Mannheim. Herr Wawrzinek, mit 110 Millionen Euro Volumen hat Osapiens kürzlich eine Finanzierungsrunde abgeschlossen, um die Sie sicher viele Start-ups beneiden: Was haben Sie mit dem Geld vor?
Stefan Wawrzinek: Ganz einfach: wachsen. Wir sehen eine immense Nachfrage nach Lösungen für ESG – also für nachhaltiges Wirtschaften. Das ist zum einen getrieben durch steigende Regulierung, aber auch durch höhere Erwartungen von Stakeholdern, von Kunden. Das heißt: Der Anspruch an Transparenz, zum Beispiel in den Lieferketten, wächst stetig und damit die Nachfrage nach Software wie unserer, die Unternehmen dabei unterstützt. Damit wir diese Nachfrage international bedienen können, müssen wir investieren, in unsere Mitarbeiter und in neue Standorte.
Welche neuen Märkte haben Sie im Blick?
Wawrzinek: Wir legen bisher einen starken Schwerpunkt auf Europa: In der EU entsteht eine große regulatorische Einheit bezüglich Nachhaltigkeit entlang der Lieferketten. Entsprechend haben wir hier schon einige Standorte außerhalb Deutschlands aufgebaut, und es werden weitere folgen. Aber auch Länder wie die USA, die in puncto Nachhaltigkeit vielleicht ein bisschen hinter Europa kommen, haben das Thema inzwischen im Fokus, und es werden die ersten Regulierungen etabliert. Deshalb erwarten wir dort einen starken Ansturm auf entsprechende Lösungen – und wollen früh präsent sein durch eigene Standorte.
Mitgründer und COO
- Stefan Wawrzinek ist COO bei Osapiens. Er hat das Start-up 2018 mit Alberto Zamora und Matthias Jungblut gegründet.
- Osapiens hat eine digitale Plattform entwickelt, die Unternehmen helfen soll, entlang ihrer Lieferketten ESG-Vorschriften – also Nachhaltigkeitsrichtlinien – einzuhalten.
- Vor kurzem ist Goldman Sachs bei Osapiens eingestiegen. Bei der Finanzierungsrunde sammelte Osapiens 110 Millionen Euro ein. Seit 2023 ist außerdem der Investor Armira Growth an Bord.
Wie stark ist der US-Markt bereits umkämpft?
Wawrzinek: Dort tummeln sich noch nicht so viele Wettbewerber wie in Europa, dafür gibt es einige größere. Auch der Markt dort wird, wenn er sich erst einmal etabliert hat, größer sein als in Europa. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dort schnell Fuß fassen. Zum Glück haben wir in den USA schon einige Leuchtturm-Kunden, wie beispielsweise Coca-Cola Nordamerika, die unsere Plattform nutzen. Das hilft uns beim Markteintritt. Aber wenn wir hier erfolgreich sein wollen, brauchen wir dort größere Standorte und Menschen, die den Markt sehr gut kennen. Mit unserem neuen Investor Goldman Sachs haben wir deshalb den richtigen Partner.
Wenn Osapiens jetzt international durchstarten will: Ist Mannheim da noch die passende Homebase?
Wawrzinek: Auf jeden Fall. Wir haben uns aktiv für Mannheim als Standort entschieden. Klar, das ist hier nicht Berlin oder München. Aber Mannheim wird in der Start-up-Welt sehr stark unterschätzt. In und um Mannheim haben wir sehr viele gute Universitäten mit sehr vielen Talenten. Und es gibt sehr viele große Unternehmen – und damit potenzielle Kunden. Dazu kommt: Mannheim ist supergut vernetzt, man kommt von hier aus mit verschiedenen Verkehrsmitteln überall hin. Für uns hat sich jedenfalls gezeigt: Wir können auch hier ein Magnet für Talente sein, denen das Thema Nachhaltigkeit am Herzen liegt und die einen technischen Hintergrund haben.
Mannheim bleibt also auch das Entwicklungszentrum von Osapiens?
Wawrzinek: Definitiv. Wir planen nicht, unsere Entwicklung oder Teile davon nearshore oder offshore auszulagern. Vor allem, weil Geschwindigkeit in unserem Geschäft wichtig ist: Regulierungen entwickeln sich zügig weiter. Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn Teams lokal zusammenarbeiten, können sie viel schneller sein, als wenn sie verstreut sind. Wir haben deshalb außerhalb Mannheims nur noch ein kleines Entwicklungsteam in Spanien, aber eher für den Support. Was wir sonst in anderen Ländern aufbauen sind Standorte mit Experten, die verstehen, wie die jeweiligen Märkte funktionieren.
