Wandel - Furcht vor Neuem muss nicht sein – seit jeher machen Philosophen und Ratgeber Mut zum Wandel des Gewohnten / Wichtig ist der Blick für eine gewonnene Bandbreite an Möglichkeiten

Die Bewegung als Ziel

Von 
Bärbel Wardetzki
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Die Balance zu finden zwischen Veränderung und Halt ist eine tägliche Herausforderung. Genau das symbolisiert die Pergola im Kloster Neuzelle in der Niederlausitz. © Patrick Pleul

Zwischen den Jahren ist es wieder Zeit, Bilanz zu ziehen - und aus den Erfolgen wie Niederlagen der Vergangenheit neue Kraft zu ziehen für die Zukunft. Wichtig dafür ist die richtige Einstellung.

Wandel gehört zum Leben, auch wenn wir dazu neigen, ihn lieber auszublenden. Und dennoch bleibt nichts, wie es ist. Sowohl wir selbst verändern uns permanent als auch unsere Umwelt. Wir sind daher immer wieder herausgefordert, uns auf neue Situationen einzustellen. Sogar positive Veränderungen wie eine bevorstehende Hochzeit, eine Beförderung oder ein herausforderndes Engagement können uns verunsichern.

Noch schwieriger erleben wir jedoch solche Situationen, in denen wir Abschied nehmen müssen von geliebten Gewohnheiten, von Menschen, die uns nahestanden, von Jobs, die uns bisher Sinn und Selbstwert vermittelt haben, oder von einer durch Krankheit verminderten Kraft, die uns daran hindert, unsere Pläne zu verfolgen.

Die Liste der Beispiele ließe sich unendlich verlängern. Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, wie sie im Moment stattfinden, ist unsere Wandlungsfähigkeit gefragt. Bleiben wir im Alten stecken und versuchen, das Gewohnte krampfhaft festzuhalten, werden wir Probleme bekommen.

Veränderungen als Kränkungen

All diese Erlebnisse wirken nämlich in unserer Seele wie Kränkungen. Wir fühlen uns durch die Veränderungen persönlich getroffen und ungerecht behandelt. „Warum muss das Schicksal gerade mit uns übel verfahren?“ Wir sind zutiefst verunsichert, ohnmächtig und wütend. Im schlimmsten Fall verbittern wir, weil die Situation, in der wir stecken, für uns so nachteilig ist.

Um mit diesen negativen Konsequenzen klarzukommen, sind wir gezwungen, uns auf die neue Situation einzustellen, uns mit ihr auseinanderzusetzen und einen angemessenen Weg zu finden, sie zu akzeptieren. Solange wir im Alten verharren und uns gegen das Neue wehren, behindern und verletzen wir uns selber, nehmen uns die Lebensfreude und verbauen uns die positiven Perspektiven im Leben.

Angst hemmt

„Das einzig Beständige ist der Wandel.“ Dieser Satz des griechischen Philosophen Heraklit ist über 2000 Jahre alt, hat aber seine Aktualität nicht verloren. Alles ist im Fluss („panta rhei“), und nichts bleibt so, wie es ist. Diese Tatsache erleben wir als traurig und beängstigend. Es bedeutet nämlich eine Herausforderung an unsere eigene Veränderungs- und Wandlungsfähigkeit. Andererseits wäre es schrecklich, wenn immer alles beim Alten bliebe. Es würde nichts Neues geschehen, keine Entwicklung, auch keine Verbesserung. Das hieße Stillstand und Tod. Denn das ganze Leben ist Veränderung und Wandlung. Nichts bleibt gleich, nur die Tatsache, dass sich immer alles verändert. Man kann sagen, Leben ist ein stetiger Wandel, ein permanenter Entwicklungsprozess.

Weil uns jede Veränderung Angst macht, verharren wir am liebsten im Alten und wehren uns gegen das Neue. Es ist, als würde unser bisheriges Handwerkszeug nicht mehr ausreichen, wir aber noch kein neues haben. Fehlt uns das Rüstzeug, fühlen wir uns hilflos und ausgeliefert. Wir befürchten, keinen Einfluss nehmen zu können, uns nicht mehr als Handelnde zu erleben und ausgeliefert zu sein. Es geschieht etwas mit uns, wogegen wir uns nicht wehren können.

Sogar bei positiven Veränderungen wissen wir nicht, was auf uns zukommt, ob sie uns zufriedenstellen und gut ausgehen oder nicht. In unserer Angst malen wir uns eine negative Zukunft aus, verbunden mit der Befürchtung, daran zu scheitern. Das ist eine ganz normale Übergangsreaktion, wenn wir mit einschneidenden Veränderungen konfrontiert sind oder Ziele und Einstellungen revidieren müssen. Dass Veränderungen Angst machen, ist aber kein Grund, sich nicht auf sie einzulassen. Nehmen wir die Angst nämlich als Zeichen, dass wir etwas nicht können und lernen müssen, dann kann sie zu einem wertvollen Begleiter werden, der uns hilft, uns Schritt für Schritt in die neue Situation hineinzufinden.

Die andere Seite der Angst sind die Neugier und der Wunsch nach Neuem und nach Veränderung. Wir Menschen brauchen Abwechslung und Stimulation, um uns gut zu fühlen. Sei es, dass wir nicht jeden Sommer an denselben Ort fahren, sondern Lust haben, die Welt zu erobern. Würden wir nur der Angst folgen, würden wir nichts Neues erleben, wenn wir aber die Neugier dazunehmen, wird es uns möglich, unsere Grenzen auszutesten und persönlich zu wachsen. Jeder Schritt, den wir bewältigen, stärkt unsere Kraft und unser Selbstvertrauen. Aus dem heraus erleben wir das Unbekannte positiver und gewinnen ihm sogar etwas Gutes ab.

