzte rechtsverbindliche Abkommen zwischen zwei unabhängigen Nationen. Vollblut-Lakota sind für Elk deshalb nicht Bürger der USA, sondern Teil einer unabhängigen Nation mit eigenem Staatsgebiet.
Als männlicher Erstgeborener gehört Elk zu den "Naca" - Häuptlingen, die sich um das Wohlergehen der Lakota kümmern. Aber seine Nation besteht nur noch aus 300 oder 400 Versprengten: Wo immer weißes Blut ins Spiel kam, wurde der Nachwuchs als US-Bürger registriert. Als Indianer galten die Mischlinge dennoch, das berechtigte zum Bezug von Sozialleistungen und zu Grundstückserwerb im Reservat: Bald drückten sie die Vollblut-Lakota an die Wand.
Streit unter den Stämmen
Mit den anderen 28 000 Reservatsbewohnern will Elk deshalb nichts zu tun haben; er nennt sie künstliche Indianer: "Das sind die Nachfahren der Kavallerie und der Händler, die hierher geschickt wurden, um unsere Frauen zu vergewaltigen und zu schwängern", sagt er. "Schauen Sie sich die Nachnamen an!" Brewer ist das englische Wort für Brauer.
Für Elk ist Wounded Knee ein Tatort, an dem nichts verändert werden darf - so lange nicht, bis die US-Regierung das Massaker als Verbrechen anerkennt und der Kongress die Ehrenmedaillen zurücknimmt, die damals an Militärs vergeben wurden. Danach haben weder Weiße mitzureden noch Brewers Stamm.
Kaum jemand im Reservat glaubt, dass ein Verkauf ohne Konsens friedlich abgehen würde: Das Grundstück ist nur durch Indianergebiet erreichbar. Und inzwischen haben sich weitere Lakota-Gruppen zu Wort gemeldet. Sie weisen darauf hin, dass die Opfer von Wounded Knee gar keine Oglala waren, sondern Mnicoujou und Hunkpapa. Die Stämme leben in Nachbarreservaten, wollen aber ebenfalls mitreden. Eine Einigung scheint weiter entfernt denn je: Czywczynskis Ultimatum ist inzwischen abgelaufen, jetzt ist sein Grundstück auf dem offenen Markt.
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Auf dem kleinen Friedhof von Wounded Knee begraben die Lakota bis heute Verstorbene; Linda Hollow Horn schlägt ihren Kragen hoch und wendet sich zum Gehen. Dann hält sie noch einmal inne. "Wir haben einen Brauch", sagt sie neben dem Massengrab, "ein überliefertes Ritual. Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, verschenken oder verbrennen wir seine persönlichen Dinge. Dadurch geben wir seinen Geist frei."
Die Opfer von Wounded Knee hat das Militär verscharrt, ihre Habe ist geraubt oder verschüttet. "Für sie hat es so etwas nie gegeben", sagt Hollow Horn leise, "für mehrere Hundert von uns. Ich glaube, dass ihre Geister hier immer noch sind. Sie durchschweifen das Land."
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