Wie viele Beschäftigte haben Sie am Stammsitz Mannheim?
Wawrzinek: Etwa 220 – wobei sich das sehr schnell ändert, weil im Moment jeden Monat zehn bis 20 neue Mitarbeiter bei uns anfangen, manchmal sogar mehr. Deshalb expandieren wir derzeit auch hier in Mannheim. Wir planen, neben unseren Flächen im Mafinex und im benachbarten Loksite kurzfristig noch weitere Flächen in Mannheim zu beziehen.
Wie schafft man es, bei so einem rasanten Wachstum die Unternehmenskultur zu bewahren?
Wawrzinek: Das ist sicher eine der größten Herausforderungen. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass wir hier vor Ort zusammenkommen und regelmäßige Team-Events haben – auch für Leute, die sonst nicht hier in Mannheim sind. Gerade weil das Thema Nachhaltigkeit so komplex ist und so viele unterschiedliche Teams betrifft, ist der persönliche Austausch essenziell. Osapiens ist deshalb eine Onsite-Firma, kein Remote-Unternehmen. Nur so schaffen wir es, dass man neue Kolleginnen und Kollegen schnell kennenlernt – und sei es an der Kaffeemaschine.
Mit Goldman Sachs ist in kurzer Zeit ein zweiter großer Investor bei Osapiens eingestiegen. Fällt es Ihnen als Gründer schwer, einen Teil der Kontrolle abzugeben?
Wawrzinek: Wir haben uns bei der Auswahl der Investoren sehr viel Zeit gelassen und geschaut: Wer passt wirklich zu uns? Da spielen mehrere Kriterien eine Rolle. Bei der letzten Finanzierungsrunde war es uns wichtig, einen global aufgestellten Investor zu finden, der uns bei unserer globalen Expansion unterstützen kann. Das zweite, wesentliche Kriterium war für uns, dass der Investor unsere Vision unterstützt – und nicht seinen eigenen Weg durchsetzen will. Wir haben eine klare Vorstellung davon, wohin wir wollen und welche Schritte wir planen. Deshalb war es uns wichtig, als Gründerteam die Mehrheit an Osapiens zu behalten und nur Minderheitsbeteiligungen anzubieten.
Osapiens wirbt damit, dass es Unternehmen unterstützt, Risiken in ihren Lieferketten zu erkennen. Wie kann eine Software sicherstellen, dass z.B. ein chinesischer Lieferant keine uigurischen Zwangsarbeiter einsetzt?
Wawrzinek: So eine Due-Diligence-Prüfung läuft in mehreren Schritten ab. Zunächst werden die Stammdaten, also die Lieferanten-Informationen, die wir vom Kunden bekommen, in das System eingepflegt. Dann ist die erste Frage: Welche von den vielleicht 10 000 Lieferanten, die ein Unternehmen hat, muss ich mit höchster Priorität genauer anschauen? Dazu schaut die Software zunächst, in welchem Land und in welcher Branche die einzelnen Lieferanten aktiv sind – und welche Risiken dort potenziell vorliegen. Dazu werden viele Informationsquellen ausgewertet, zum Beispiel von NGOs oder anderen öffentlich verfügbaren zertifizierten Quellen.
Und dann?
Wawrzinek: Im nächsten Schritt wird geschaut, welche Informationen über Lieferanten, die man genauer prüfen will, vorhanden sind. Gibt es Audits oder Zertifizierungen? Wenn nicht, kann das automatisch angefragt werden. Trotzdem kann es natürlich – auch wenn ein Zertifikat vorliegt – Vorfälle bei einem Unternehmen geben. Deshalb hat das System zum einen ein integriertes Whistleblower-Tool, über das anonym Beschwerden eingereicht werden können. Zum anderen arbeiten wir mit einer Technologie, die täglich nationale und internationale Nachrichten aus Zeitungen und anderen Medien durchforstet. Eine Künstliche Intelligenz prüft dabei, ob ein Lieferant betroffen ist – und schlägt im Zweifel Alarm.
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