Im Garten meines Vaters ist kein noch so kleiner Platz mehr frei. Alles – bis auf die Gurken und den einen Kürbis – ist dieses Jahr hervorragend angegangen und gewachsen. Die Fülle des Herbstes, die Fülle der Ernte ist dieses Jahr besonders groß.
Mein Vater weiß kaum noch aus und ein, wohin mit dem ganzen Gemüse. So viel kann er und die Familie nicht essen, und die meisten, denen er etwas schenken möchte, lehnen dankend ab, haben sie doch selbst gerade Gemüse im Überfluss.
Es heißt, richtig mit dieser Fülle umzugehen. Früher war das anders: Lange Zeit war nur Kohl das Wintergemüse, da es als einziges haltbar gemacht werden konnten. War man es früher gewohnt, das Angebot der jeweiligen Jahreszeit zu nutzen, so fällt uns dies heute nicht mehr so leicht. Wir sind es gewohnt, alles immer dann kaufen zu können, wenn wir es wollen und nicht, wenn die Zeit dafür da ist: Erdbeeren im Februar, Spargel an Weihnachten. Das geht nur, wenn man dabei auf den Gedanken der Nachhaltigkeit verzichtet. Aber genau das ist ja der Punkt: Der Wechsel zwischen der Fülle der Ernte im Garten und der langen Zeit des Winters und der fast genauso langen Zeit des Wartens auf die Ernte gilt es auszuhalten. Es geht darum, nachhaltig mit der Ernte des Gartens umzugehen.
Ort der Verheißung
Zum einen geht es bei der Nachhaltigkeit um die Ernte dieses Jahres, die bis zum Frühjahr des nächsten Jahres genutzt werden soll, zum anderen geht es auch um die Nachhaltigkeit der Ernte für viele Jahre. Wie soll der Garten angelegt sein, wie soll was wann wo gepflanzt werden, dass der Boden nicht zu sehr auslaugt, die Pflanzen sich gegenseitig unterstützen und der Garten noch viele Jahre ertragreich ist.
Schon zu Beginn der Bibel wird der Garten als Ort der Verheißung und Erfüllung genannt. Aber es ist nicht nur der Garten Eden, der die Menschen in der wasserarmen Gegend des Nahen Ostens begeistert. Immer wieder sprechen die Propheten von Gärten, Weinbergen, blühenden Wiesen und reichhaltigen Feldern, wenn sie die Erfüllung der menschlichen Hoffnungen ausdrücken wollen.
Diese Gärten sind ein Geschenk an die Menschen, aber auch ein Auftrag, diese Gärten weiter zu nutzen, zu hegen, zu pflegen. Der Weinberg Gottes soll volle, süße Reben bringen, nicht nur einzelne saure Schrumpftrauben. Ein (Nutz-)garten macht Arbeit, gerade zur Erntezeit, das Ziel und dem Höhepunkt des Gartenjahres. Er zeigt das Ergebnis der Mühe, die man von der Aussaat an investiert hat.
Uns allen ist die Erde als Garten anvertraut. Wir sollen sie hegen und pflegen, damit sie noch viele, viele Jahre von den Menschen genutzt werden kann und sie Heimat gibt. Doch zurzeit erleben wir, dass die Menschheit mit der Erde verantwortungslos umgeht. Die Klimaerwärmung wird in wenigen Jahren zur Katastrophe werden, wenn wir nicht jetzt sofort gegenlenken.
Kürzlich hat Papst Franziskus mit Vertretern aller christlichen Konfessionen, des sunnitischen und schiitischen Islam, Judentums, Hinduismus, Sikhismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus, Zoroastrismus und des Jainismus einen Appell an die Politik unterzeichnet, dass nur noch zehn Jahre bleiben, die Klimakatastrophe abzuwenden. Hoffentlich trägt dieser Appell dazu bei, dass die Erde als unser Garten erhalten bleibt und die Fülle der Ernte endlich für alle Menschen erfahrbar wird.
Pastoralreferent Seelsorgeeinheit Ma-Nord Volker Imgram,
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