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Konvertiert - mein Weg zum Glauben

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Giovanni kommt zum Gebet regelmäßig in die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee.

© Fischer

Bei vielen lösen sie Skepsis aus: Menschen, die ihren Glauben wechseln. Doch was bewegt Konvertiten zu diesem Schritt? Eine Spurensuche in den Moscheen und der Synagoge Mannheims.

Als Hannah noch Christiane Anna Selter hieß und 20 Jahre alt war, erkannte sie, dass es in ihrer Welt einen Gott gibt. Bei einem Abendspaziergang setzte sich die junge Frau auf eine Bank unter einem Baum. Einen Bussard, einen Windstoß, mehr brauchte es nicht, und die katholisch getaufte Atheistin machte sich auf die Suche. "Ich weiß, das klingt seltsam", sagt die heute 56-Jährige mit den kurzen dunklen Haaren, lacht und nippt zum ersten Mal an diesem Abend an ihrem Rotwein. Dass die Suche länger als ihr bisheriges Leben dauern würde, war der 20-Jährigen damals auf der Parkbank nicht klar. Doch schließlich wurde sie fündig: Vor einem Jahr konvertierte sie zum Judentum und nennt sich seitdem Hannah. "Jetzt habe ich meinen Platz im Glauben gefunden."

Anja A. hat diesen Platz ebenso gefunden, auch wenn ihr Weg ein anderer war. Das arabische Gebäck auf dem kleinen Holztisch vor ihr duftet süßlich. Barfuß sitzt sie mit 15 Mädchen und jungen Frauen im sonntäglichen Islamunterricht in einer Mannheimer Moschee. Thema heute: das Leben des Propheten. Auch seine Ehen. Konzentriert macht die 28-Jährige Stichpunkte. Ihre hellblauen Augen schauen nachdenklich unter dem Kopftuch hervor. Zur Polygamie hat Anja eine ganz eigene Einstellung entwickelt: "Seitensprünge gibt es auch im Christentum. Im Islam hat die ,Affäre' wenigstens Rechte, der Mann muss für sie sorgen." In ihrer Ehe sei Polygamie aber kein Thema.

Innere Ruhe durch den Islam

Vor vier Jahren konvertierte die ehemalige Christin zum Islam. Und fand darin innere Ruhe. "Wenn mir jemand vor zehn Jahren erzählt hätte, wie mein Leben heute aussieht, hätte ich nur gelacht." Bei einem ersten Treffen in einem Café schlürft die IT-Systemkauffrau vorsichtig an einer Tasse heißer Schokolade. Ruhig legt sie eine Hand auf ihren Bauch. Von ihrem Mann mit dem Namen Islam, geborener Muslim, erwartet sie ihr erstes Kind. Er sei der Kontakt zum islamischen Glauben gewesen, der Weg dorthin aber ihr eigener. "Es war ein jahrelanger Prozess. Ich habe mich immer gefragt, ob ich auch ohne ihn dazu stehen würde." Gedrängt habe er sie nie.

Einen muslimischen Partner hat Vanessa (Name geändert) nicht. Die getaufte Christin fand in ihren eigenen vier Wänden, am Computer, zum Islam. Was die Industriekauffrau im Internet las, faszinierte sie, ließ sie nicht mehr los. Andere Religionen hätten sie nie so berührt. "Es war eine innere Stimme."

Auch Hannah hat keinen religiösen Partner. "Mein Lebensgefährte ist Agnostiker. Er sagt also, dass er nicht weiß, ob es Gott gibt", erzählt die Krankenschwester. Tatsächlich hatte sie vor ihrer Konversion überhaupt keine jüdischen Freunde außer einer Bekannten in Israel. Ihre Faszination für das Judentum sei mehr an die Religion selbst als an Personen geknüpft. "Der jüdische Glaube ist lebensbejahend, das Diesseits wichtiger als das Jenseits. Ein Grundsatz ist die ,Tikkun Olam', die ,Reparatur der Welt'. Das heißt, wir sollen so leben, dass wir die Welt täglich etwas gerechter machen", erklärt die 56-Jährige.

Vanessa und Anja haben sich bewusst gegen ihre alte Religion, das Christentum, entschieden. Besonders die Dreifaltigkeit, also die göttliche Wesenseinheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes, stört sie. Allah: ihr Gott. Mohammed: ihr Prophet. Der Koran: das unanfechtbare Wort Gottes. Dass der Islam vielen Konvertiten "eindeutiger und logischer" erscheine, hänge mit einer speziellen Form der Vermittlung zusammen, erklärt der Heidelberger Religionswissenschaftler Danjiel Cubelic. "Das ist eine Position der islamischen Theologie, um die eigene Religion zu stärken."

