Stahlkessel so groß wie Einfamilienhäuser, ein Labyrinth aus farbigen Rohren und bei jedem Schritt ein neuer, meist unangenehm stechender Geruch in der Nase. Wer das Gelände der BASF in Ludwigshafen betritt, fühlt sich der Industrialisierung ganz nahe. Eine Gruppe blaugekleideter Männer mit Helmen und Schutzbrillen diskutiert am Straßenrand über das Hämmern und Rattern hinweg. Einer von ihnen hält ein Klemmbrett in der Hand und weißt auf ein übergroßes Ventil. Ob das sein Kollege vor 150 Jahren an eben dieser Stelle genau so gemacht hat?
Unwahrscheinlich. Der Vor-Vor-Vorgänger dieses Angestellten hätte keine Schutzkleidung getragen. Zudem durften nur die Wenigsten Ratschläge erteilen. Doch wie sah der Alltag eines Arbeiters der BASF vor 150 Jahren tatsächlich aus? Leider gibt es dazu wenige Informationen. Und es lässt sich kaum überprüfen, inwieweit diese damals geschönt wurden. Dennoch hat der Historiker Wolfgang von Hippel versucht, etwas über die Frühzeit der Teerfarbenfabrik herauszufinden - und ihre einfachen Arbeiter. Aber zunächst der Kontrast: ein Blick auf einen typischen Beruf der BASF heute.
Stefanie Lamack sitzt im Besprechungsraum drei der Oxo-Fabrik auf dem BASF-Gelände und versucht im wahrsten Sinne des Wortes händeringend, der naturwissenschaftlich unbegabten Frau von der Zeitung, ihren Job als Chemikantin näherzubringen. Lamack scheint Chemikerin, Computer-Expertin und Mechanikerin in einem zu sein. Entweder sie untersucht im Labor Stoffe. Oder sie prüft an Bildschirmen Temperatur und Druck in den Maschinen. Erscheint ein Alarm auf dem Monitor, eilt sie nach draußen, ruft Kollegen oder repariert selbst.
Was Lamack mit Hilfe zahlreicher Fachbegriffe erklärt, hat sie in dreieinhalbjähriger Ausbildung gelernt. 2000 kam sie als 16-Jährige aus Berlin nach Ludwigshafen, um nach der Mittleren Reife Chemikantin zu werden. "Das Arbeitspensum war hoch. Es kam sogar vor, dass Einzelne die Ausbildung abgebrochen haben."
So gut ausgebildet wie Lamack war die Mehrheit der ersten BASF-Mitarbeiter mit Sicherheit nicht. Die meisten waren ungelernte Arbeiter. Sie trugen schwere Lasten und halfen den Konzern aufzubauen. Dabei setzten sie sich großen Gefahren aus. Ein Gewerbehygieniker schrieb 1908: "Neben der chemischen Industrie gibt es wohl keine andere, deren Arbeiter in gleichem Maße durch die verschiedenartigen und mannigfaltigen Schädlichkeiten heimgesucht werden können. Bald sind es Vergiftungen, Haut- und Augenkrankheiten, bald Verletzungen durch Explosionen von Sprengstoffen, bald Verbrennungen und Verbrühungen, bald Stürze von Treppen und Leitern, die ihnen drohen."
Ein anderer Augenzeuge berichtete 1873, die Stoffe seien im Freien gelagert worden. Kalk, Salz und Sulfat lagen in großen Haufen herum und wurden mit Schaufeln und Handkarren transportiert. Ohne Atem-, Augen- oder Hautschutz wogen die Männer Salzsäure und füllten sie in Flaschen. Die Chemikalien führten zu ungesunden Flecken auf der Haut der Arbeiter, weshalb sie von Zeitgenossen auch "die Farbigen" genannt wurden. Kaum erstaunlich, dass schon nach einem Jahr ein Werksarzt eingestellt werden musste. Ab 1868 gab es eine Versicherung im örtlichen Hospital für die Arbeiter. Allerdings reichte das Budget nicht aus für die Verletzungen und Krankheiten.
Wer die Anlagen heute betritt, braucht Sicherheitsschuhe, Schutzbrille, Jacke, Helm und ein CO2-Messgerät. Doch der Grund für diese Vorsichtsmaßnahmen ist die Gefahr, die auch in diesen Tagen von den Stoffen ausgeht. "Man muss sich des Risikos bewusst sein und sich an die Sicherheitsvorkehrungen halten", stellt Lamack fest. Beim Rundgang weißt sie auf Feuerlöscher hin, Notfallduschen und ihre Erste-Hilfe-Ausbildung. Passiert ist Lamack noch nichts. Doch im Einzelfall erlitten Kollegen bereits Verbrennungen oder Augenreizungen.
So sehr sich die Arbeitswelten heute und damals beim Thema Sicherheit unterscheiden, in puncto Arbeitszeit ähneln sie sich. Ganz recht: Denn ein Arbeitstag hat zwölf Stunden, der von Lamack wie auch der der ersten BASF-Angestellten. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. 1865 arbeitete man an mindestens sechs Tagen die Woche, meist ohne Urlaub. Lamack arbeitet in Schichten. Eine Tagschicht von 5.15 Uhr bis 17.15 Uhr, am nächsten Tag eine Nachtschicht von 17.15 Uhr bis 5.15 Uhr. Die beiden darauffolgenden Tage hat sie frei, dann geht das Ganze wieder von vorne los. Am Ende kommt sie auf 37 Wochenstunden - etwa halb so viel wie ihre Kollegen vor 150 Jahren. Und sie hat sechs Wochen Urlaub im Jahr. "Schichtarbeit ist nicht für jeden das Richtige", sagt Lamack. Doch ihr gefällt es. So kann sie unter der Woche zum Arzt oder auf Ämter. Ihr Mann arbeitet auch als Chemikant bei der BASF in Schichtarbeit. Mit der richtigen Organisation klappe das auch mit den zwei Kindern ganz gut, sagt Lamack.
Sie wohnt in Meckenheim und pendelt. Die ersten Mitarbeiter lebten vor Ort. Später zogen viele in die BASF-Kolonie direkt neben dem Werk. Sie verdienten auch nicht genug, um beim Wohnort wählerisch zu sein. Ein Einstiegslohn reichte gerade für das Essen einer fünfköpfigen Familie aus. Oft gingen mehrere Familienmitglieder arbeiten. Bei den Lamacks ist das - der Emanzipierung sei Dank - ohnehin der Fall. Und Frau Lamack bedauert das kein bisschen. Egal ob in der Messwarte, im Labor oder draußen auf der Anlage: Lamack mag ihren Beruf, sie fühlt sich gebraucht und den Geruch nimmt sie nicht mehr wahr. "Die Abwechslung ist das Schöne. Am längsten dauern die Tage, an denen weniger los ist." Eine Arbeitseinstellung, von der ihre Vor-Vor-Vorgänger vermutlich nur träumen konnten.
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