Museen - Einer französischen Studie zufolge befinden sich 90 Prozent der Kunstschätze außerhalb des Kontinents / Forscher legen Regelungen zur Erstattung vor

„Die afrikanische Jugend hat ein Recht auf ihr Kulturerbe“

Von 
Birgit Holzer
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Es ist ein ewiges Politikum: Wem gehören die Kunstschätze aus den ehemaligen Kolonien? Frankreich zeigt sich jetzt selbstkritisch und könnte sich vorstellen, die aus Afrika verschleppten Werke wieder zurückzugeben.

Die Forderung ist so alt wie die Unabhängigkeit der ehemaligen afrikanischen Kolonien Frankreichs. Lange wurde sie von afrikanischen Intellektuellen oder Politikern geäußert – nie aber von einem französischen Präsidenten. Bis Emmanuel Macron vor einem Jahr in der Hauptstadt von Burkina Faso, Ouagadougou, seine Rede zum Verhältnis Frankreichs zu den einstigen Kolonialstaaten hielt. „Das afrikanische Kulturerbe muss in Paris zur Geltung gebracht werden, aber auch in Dakar, Lagos, Cotonou“, sagte Macron. „Ich will, dass bis in fünf Jahren die Bedingungen für eine temporäre oder definitive Rückgabe des afrikanischen Kulturgutes nach Afrika geschaffen werden.“

Mit einer detaillierten Aufstellung über Art und Ausmaß dieses Kulturerbes wurden die französische Historikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom und Kulturwissenschaftler Felwine Sarr beauftragt. Monatelang forschten sie über den Ursprung von Kunstwerken, die sich überwiegend im Pariser Museum für außereuropäische Kunst Quai Branly befinden, das 2006 der damalige Präsident Jacques Chirac initiiert hat.

Gesetzesänderung empfohlen

Heute wird der Bericht von Savoy und Sarr offiziell veröffentlicht, dessen Inhalt einige französische Medien vorab einsehen konnten. Demzufolge befinden sich 85 bis 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes außerhalb des afrikanischen Kontinents – ein Ungleichgewicht, wie es sonst nirgendwo existiert. Deshalb schlagen die beiden Forscher eine Rechtsänderung hinsichtlich des französischen Kulturerbes vor, das eine Rückgabe auf Antrag eines afrikanischen Staates hin ermöglicht.

Sie empfehlen bilaterale Abkommen, um Kunstwerke jeweils jenen Staaten auszuhändigen, die heute den damals geplünderten Gebieten entsprechen. „Es geht nicht darum, die einen zu bestrafen und alles den anderen zurückzugeben“, sagen Savoy und Sarr. „Aber die afrikanische Jugend hat ein Recht auf ihr Kulturerbe. Die Afrikaner haben nicht einmal Zugang zur Kreativität ihrer Vorfahren.“

Gezählt haben sie rund 90 000 afrikanische Kunstwerke in den nationalen Sammlungen Frankreichs, überwiegend im Museum am Quai Branly. Die meisten dieser Schmuckstücke und Masken, Statuen oder Kultobjekte stammen aus dem subsaharischen Afrika und gelangten zwischen den Jahren 1885 und 1960 nach Frankreich, also während der Kolonialzeit. Den Wissenschaftlern zufolge gab es ein regelrechtes „System“, nach dem über Plünderungen und Diebstähle hinaus Kunstwerke zu Spottpreisen gekauft und dann in Frankreich weitaus teurer wieder verkauft wurden.

Sie hätten die konkrete Geschichte des Erwerbs jedes einzelnen Objektes erforscht, um möglichst neutral und ohne von einer Ideologie geleitet zu sein vorzugehen, sagen Savoy und Sarr. Dennoch gelten viele ihrer Vorschläge als „explosiv“, wie es das Wochenmagazin „Le Point“ formuliert: „Was wird in den Museen bleiben? Werden komplette Bereiche des Quai Branly leer sein?“

Protest gegen Beirat

Der Anwalt Yves-Bernard Debie warnt vor „einer Infragestellung der Geschichte und des Rechts“. Andere befürchten, eine „Büchse der Pandora“ würde geöffnet: Müssten dann nicht auch die vom Italiener Leonardo da Vinci geschaffene „Mona Lisa“ im Louvre oder der aus Ägypten stammende Obelisk auf dem Concorde-Platz in Paris zurückgegeben werden?

Marie-Cécile Zinsou, Direktorin der Kunststiftung Zinsou in Benin, weist daraufhin, dass nicht alle afrikanischen Staaten bereits über die erforderlichen Infrastrukturen und Museen verfügten: „Es heißt nicht, dass die Staaten, nur weil die Möglichkeit offen ist, kämpfen werden, um ihre Objekte zu erlangen. Aber der Ball liegt in unserem Feld.“ Zunächst aber gilt abzuwarten, inwiefern die französische Regierung den Empfehlungen folgt.

Savoy jedenfalls ist auch in Deutschland keine Unbekannte. Die in Paris am Collège de France und in Berlin an der Technischen Universität lehrende Geschichtswissenschaftlerin hatte im Sommer 2017 eine Debatte über den Umgang des zukünftigen Berliner Humboldt Forums mit seinen ethnologischen Sammlungen ausgelöst, die 2019 im Berliner Stadtschloss gezeigt werden sollen. Aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Herkunftsforschung kolonialer Kulturgüter war Savoy dann aus dem wissenschaftlichen Beirat des Humboldt Forums ausgetreten.

Und Sarrs Buch „Afrotopia“, in dem er die Utopie eines selbstbewussten Afrika entwirft, das sich von den Staaten des Westens emanzipiert, erscheint dieser Tage auf Deutsch – der Berliner Verlag Matthes & Seitz hat es für Januar 2019 angekündigt.

Korrespondent

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