Literatur - In der Autobiografie „My Love Story“ (Meine Liebesgeschichte) erzählt Tina Turner ihr bewegtes Leben – mit großer Aufrichtigkeit

Vom Aschenputtel zum Pop-Superstar

Von 
Oliver Seifert
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Überlebenskünstlerin: Tina Turner (Aufnahme von 2011). © dpa

Als Tina Turner 1976 die Flucht in ein anderes Leben wagt, weil das alte mit Ehemann Ike Turner von Erniedrigung, Gewalt und Ausbeutung geprägt ist, bleibt ihr nach der zähen Scheidung nicht viel mehr als der Künstlername; und die Markenrechte daran besaß eigentlich ihr Ex-Mann Ike. Außerdem besitzt sie noch zwei geschenkte Jaguar-Sportwagen: freiheitliche Symbole einer langen Unfreiheit.

Der Neuanfang sieht so aus: Mittellose 37-Jährige mit vier rüpeligen Söhnchen mietet Haus, leiht Mobiliar und nimmt, irgendwie muss ja Geld verdient werden, jeden noch so kleinen Auftritt in Hotels oder Casinos und jede noch so piefige TV-Show mit.

200 Millionen Tonträger verkauft

Wenn die 78-Jährige nun in der Autobiografie „My Love Story“, unterstützt von den Co-Autoren Dominik Wichmann und Deborah Davis, von ihrem Leben berichtet, dann gern als „Aschenputtel-Märchen“: die erstaunliche Entwicklung vom „naiven Landmädchen zu einer gestandenen Frau“ in äußerst schwierigen Etappen. Doch am Ende eines Märchens geht alles meist gut aus, mit Happy Ends wie hier, die dank harter Arbeit und vielen Entbehrungen verdient wurden.

Zwölf Grammys, mehr als 200 Millionen verkaufter Tonträger, Rock and Roll Hall of Fame, Hollywood Walk of Fame: Doch das Glück der ungemein erfolgreichen Sängerin wäre ohne die große Liebe, die sie im Kölner Musikmanager Erwin Bach fand, nicht vollkommen.

Dass sie für ihn 2013 noch einmal Ja zur Ehe sagt, mit 73 Jahren, ist auch Teil dieses ungewöhnlichen „Aschenputtel-Märchens“, das mit einer Alptraumhochzeit beginnt: in einem schmuddeligen Büro im schäbigen mexikanischen Tijuana, ohne Sekt, ohne Kuss, aber mit anschließender Sexshow im Puff (eine Feier nach Geschmack des Ehemanns). Das Buch endet mit einer Traumhochzeit: auf dem eigenen Schloss am Zürichsee, die Dekoration aus 100 000 Rosen, die Braut im Armani-Kleid, als Kutsche ein weißer Rolls-Royce.

Schläge in der Kindheit

Als sich der deutsche Manager und die US-Sängerin 1986 kennenlernen, erscheint gerade Turners erste Autobiografie „Ich, Tina – Mein Leben“. An dieses erste, halbe Leben, die erste, halbe Wahrheit dockt nun das zweite Buch an, erzählt die Biografie als Überlebensgeschichte weiter und unterschlägt dennoch nicht den (durchaus bekannten) Anfang des Märchens.

Das wilde, optimistische Mädchen Anna Mae, aus der erst später Tina wird, erblickt 1939 in Nutbush, Tennessee, das Licht der sich gerade verdunkelnden Welt. „Ein negatives Karma“ begleitet ihren Weg: ein ungewolltes Kind, das für seine Lebhaftigkeit Schläge erntet, das wegen einer Lernstörung miserabel in der Schule ist und das sich in die Natur zurückzieht, in die harmonische, heile Sphäre der Wiesen, Wälder, Tiere. Mutter und Vater, im Dauerzoff miteinander, verdünnisieren sich nacheinander, 11 und 13 Jahre ist Anna Mae da alt, sie wird bei der gestrengen Oma groß.

Der erste Freund mit 15 bricht ihr das Herz, ein allgemeines Gefühl des Ungeliebtseins manifestiert sich. Ihre Stimme immerhin ist Gabe und Instrument, sie verschafft Gehör und Anerkennung. Die 17-Jährige lernt auf einem Konzert den berühmt-berüchtigten Rock ’n’ Roller Ike Turner kennen, der wegen einer imponierenden Gesangseinlage ein Auge auf sie wirft. Aus einer musikalischen Freundschaft wird mehr, aus ihrer Sicht: leider.

Das unheilvolle Verhältnis beider ist bekannt, und dennoch erschrecken die Schilderungen des fortgesetzten Leidens den Leser aufs Neue. Der Mann als eine Art Zuhälter, der mit den gesanglichen und tänzerischen Fähigkeiten seiner Frau maximalen Profit machen will. Seine Mittel: Gewalt und Psychoterror. Dem Erfolg der Ike & Tina Turner Revue ist alles untergeordnet, die Kinder werden mehr oder minder von Kindermädchen aufgezogen.

Alle Widrigkeiten besiegt

Tina Turners Autobiografie, die nichts auslässt, nichts schönt, lebt von großer Offenheit und tiefer Aufrichtigkeit. Die dezidierte Erörterung der Krankenakte am Schluss (2013 Schlaganfall, 2014 Gleichgewichtsstörungen, 2016 Diagnose Darmkrebs, 2017 Nierentransplantation) ist ein weiteres Zeugnis vom unbändigen Kampf um das eigene Leben. Eine fast acht Jahrzehnte andauernde Schlacht gegen die Widrigkeiten der Existenz.

Tina Turner hat sie, keiner Herausforderung ausweichend, mutig geführt – und für sich (und uns alle) gewonnen. Das lässt sich beeindruckt festhalten nach 320 emotionalen Seiten, wie sie das Leben eben so schreibt.

Tina Turner: "My Love Story - Die Autobiografie", Penguin Verlag, 320 Seiten, 28 Euro

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