Mannheim. Ein sprechender Papagei sollte es sein, groß und farbenprächtig. Einen Namen gab es auch schon für das Tier, „Manni“, für Mannheim. Das war mal die Planung für das Maskottchen der Bundesgartenschau Mannheim 1975. Aber es klappte nicht. Stattdessen fiel vor 50 Jahren eine andere Entscheidung: Am 16. Oktober 1974 stellte sich erstmals Fred Reibold als „Jäger aus Kurpfalz“ dem Aufsichtsrat vor. Bis kurz vor seinem Tod 2013 blieb Reibold in diesem Kostüm Symbolfigur der Stadtparks und der Kurpfalz.
Aber zunächst legt sich Klaus E. R. Lindemann, der PR-Chef der Bundesgartenschau 1975, auf einen Papagei fest. Aber ob im Karlsruher Zoo oder in Frankfurt – er findet keinen Papagei, der sprechen kann und schön aussieht. Dann denkt er über den Blumepeter nach, einen Aerobus-Kapitän (die Hochbahn, die damals zwischen Luisenpark und Herzogenriedpark pendelt), über einen Gartenzwerg. „Doch der große Wurf war keine dieser Gestalten“, so Lindemann in seinen Erinnerungen.
In einer Vitrine im Reiß-Museum entdeckt er dann aus Porzellan den „Jäger aus Kurpfalz“. Doch Lindemann will nicht einfach die historische Figur wieder aufleben lassen. „Heiter und spritzig, modern und aktuell, unmittelbar bezogen auf das heutige Mannheim“ sollte der neue „Jäger aus Kurpfalz“ sein, „unverwechselbar und originell“. Daher ruft Lindemann den Mann an, der damals ständig im Fernsehen und noch viel bekannter ist als heute: Loriot, also Vicco von Bülow, Schöpfer der Figuren Wim und Wum.
Loriot zeichnet die Figur mit der berühmten Knollennase
Der will aber nicht, er sei komplett ausgebucht, sagt er. Lindemann bedauert, drängt und drängelt ein bisschen, ködert ihn, weckt seinen Ehrgeiz. Dann lenkt Loriot ein. „Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine reizvolle Aufgabe wäre, diesem legendären kurpfälzischen Herren eine Gestalt zu geben“, zitiert ihn Lindemann – zumal ja niemand genau weiß, wie der Erbförster und Chefjäger von Kurfürst Carl Theodor einst wirklich ausgesehen hat.
Loriot greift dann tatsächlich zum Stift. Sein Jäger hat natürlich die typische Knollennase, reitet lächelnd auf einer Flinte, aus der eine Margerite sprießt. Anfangs trägt er noch einen Hut, der dann durch einen Dreispitz ausgetauscht wird. Nach ein paar weiteren Variationen zeigt er auch noch geradeaus. Und so wird er gedruckt, auf Aufkleber, Autogrammkarten, Tassen, Briefumschläge – in millionenfacher Auflage.
Aber Lindemann will mehr – nämlich einen lebendigen Jäger, der reitet, ins Horn stößt und so bei vielen Gelegenheiten für die Bundesgartenschau wirbt. Mit ihm soll die Erinnerung an Mannheims erste Blütezeit unter Kurfürst Carl Theodor wieder aufleben, und auch an das beliebte Volkslied will er anknüpfen. 400 Tage vor der Eröffnung des sommerlangen Fests hat er aber noch keinen geeigneten Kandidaten, obwohl es über 30 Bewerber gibt. Fast will er die Idee aufgeben.
Aber dann entdeckt Hannelore Dorner (später Rüger), eine der Mitarbeiterinnen der ersten Stunde der Bundesgartenschau 1975, Fred Reibold. Bei einer Fasnachtsveranstaltung des Seniorenbüros der Stadt tritt er als Sänger „Hell Recardo“ auf. Es ist sein Hobby. Nach dem Auftritt spricht ihn Hannelore Dorner an. „Melden Sie sich mal!“
Reibold arbeitet zu diesen Zeiten noch bei den Strebel-Werken auf der Friesenheimer Insel. Vom Lageristen hat er sich zum kaufmännischen Angestellten hochgearbeitet. Aber am 8. Februar 1974 melden die Strebel-Werke Konkurs an – es ist der erste große Firmenzusammenbruch in Mannheim. Reibold steht über Nacht auf der Straße und erinnert sich an die Dame, die ihn ansprach. Erst denkt er, es gehe um Auftritte im Veranstaltungsprogramm, denn mit seiner Gitarre hat er schon seit den 60er Jahren bei Familien- und Vereinsfeiern gespielt.
