Der Nachrichtendienst WhatsApp hat seit seiner Gründung vor sieben Jahren den Umgang der Menschen miteinander deutlich verändert. Wie sehr sich WhatsApp auf den Sprachgebrauch und die Alltagsschrift auswirkt, wird immer öfter auch an Universitäten erforscht.
Wie hat das Handy unsere Kommunikationsgewohnheiten verändert? Wie schreiben wir in WhatsApp-Nachrichten, welche charakteristischen Merkmale gibt es? Ist es möglich, dass dieses Schreiben einen Einfluss auf das Schreiben in der Schule hat?
Das Schreiben am Handy macht mittlerweile einen Großteil unserer Alltagskommunikation aus. Wir organisieren damit unsere Termine, wir informieren Freunde darüber, wo wir gerade sind und was wir tun, oder wir vertreiben uns schlicht damit die Zeit, wenn wir auf den Bus oder den Zug warten. Natürlich stellen sich in Anbetracht dieser Situation verschiedene Fragen: Wohin mag es führen, wenn das Handy immer und überall genutzt wird? Und was ist von einem solchen Schreiben, das oft sehr informell und fehlerhaft ist, zu halten? Hat dieses Schreiben nicht auch Auswirkungen auf das Schreiben in Kontexten, in Situationen, in denen man auf keinen Fall so schreiben sollte (zum Beispiel im Unterricht)?
Viele von uns schauen allzu oft auf das Handy, um keine eingehende Nachricht zu verpassen - und das auch dann, wenn man gerade im Gespräch ist oder andere dies schlicht als unpassend empfinden könnten, wie etwa in einer Arbeitsbesprechung. In diesem Fall kehrt sich die Tatsache, dass die schriftliche Kommunikation diskret ist, in ihr Gegenteil um: Weil die Versuchung allzu groß ist, schnell einmal eine Nachricht zu lesen oder zu beantworten, obwohl es in dem Moment der 'Kommunikette' nicht entspricht, tut man dies - und stört damit die anderen doch.
Handynutzung der Eltern
Meist sind es die Jugendlichen, die man kritisch im Blick hat, wenn es um diese permanente Handynutzung geht. Da ist zum Beispiel von der "Generation Kopf unten" die Rede; davon also, dass Jugendliche auf der Straße mit gesenktem Kopf gehen und ihre ganze Aufmerksamkeit dem Handy widmen.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille; man sollte auch die Frage stellen, wie Eltern das Handy im Beisein ihrer Kinder gebrauchen. So wird zum Beispiel kritisiert, dass es Eltern gibt, die sich auf dem Spielplatz mehr mit dem Handy als mit ihrem Kind beschäftigen. Und auch auf einen anderen Aspekt wird zu Recht aufmerksam gemacht: Eltern posten häufig Fotos von ihren Babys, berichten über deren Entwicklungsfortschritte, Schlafgewohnheiten oder Verdauungsprobleme. Geht das nicht zu weit, müssen Eltern nicht auch die Privatsphäre ihrer Kinder schützen? Auf jeden Fall müssen nicht nur Kinder den kompetenten Umgang mit dem Handy lernen, sondern auch Eltern müssen sich kritisch damit auseinandersetzen und sich in ihrer permanenten Handynutzung disziplinieren.
Informelles Schreiben
Es ist unbestritten: Das Schreiben am Handy, etwa in WhatsApp, genügt nicht den herkömmlichen Anforderungen an schriftsprachliche Texte. Allerdings muss man sich im Klaren darüber sein, dass WhatsApp-Nachrichten anderen Bedingungen unterliegen als beispielsweise Geschäftsbriefe. Im einen Fall handelt es sich um Texte, die in einem dialogischen Kontext stehen, im anderen Fall um Texte, die monologisch ausgerichtet sind. So werden in der digitalen Alltagskommunikation oft Wörter ausgelassen (Was machst du WE?), Substantive kleingeschrieben, Buchstaben und Satzzeichen wiederholt (Super!!!!), und es finden sich zahlreiche Kurzformen (OMG, ILY für "Oh mein Gott" und "I love you").
Zum Teil sind solche Schreibweisen bereits zu Stilmerkmalen geworden; sie können auch die Funktion haben, darzustellen, was in einem Gespräch über die Mimik oder die Intonation zum Ausdruck gebracht würde (Beispiel: wie schaaaade). Auch das schnelle Hin und Her der Nachrichten führt dazu, dass die Schreiber ihre Texte elliptisch formulieren (Wann und wo treffen wir uns heute? - Um 12 an der Uni). In einem Gespräch (Face-to-Face) wäre es geradezu befremdlich, immer in ganzen Sätzen zu antworten; sind beide an der Tastatur und findet die Kommunikation quasi synchron statt (Screen-to-Screen), gilt das analog auch für schriftliche Dialoge.
Piktorales Schreiben
Ein Merkmal des Schreibens rückt jüngst immer mehr in den Fokus: die Verwendung von Bildzeichen. Mittlerweile stehen über Tausend Emojis zur Verfügung. Diese sind in Kategorien unterteilt: Gesichtszeichen (Emoticons), Tiere, Haushaltsutensilien, Freizeit, Fahrzeuge.
Schon ist davon die Rede, das Verwenden von Emojis könnte zu einer neuen "Weltsprache" führen. Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Dagegen spricht zum einen, dass sich die Bedeutung von Emojis je nach Kultur unterscheidet und zum Teil sogar individuell ausgehandelt werden muss.
