Sachbuch - Zur aktuellen Ausstellung im Badischen Landesmuseum ist der umfangreiche Katalog „Mykene. Die sagenhafte Welt des Agamemnon“ erschienen

Antike Großmacht in strahlender Pracht

Von 
Hans-Dieter Füser
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In Karlsruhe zu sehen: Bodenfragmente aus dem Palast von Tiryns. © dpa

Wer jemals auf der Akropolis von Mykene gestanden und einen Blick über die eher karge Landschaft geworfen hat, wird die Menschen vor mehr als dreieinhalb Jahrtausenden kaum verstehen: Was hat sie bloß bewogen, genau hier das Zentrum einer Großmacht zu errichten?

Und doch zeugen die Ruinen von Mykene, das gemeinsam mit dem nahen Tiryns seit 1999 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, bei näherem Hinsehen von Stolz, Macht und Reichtum der damaligen Herrscher. Die bis zu sieben Meter dicken Mauern seien von Kyklopen – einäugigen Riesen aus der griechischen Mythologie – errichtet worden. Allerdings schrieb Pausanias, ein griechischer Reiseschriftsteller und Geograf (etwa 115-180), dies mehr als 14 Jahrhunderte nach dem Untergang der Kultur.

Wirklich wissen konnte er das naturgemäß nicht, lebte er doch zeitlich von den Mykenern etwa so weit entfernt wie wir heute vom frühen Mittelalter. Die Kenntnis über die Zeit der Mykener, deren Blütezeit etwa zwischen 1600 und 1200 v.Chr. zu datieren und deren Geschichte eng mit Troja und dem Trojanischen Krieg verknüpft ist, hatte sich längst verflüchtigt. Hier für ein breiteres Publikum etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, hat sich das Badische Landesmuseum in Karlsruhe jetzt in einer fulminanten Ausstellung zur Aufgabe gemacht. Nicht weniger gelungen ist der dazu gehörige Katalog, der – farbenprächtig und detailreich – die damalige Zeit wieder lebendig werden lässt.

Untergang der Kultur ungeklärt

Dabei benennt er auch deutlich Wissenslücken – wie sie beispielsweise das Ende der Kultur kurz nach 1200 v.Chr. betreffen. Ereignisse, die lange völlig unzureichend als „Seevölkersturm“ bezeichnet wurden, rissen tatsächlich Gebiete des gesamten östlichen Mittelmeers zwischen 1194 und 1186 v.Chr. in den Abgrund. Mykener, Hethiter und eine ganze Reihe von Kleinstaaten verschwanden von der politischen Landkarte. Erst der ägyptische Pharao Ramses III. konnte die Invasoren in einer Doppelschlacht zu Land und zur See stoppen.

Es ist ein ungemein spannendes Kapitel einer Geschichte, die bis heute nur ganz grob nachvollzogen werden kann, was der entsprechende Aufsatz von Reinhard Jung, Privatdozent an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, auch deutlich sagt. (Wer sich eingehender mit dieser Periode auseinandersetzen will, dem sei das ausgezeichnete Buch „1177 v.Chr.“ von Eric H. Cline empfohlen. Für den Katalog hat Cline einen Aufsatz über „Handel und Handelsrouten“ beigesteuert.)

Der Katalog ergänzt auf wunderbare Weise den Bildband „Mykenische Paläste“, der 2017 ebenfalls im Verlag Philipp von Zabern erschienen ist. Beide punkten mit der Bildauswahl und den zahlreichen Karten, die etwa die Verbreitung der Kultur aufzeigen, die sich keineswegs auf das griechische Festland beschränkte. Da die Mykener selbst keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben, sind wir neben späteren Quellen vor allem auf die Archäologie angewiesen.

Berühmt durch Kunsthandwerk

Ob es einen Herrscher namens Agamemnon – außerhalb der Dichtung Homers – jemals gegeben hat, ist bestenfalls zweifelhaft. Wir wissen es einfach nicht. Der gewichtige und empfehlenswerte Katalog bietet jedoch neben einer Reihe fundierter Aufsätze einen wunderbaren Querschnitt über die archäologischen Artefakte, die seit den ersten Ausgrabungen durch Heinrich Schliemann, dem der griechische Archäologe Georgios Stylianos Korres ein eigenes Kapitel gewidmet hat, bis jetzt gemacht wurden.

Vor allem verliert der Katalog auch nicht die „einfachen Leute“ aus dem Blick. Sie seien sauer auf ihre Herrscher gewesen, so steht es im Katalog, wegen deren ausschweifenden Lebensstils – und weil sie die Kunsthandwerker für sich schuften ließen. Als Exportschlager galten Produkte mykenischer Töpferkunst wie beispielsweise die Bügelkannen, von denen einige in Karlsruhe zu sehen sind. Belegt sind ihre Ausfuhren nach Ägypten, Sizilien und Süditalien.

Insgesamt bietet der Band einen fundierten Einblick in die Welt der Mykener. Ein mehr als 20 Seiten umfassendes Literaturverzeichnis ermöglicht zudem die weitergehende Beschäftigung mit einem spannenden und noch längst nicht umfassend erforschten Thema.

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