Giovanni irritierte am Christentum unter anderem die Beichte. Wenn der IT-Fachmann spricht, wirbeln seine Hände wild durch die Luft. "Ich habe nie verstanden, wie mir ein Pfarrer meine Sünden vergeben kann. Der ist doch auch nur ein Mensch." Im Islam gebe es einen direkten Kontakt zu Gott. Der Mannheimer mit italienischen Wurzeln wuchs mit dem katholischen Glauben auf: "Taufe, Kommunion - das volle Programm." Mit 17 verliebte er sich in eine pakistanische Muslima. Trotz Übertritt zerbrach die Beziehung am Widerstand ihrer Eltern. Einen Konvertiten akzeptierten sie nicht. Auch seinen besten Freund, selbst Muslim, verlor er durch den neuen Glauben. "Er kam nicht damit klar. Fand, ich würde mich verändern." Vor seiner Konversion hatte er sich drei Jahre lang intensiv mit dem Islam befasst.

Acht Wochen, nachdem Vanessas innere Stimme zu ihr gesprochen hatte, sagte sie das Glaubensbekenntnis, die "Schahada". Damit war sie Muslima. An den Morgen danach erinnert sie sich noch genau: "Ich fühlte mich wie neu geboren."

Acht Wochen - so kurz war der Übergang für Hannah nicht. Sie ging sechs Monate in die Synagoge, dann lernte sie zwei Jahre lang alles über die Religion, bevor sie vor der allgemeinen Rabbinerkonferenz ihre Prüfung ablegen durfte. "Ich dachte, es würde um Wissen gehen. Aber sie wollten rausfinden, wie tief mein Glauben ist." Knapp 40 Minuten wurde sie von einer Rabbinerin und zwei Rabbinern befragt, bis sie fast verzweifelte. "Und wenn Sie mir jetzt nicht glauben, bin ich in einem halben Jahr wieder hier", sagte sie - und wurde aufgenommen.

Die Regeln besonders ernst zu nehmen, ist laut Cubelic typisch für Konvertiten. "Sie haben sich aktiv für die Religion entschieden, sind nicht nur damit aufgewachsen." Dadurch könnten sie das Gefühl haben, bessere Gläubige zu sein. Das Umfeld hingegen mache der Glaubenswechsel oft misstrauisch.

Diese Skepsis kennt auch Vanessa. "Dass Du so etwas Dummes machst." Obwohl die Singlefrau nicht für einen Partner konvertierte, vermutet ihre Mutter das bis heute. "Sie hat Angst, dass ich mit einer Bombe um den Bauch in irgendeine Masse renne." Die Anschläge in Paris, Pegida - das negative Bild der Mutter sei bei den Geschehnissen in der Welt nicht verwunderlich. Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung empfinden 57 Prozent der Deutschen den Islam als Bedrohung. Auch das Kopftuch werde als Symbol der Unterdrückung wahrgenommen, so der Diskriminierungsbericht des Bundes aus dem Jahr 2013. Anja zögerte daher lange, bis sie mit Kopftuch auf die Straße ging. "Der Alltag schlägt knallhart zurück." Schwierigkeiten bei der Job- und Wohnungssuche, skeptische Blicke. Doch irgendwann wollte sie als Muslima erkennbar sein. "Es war anstrengend, immer darauf zu warten, bis jemand merkt, dass ich anders bin."

Seine Frau ist auch konvertiert

"Was für Frauen das Kopftuch ist, ist für Männer der Bart", findet Giovanni. Er selbst trägt einen Kinnbart. "Bei mir wächst nicht mehr", seufzt er. "Ich beneide die Araber um ihre Bärte." Inzwischen ist er mit einer Brasilianerin verheiratet. Vor kurzem ist auch sie zum Islam konvertiert. Sie trägt kein Kopftuch. "Ich würde sie nie dazu zwingen, das ist eine Sache zwischen Gott und meiner Frau. Aber sie sollte wissen, dass es ihre Pflicht gegenüber Allah ist."

Das Umfeld von Hannah reagierte offen auf den Wechsel. Nur ihre Mutter musste schlucken, wegen der Namensänderung. Giovanni hat sich vorgenommen, immer offen zu sein. Sollte seine Tochter einmal selbst den Glauben wechseln oder ganz ohne Religion leben wollen, sei das schade, findet er. "Aber nichts ändert die Liebe zu einem Kind."

Ihr Glas Rotwein hat Hannah ausgetrunken. Sie macht sich auf den Weg zur Bahn. Morgen wird sie nicht für Fragen zur Verfügung stehen. "Ich versuche, am Schabbat das Handy nicht zu nutzen." Sie winkt zum Abschied: "Schabbat schalom."

Was ist Konversion?

Laut dem Heidelberger Religionswissenschaftler Danijel Cubelic hat Konversion zwei unterschiedliche Bedeutungen. Einerseits ist damit der Wechsel von Konfessionen innerhalb einer Religion gemeint, zum Beispiel vom Protestantismus zum Baptismus oder zum Katholizismus.

Andererseits finden Konversionen zwischen Religionen statt, also zwischen Christentum, Islam, Judentum oder Buddhismus.

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