Während die einen beispielsweise ein Zeichen, das gefaltete Hände zeigt, als Gruß interpretieren, sehen andere darin betende Hände oder ein "high five": . Zum anderen lassen sich komplexe Sachverhalte nicht mit Emojis ausdrücken. Eine Schwierigkeit liegt zum Beispiel darin, dass Emojis fast nur für Substantive stehen. Das macht es schwierig, grammatische Informationen darzustellen (also Singular oder Plural) oder Tätigkeiten zu beschreiben, die in der Regel über Verben ausgedrückt werden. Das zeigt auch der Roman "Emoji Dick", der den Versuch darstellt, "Moby Dick" in Emojis zu übertragen. Der Beginn dieses Roman in "Emoji Dick":
Was mag das wohl heißen? Im Original bei Herman Melville lautet der erste Satz: "Call me Ishmael."
Wie die folgenden beiden Bild-Beispiele zeigen, können Emojis im Text unterschiedliche kommunikative Funktionen wahrnehmen: Im ersten Fall dienen sie zur Illustration der Aussage "Früühlingsgefüüühle", im zweiten Fall tritt das Emoji an die Stelle des Wortes Hase.
Die Frage stellt sich, wie häufig Emojis auf diese Weise als Wortersatz verwendet werden, denn das wäre tatsächlich ein Beleg dafür, dass das piktorale Schreiben immer populärer wird. Mehr Klarheit dazu wird eine große Sammlung von WhatsApp-Nachrichten bringen, die derzeit im Kontext eines Schweizer Forschungsprojekts ausgewertet wird (siehe www.whatsup-switzerland.ch).
Zweifel an Schreibkompetenz
Auch wenn man weiß, dass das Schreiben in der mobilen Alltagskommunikation spezifischen Bedingungen unterliegt, betrachtet man es häufig mit großer Besorgnis. Das verwundert nicht: In unserer Gesellschaft werden nun einmal an das Schreiben andere Erwartungen geknüpft als an das Sprechen.
Fehler, die wir in der Spontaneität eines Gesprächs vielleicht gar nicht wahrnehmen - zum Beispiel in der Grammatik -, sind im Geschriebenen augenfällig; Ausdrucksweisen, die wir im Mündlichen ohne Weiteres akzeptieren würden - zum Beispiel in der Wortwahl -, beurteilen wir in Texten anders. Sie erscheinen uns dann möglicherweise als zu salopp, zu umgangssprachlich oder schlicht als unpassend.
Sieg des Plaudertons
Auch fragen sich viele, ob nicht generell die Schreibkompetenz nachlassen wird, wenn immer mehr Texte geschrieben werden, die in einem Plauderton verfasst sind. Und auch hier stehen wieder die Jugendlichen im Fokus: Können sie noch anders schreiben?
Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die sich mit dieser Frage befassen; erwähnt sei hier nur das Forschungsprojekt "Schreibkompetenz und neue Medien", das unter meiner Leitung stand (siehe www.schreibkompetenz.uzh.ch).
Im Rahmen dieses Projekts wurde das Schreiben im schulischen Kontext mit dem Schreiben in der Freizeit - etwa im Chat - verglichen. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Jugendlichen ohne Weiteres dazu in der Lage waren, situationsangemessen zu schreiben.
Allerdings bildet die Untersuchung einen älteren Stand ab; die Daten wurden in den Jahren 2007 und 2008 erhoben. Inzwischen sind fast zehn Jahre vergangen, und das mobile Schreiben hat immer mehr an Bedeutung gewonnen. Das bedeutet, dass wir immer öfter von unterwegs schreiben - und deshalb, so könnte man vermuten, auch in normgebundenen Kontexten immer mehr Fehler auftreten. Aktuelle sprachwissenschaftliche Untersuchungen dazu stehen noch aus. In einer solchen Untersuchung müssten zum Beispiel schulische Texte von heute mit solchen von der Jahrtausendwende verglichen werden.
Zunehmende Informalisierung
Doch selbst wenn sich Unterschiede zeigen sollten: Es stellt sich die Frage, ob diese tatsächlich auf die mobile Alltagskommunikation zurückzuführen sind.
Dem kann man entgegenhalten, dass sich in unserer Gesellschaft eine zunehmende Informalisierung zeigt - beispielsweise in den Umgangsformen, in der Kleidung, im Sprachgebrauch - und sich dies eben auch im Schreiben niederschlägt - unabhängig davon, wie viel Zeit man am Handy verbringt. Wir dürfen also gespannt darauf sein, wie die Entwicklung weitergeht; auf jeden Fall stellen die neuen Möglichkeiten der Alltagskommunikation die Sprachwissenschaft vor viele neue Fragen.
(Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung an der Universität Mannheim zum Thema Alltags- und Literatur- sprache sowie auf einem im Juli erscheinenden Buch der Autorin)
Christa Dürscheid
Christa Dürscheid (Bild) hat seit 2002 eine Professur für Deutsche Sprache an der Universität Zürich.
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Medienlinguistik.
So untersuchte sie in einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekt, ob die neuen Medien einen Einfluss auf den Sprachgebrauch in der Schule haben.
In diesem Kontext entstand die Monografie "Wie Jugendliche schreiben. Schreibkompetenz und neue Medien" (2010, de Gruyter).
Im Juli erscheint ihr neuestes Buch zu dieser Thematik - "Schreiben digital. Wie das Internet unsere Alltagskommunikation verändert" (Kröner-Verlag) -, das sie zusammen mit Karina Frick verfasst hat. Einzelne Passagen daraus wurden in dem vorliegenden Artikel abgedruckt. (BILD: universität zürich)
Weitere Informationen unter www.ds.uzh.ch/lehrstuhlduerscheid
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