Das Zitronenbeispiel

„Das Leben gibt dir Zitronen, mach Limonade draus.“ Das ist der Titel des Buches von Stefan Kolle, der nach einer Querschnittlähmung seinen Weg zurück ins Leben beschreibt.

Die Vorstellung, in eine Zitrone zu beißen, ist äußerst unangenehm, denn die Schale ist bitter und der Saft sauer. Wenn ich die Zitrone jedoch ausdrücke, Zucker dazugebe und mit Wasser aufgieße, dann habe ich ein aromatisches Getränk. Die Zitrone bleibt trotzdem eine Zitrone, denn sie wird auch durch positives Denken nicht weggehen. Wir können jedoch einen neuen Blick auf sie werfen und uns fragen, wie man mit ihr umgehen kann, ohne dass sie uns zu sehr schadet.

Die Zitrone ist ein Beispiel für all jene Situationen im Leben, die uns vor negative Konsequenzen stellen. Wir können das, was geschieht, oft nicht ändern, aber wir können unsere Einstellung dazu verändern, um besser damit umzugehen. Nicht selten sind die Zitronen sogar etwas sehr Positives, das uns passiert.

Natürlich endet nicht jede Veränderung positiv, aber es ist besser, nicht zu schnell zu verzagen, sondern dem Schicksal, dem Leben und uns selbst die Chance zu geben, das Positive zu finden - denn das Leben ist manchmal klüger als wir.

Kraft der Gelassenheit

Um die Chance in der Veränderung zu nutzen, brauchen wir die Fähigkeit zur aktiven Anpassung an sich verändernde Bedingungen. Hiermit ist nicht gemeint, sich fatalistisch jeglicher Veränderung hinzugeben, sondern die Bereitschaft, sich nicht gegen das Neue zu wehren, sondern konstruktiv und aktiv damit umzugehen. In vielen Fällen müssen wir von lieb gewonnenen Gewohnheiten oder Vorstellungen loslassen, die nun nicht mehr gelebt werden können. Dazu hilft uns die Gelassenheit, die uns befähigt, Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können, aber dort einzugreifen, wo es uns möglich ist. Wir können es auf die Kurzformel „loslassen und dranbleiben“ bringen.

Wir lassen los, was uns beschwert, halten aber fest an unseren Zielen und dem, was uns stärkt. Loslassen bedeutet nicht zu resignieren, sondern sich von der Vorstellung zu befreien, es möge alles beim Alten bleiben, beziehungsweise von der Idee, wir könnten den alten Zustand wiederherstellen. Indem wir loslassen, befreien wir uns auch von unserem Frust und unserem Schmerz, der mit dem Verlust des Alten verbunden ist. Dranbleiben bedeutet nicht Festhalten am Alten, sondern an der Verwirklichung unserer Ziele, die wir an die veränderte Situation anpassen müssen.

Vom Schock zur Chance

Wird uns beispielsweise gekündigt, weil die Firma umstrukturiert wird, ist das zu allererst ein großes Entsetzen und ein tiefer Schmerz. Loslassen hieße, von der Vorstellung Abschied zu nehmen, bis zur Rente in dieser Firma bleiben zu können. Um jedoch nicht in eine Depression zu verfallen, können wir an der Idee dranbleiben, eine ausgefüllte Arbeit haben zu wollen. Auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung begegnen uns möglicherweise ganz neue Chancen, an die wir bisher nie gedacht haben. Jemand, der sich nur mit Zahlen beschäftigt hat, entdeckt möglicherweise eine kreative Ader, die er in einer neuen Beschäftigung umsetzen kann. Wäre die Kündigung nicht gekommen, hätte er diese Seite von sich nie entdeckt. Und die damit verbundene Erfüllung.

Wandlungen folgen einem bestimmten Muster, das man in vier Schritte unterteilen kann. Zuerst sind wir geschockt, leisten Widerstand gegen das Neue und leugnen es oft sogar, um wie bisher weiterleben zu können. Im Lauf der Zeit brechen immer mehr tiefe Emotionen auf wie Wut und Schmerz, das sogenannte Tal der Tränen. Am tiefsten Punkt kommt es zur entscheidenden Wendung, an der wir loslassen und uns dem Neuen zuwenden. Nun kann eine grundlegende Neuorientierung beginnen.

Zuwachs an Kompetenz

In der dritten Phase fangen wir an nachzudenken und tasten uns an die neue Situation heran. Dabei sind wir mit Irrtümern und Rückschlägen konfrontiert, bis wir die Situation akzeptiert haben und ein neues Verhalten integrieren. Die Folge ist eine innere Veränderung, ein Wachstum und eine erweiterte Kompetenz. Diese Bereicherung unserer persönlichen Erfahrung hilft uns, die neue Situation anzunehmen.

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Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki

  • Bärbel Wardetzki (Bild, Jg. 1952) ist Psychologin, Psychotherapeutin und Autorin.
  • Seit 1992 führt sie in München eine psychotherapeutische Praxis.
  • Sie beschäftigt sich insbesondere mit Essstörungen, Kränkungen und narzisstischen Persönlichkeitsstörungen.
  • Über diese Themen hat Wardetzki zahlreiche Bücher veröffentlicht. Zuletzt von ihr erschienen ist im Europa Verlag das Buch: „Narzissmus, Verführung und Macht in Politik und Gesellschaft“. (red)

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