Ein Bagger kippt in eine Kiesgrube. Bei seiner Bergung werden Pfannen, Schwerter, Wagenräder gefunden - Spuren eines Raubzuges. Ein wertvoller Schatz aus dem Altertum.
Es war eine mühsame und gefährliche Wegstrecke für Menschen und Tiere, aber auch eine erfolgreiche. Im vergangenen Sommer hatten germanische Alamannen ihre Dörfer verlassen und waren tief in Feindesland vorgedrungen. Nun, im Sommer des achten Regierungsjahres des Kaisers Gallienus, ziehen schwer beladene Wagen über staubige Straßen wieder zurück. Vor ihnen liegt das letzte Hindernis: der sich in vielen Schleifen windende Rhenus, die Grenze zwischen Römischem Reich und freiem Germanien. Morgen werden sie die Wagen auf flache Boote verladen und übersetzen. Am anderen Ufer wird sich die Wagenkolonne trennen und alle kehren in ihre Dörfer zurück.
Über 1000 Gegenstände
1700 Jahre später: Ein Schwimmbagger kippte 1967 in einer Kiesgrube im verlandeten Altrhein bei Neupotz nördlich von Karlsruhe Kies und Steine auf die Stahlroste - und verbeulte, korrodierte Metallteile. In den folgenden 30 Jahren stoppte der Baggerfahrer oft die Anlage: Über 1000 Gegenstände aus Eisen, Bronze und Silber kamen bei der Kiesförderung ans Tageslicht. Der Rhein gab den größten Metallfund aus der Römerzeit nördlich der Alpen frei. Die Zusammensetzung des über 700 Kilogramm schweren Hortfundes und die Fundlage deuteten auf einen Beuteschatz hin, der einst im Fluss versank. Eiserne Reifen, die hölzerne Speichenräder umspannt hatten, Teile von Achsen und Naben, Beschläge von Wagenkästen, sogar hölzerne Speichen wurden geborgen. Die in ihrer Anzahl einmaligen Wagenteile ermöglichten die Rekonstruktion mehrerer vierrädriger, von Ochsen gezogener Transportwagen. Und gabelförmige Beschläge aus Eisen, befestigt am Ende langer Eichenholzstangen, dienten als Stakstangen für flache Transportkähne. Die meisten Fundobjekte stammten aus dem dritten Jahrhundert nach Christus. Eine genauere Datierung ermöglichten die 39 Münzen, die Schlussmünze wurde von Kaiser Gallienus 258 bis 259 geprägt. Damit schloss sich der historische Kreis.
Das Römische Reich steckte in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach Christus in einer tiefen Krise. Rom führte an allen Grenzen Krieg, an Rhein, Donau und Euphrat. Rheinlegionen wurden in andere Krisengebiete abkommandiert. Die Grenze am Oberrhein war so nicht mehr zu sichern. Die Germanen nutzten die günstige Gelegenheit und überrannten den schlecht geschützten Limes. Ihre Züge nach Gallien hatten nur ein Ziel: Beute. Dazu durchbrachen die Alamannen im Spätsommer 259 wieder den obergermanischen Limes und zogen raubend durch das Elsass nach Gallien ins Rhônetal. Eine Fundgruppe aus dem Schatz zeigt den weiteren Weg. Mehrere große Messer mit geschwungener Klinge und einer charakteristischen Klingenverzierung kennt man nur aus dem Limousin, der zentralfranzösischen Region um Limoges. Hier, in der römischen Provinz Aquitania, überwinterten die Alamannen und traten dann im Frühjahr 260 den Rückweg durch die Westschweiz an. Denn ähnliche Wagenteile wurden auch in der Nordwest-Schweiz um Basel gefunden. Dort requirierten sie neue Wagen für den Transport der Beute. Ob sie letztlich die Tücken des Flusses unterschätzten oder vom Rammsporn eines unverhofft auftauchenden Schiffes der römischen Rheinflotte getroffen wurden, wissen wir nicht. Ein Teil der Beute versank in den Fluten des Rheins.
Einblick in den Alltag
Die über 1000 Fundobjekte geben detailliert Einblick in das Alltagsleben der römischen Provinzialbevölkerung wie auch in die Begehrlichkeiten der germanischen Plünderer. Einfaches Koch- und Küchengeschirr aus Bronze und Eisen wurde in großer Zahl mitgenommen: Eimer, Pfannen, Siebe, Kellen, 50 Kessel. Mehrere Kessel sind so groß, dass sie als Transportbehälter dienten, in die das Beutegut gestapelt wurde. Fünf eiserne Bratpfannen aus dem Burgund hatten platzsparend schon damals Klappgriffe. Das kostbare Tafelgeschirr aus Silber und Bronze - Becher, Kannen, Teller und Servierplatten - war mit Reliefs und Einlegearbeiten geschmückt. Eiserne Werkzeuge waren für die Plünderer von großem Interesse.
Sägen, Zugmesser und Löffelbohrer waren für den Zimmermann, schwere Zangen, Hammer und Amboss für den alamannischen Schmied bestimmt. Viehglocken, Bügelscheren zur Schafschur, Sensenblätter und Dengelamboss fanden daheim in der Landwirtschaft Verwendung. Sie bezeugen den hohen Stand des römischen Handwerks. Es fällt auf, dass sich die Form vieler Werkzeuge seit fast 2000 Jahren kaum geändert hat: Römische Rund-, Flach- und Vierkantfeilen, Bügel- und Gelenkscheren, Fuchsschwanz und Stichsäge finden wir auch heute noch so ähnlich im Baumarkt.
Deutlich wird, dass die Germanen zwar an den römischen Gütern den Gebrauchswert für den eigenen Bedarf schätzten, aber auch deren Materialwert. Edelmetallstücke wurden nicht wegen ihrer künstlerischen Qualität, sondern wegen ihres kostbaren Materials als Rohstoffquelle aufgeladen. Diese Objekte wurden absichtlich zerhackt und unter den neuen Besitzern aufgeteilt, wie das Fragment des mit Reliefs geschmückten Silberbechers oder ein in der Mitte zerschnittener Silberteller zeigen. Das Material sollte dann zu Hause von einheimischen oder römischen Handwerkern neu verarbeitet werden. Ja, auch von römischen. Die Quellen berichten, dass auch Römer den weiten Weg nach Germanien antraten, sicher nicht immer freiwillig.
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