Roman - Christian Torklers Debüt „Der Platz an der Sonne“ entwirft ein etwas anderes Zukunftsszenario

Flucht unter umgekehrten Vorzeichen

Von 
Hans-Dieter Füser
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Schreibt über Migration: Christian Torkler. © Annette Hauschild/ Ostkreuz

Christian Torkler stellt die Welt auf den Kopf. In seinem Erstlingsroman „Der Platz an der Sonne“ ist nicht Europa der Sehnsuchtsort für die Flüchtlinge dieser Welt, sondern das in der Realität rückständige, in der Fiktion besser entwickelte Afrika. Es handelt sich um eine unter Historikern beliebte „Was wäre, wenn …?“-Geschichte, nur in literarischer Form. Torkler (Jahrgang 1971) geht von einer alternativen Entwicklung nach 1945 aus. Damit vergleichbar dem Debüt von Robert Harris, „Vaterland“ von 1992, wenn auch unter komplett anderen Vorzeichen.

Bei Torkler bleibt Hitler nicht an der Macht, sondern der reale kalte Krieg der Supermächte mündet bei ihm in einen heißen. In beiden Fällen handelt es sich quasi um Science Fiction mit der Perspektive in die Vergangenheit. Nur dass Torklers Debüt politisch grobmaschig gestrickt ist. So fehlt etwa eine detailliertere Erklärung, warum sich aus dem realen postkolonialen Afrika ein entwickelter Kontinent („Afrikanische Union“) vergleichbar der Europäischen Union entwickeln konnte – inklusive Reisefreiheit und einheitlicher Währung („Afro“). Geschildert wird eine verdrehte Welt, die ihren Ursprung im Krieg zwischen West- und Ostblock hat. Ein Großteil der kriegswichtigen Produktion wird ausgelagert – der Osten nutzt Sibirien, der Westen afrikanische Kolonien. Damit geht ein Transfer von Wissen und Fachkräften einher, was zum Aufstieg Afrikas führt. Eine gewagte These.

Etwas mehr als die Hälfte des Romans verwendet der Autor darauf, in schnoddrig-lakonischer Sprache zu beschreiben, was seinen Protagonisten Josua Brenner dazu bewegt, die Neue Preußische Republik, einen von sechs deutschen Teilstaaten, zu verlassen, um in Afrika sein Glück zu suchen. Die unter den Folgen mehrerer Kriege leidenden deutschen Länder sind gekennzeichnet von Armut, Misswirtschaft, Versorgungsengpässen, Korruption und einer überbordenden Bürokratie, die jede unternehmerische Initiative zu ersticken droht.

Als Brenner eine Bar eröffnen will, zeigt sich dies in einer überdrehten, aber gerade deshalb anschaulichen Form. Oppositionelle landen schon mal als Leichen im Landwehrkanal, Demonstrationen werden mit Gewalt erstickt. Auch die private Situation eskaliert, der Sohn stirbt, die Ehe scheitert. Doch es gibt Hoffnung, und sie liegt „im Süden“.

Der eigentlich spannendste Teil des Buches, die Flucht nach „Tanganyika“ (entspricht in etwa Tansania), fällt dagegen in Umfang und Dichte deutlich ab. Die Beschreibung des abenteuerlichen Wegs von Berlin nach Matema, wo ein Kumpel Brenner erwartet, wirkt zu oberflächlich. Bis hin zum lapidaren Ende. Die Dinge werden quasi abgehakt. Die Recht- und Heimatlosen sehen sich unterwegs einer rücksichtslosen Ausbeutung ausgesetzt, sie erfahren aber auch Hilfe und Menschlichkeit. Hier ergibt sich im Roman eine Unwucht.

Alternativer Verlauf

Indem Torkler einen alternativen Verlauf der Geschichte skizziert, hält er uns den Spiegel für den Umgang mit Migranten – und letztlich die Alternativlosigkeit der gerade unter Druck stehenden multilateralen Weltordnung – vor. Alles sozusagen unter umgekehrten Vorzeichen. Nur wird dieser Gegenentwurf nicht einmal in Ansätzen geschildert. Geschweige denn erklärt. Gerade in Zeiten des „Amerika-zuerst“-Präsidenten Donald Trump eine verschenkte Chance.

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