Kommentar Darum ist der Bahnstreik völlig unverhältnismäßig

Der Staat muss das Streikrecht gesetzlich regeln und dabei auch Grenzen setzen. Es kann nicht sein, dass GDL-Chef Claus Weselsky die Kundinnen und Kunden der Bahn bundesweit in Geiselhaft nimmt, meint Walter Serif

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Walter Serif
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Und wieder nimmt GDL-Chef Claus Weselsky die Kundinnen und Kunden der Bahn in Geiselhaft. Weselsky muss übrigens nicht – wie er diese Woche erklärte – erst Streiks mit immer kürzeren Vorwarnzeiten ankündigen, um den Menschen zu beweisen, dass die Bahn „kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr“ ist. Diesen täglichen Wahnsinn erleben wir ja auch ohne Streiks in unserem Alltag.

Natürlich ist es das gute Recht der Lokführergewerkschaft, wenn sie für die 35-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich kämpft. In Deutschland herrscht Tarifautonomie. Da hat sich der Staat nicht einzumischen, so weltfremd die Forderung der GDL in Zeiten des Fachkräftemangels auch sein mag.

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Dass sich der Staat aber aus Arbeitskämpfen heraushalten muss, ist umstritten. Schon 1991 hat das Bundesverfassungsgericht eine Einschränkung des Arbeitskampfs nicht ausgeschlossen – falls davon die Grundrechte Dritter verletzt werden. Dennoch ist die Politik untätig geblieben und hat das Streikrecht – und seine Grenzen – nicht gesetzlich geregelt.

Ein fataler Fehler. Deshalb bleibt es in der Praxis den Arbeitsgerichten überlassen, darüber zu befinden, ob Streiks angemessen sind. Weil die Deutsche Bahn schon mehrmals mit ihren Eilanträgen gescheitert ist, verzichtet sie inzwischen auf den Gang vors Arbeitsgericht.

Warum nur? Claus Weselsky verstößt mit seiner neuen Streiktaktik immer krasser gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Er nutzt es gnadenlos aus, dass seine GDL mit relativ geringen finanziellen Kosten bundesweite Streiks anordnen kann, die in Bereiche eingreifen, die zur Daseinsvorsorge gehören.

Das ist deshalb kein normaler Arbeitskampf mehr. Der Staat muss den Menschen die öffentliche Dienstleistungen wie Energie und Wasser bereitstellen, auf die niemand verzichten kann. In unserer mobilen Gesellschaft gehört natürlich auch der Verkehr zur Daseinsvorsorge.

Die Infrastruktur muss also geschützt werden – und schon sind wir wieder beim Urteil des Verfassungsgerichts. Die GDL greift mit ihrem Streik massiv in unsere Grundrechte ein. Sie will ja praktisch ganz Deutschland lahmlegen. Wer kein Auto hat oder nicht mit dem Rad oder zu Fuß zur Arbeit gehen kann, muss zu Hause bleiben. Homeoffice geht auch nicht überall. Lohn gibt es dann keinen. Den Schaden tragen die Beschäftigten und die Unternehmen, ja die ganze Volkswirtschaft. Einzelinteressen einer kleinen Gewerkschaft werden über das Gemeinwohl gestellt.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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