Im Käfertaler Wald übt er mit dem Jagdhorn
Dann erfährt er, was wirklich gesucht wird – ein Jäger aus Kurpfalz, der Jagdhorn blasen und reiten kann, Prominente stilvoll begrüßen, Tag und Nacht auf Abruf stehen soll, während der Bundesgartenschau keinen Urlaub nehmen und keine Angst haben dürfe, auf den neuen Fernmeldeturm zu steigen. „Ich war von der Sache so begeistert, dass ich mich sofort ins Training stürzte“, so Fred Reibold viele Jahre später – auch wenn er skeptisch bleibt, ob er genommen wird. Lindemann hat ihn vom Vorstellungsgespräch als „unbeholfen-burschikos, fragend und zögernd“ in Erinnerung, aber dann auch „mit einer Selbstsicherheit, die ebenso überraschte wie erfrischte“. Denn Reibold sagt zu, das zu lernen, was er nicht kann. Er nimmt Reitstunden beim Reiterverein, liest sich in die Historie der Jagd beim Kurfürsten ein und geht – um die Nachbarn nicht zu stören – mit dem Jagdhorn in den Käfertaler Wald und versucht, dem Instrument Töne zu entlocken, was anfangs gar nicht und später immer mehr gelingt. „Zweierlei hatte er eindrucksvoll bewiesen – Talent und Fleiß“, so Lindemann später.
Die große Hürde ist am 16. Oktober 1974 zu nehmen. Da tagt der Aufsichtsrat der Bundesgartenschau, muss sich mit Mehrkosten für den Aerobus und den Bau der Multihalle befassen. Ganz am Ende soll ihm das Maskottchen präsentiert werden. Das (geliehene) Pferd bäumt sich auf, doch Reibold hält sich im Sattel und setzt das Horn an den Mund. „Da die Aufsichtsräte alle keine Musiker waren, fiel die dissonante Reihenfolge der Töne nicht sonderlich stark ins Gewicht“, notiert Lindemann danach amüsiert.
„Nachdem man allgemein feststellte, dass ich forsch aussah und in dem Kostüm der nicht mehr ganz unbekannte Stimmungssänger Hell Recardo steckte, hatte ich fast das Gefühl, es muss klappen“, so Reibold später, auch wenn ihn lange Zweifel plagen. Aber Reibold bekommt den Job, der Aufsichtsrat votiert einstimmig für ihn. „Er wurde ein Stück personifizierte Gartenschau“, lobt Lindemann rückblickend.
Als „Jäger aus Kurpfalz“ bereist Reibold mit einem Werbeteam alle Städte und Orte im Umkreis von 50 Kilometern um Mannheim, um Werbung für die Bundesgartenschau zu machen. Sogar nach Straßburg geht eine Tour. Manchmal wundern sich die Menschen über ihn, halten ihn für einen verspäteten Fasnachter oder für Napoleon oder den gestiefelten Kater. Aber schnell wird er bekannt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell eine solche Popularität gewinnen könnte“, wundert sich Reibold viele Jahre später.
Unzählige kleine Kinder macht er glücklich, als er sie – hoch zu Ross – zu sich auf den Schoß nimmt. Tausende von Erinnerungsfotos entstehen mit ihm, mit seinem liebevoll-herzlichen Charme schaffte er es bis aufs Titelbild von „Mein schöner Garten“ (Burda-Verlag) sowie in zahlreiche Fernsehsendungen. Er bespielt eine eigene Schallplatte und begrüßt den Bundespräsidenten Walter Scheel und all die anderen Prominenten, die zur Gartenschau nach Mannheim kommen.
Über sein Schicksal hat er lange nicht gesprochen
Im Oktober 1975 ist die Bundesgartenschau vorbei – damit auch sein Job. Aber die Mannheimer entscheiden sich, dass ihre Parks weiter eingezäunt, gepflegt und gegen Eintritt zugänglich sein sollten – und sie vermissten „ihren Jäger“. Karl Eisenhuth, der langjährige Stadtpark-Chef, und Seebühnen-Intendant Alfred Bauß holen Reibold zurück, zumindest für einige Auftritte pro Jahr gegen Honorar. Reibold muss sich dafür einen Gewerbeschein besorgen, denn er ist jetzt als Selbstständiger für die grünen Oasen unterwegs, quasi die erste „Ich-AG“. Daneben arbeitet er als Alleinunterhalter mit Gitarre und Mundharmonika, das Jagdhorn immer dabei. Ob Feste in den Parks, Maimarkt, Fasnachtszug – Fred Reibold gehört dazu, mit hoher Zuverlässigkeit, mit unermüdlichem Engagement, mit seiner großen, warmherzigen Ausstrahlung.
Er ist ein Sympathieträger, dem es stets um die Sache geht, der seine Person nie in den Vordergrund spielt, der im „Jäger aus Kurpfalz“ die Rolle seines Lebens gefunden hat, ja so mit ihr verschmolzen ist, dass lange kaum einer weiß, welch ein großartiger Mensch, auch welch ein persönliches Schicksal sich hinter dem Kostüm verbirgt. Erst 2009 redet er darüber, wie wichtig es für ihn 1975 gewesen ist, als Arbeitsloser einen Neuanfang wagen zu können: „Ich hätte es nicht gedacht – aber nichts ist so schlecht, dass es nicht doch für etwas gut ist“, sagt er.
Indem er mittwochs in der Multihallen-Gaststätte die Herzogenriedpark-Senioren betreut, leistet er auch wertvolle Sozialarbeit – bis zuletzt. Noch am 6. Januar 2013 ist er beim Dreikönigsumzug im Luisenpark, wie stets umringt von Fans aller Generationen. Ein paar Tage später stirbt er im Alter von 78 Jahren an Herzversagen. Der Platz am Haupteingang des Herzogenriedparks ist nach ihm benannt worden.
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