München. Der 9. November – ein wahrer Schicksalstag der Deutschen: 1848 wird der Demokrat Robert Blum hingerichtet und damit das Scheitern der 48er-Revolution markiert, 1918 der Kaiser gestürzt und Deutschland zur parlamentarischen Republik; 1938 werden jüdische Einrichtungen geplündert und zerstört und erstmals jüdische Bürger in großer Zahl ermordet; 1989 öffnet sich in Berlin die Mauer; was den Weg zu einem vereinten demokratischen Deutschland ebnet.
Die Münchner Feldherrnhalle – ein schwieriger Ort
Lage: Die Feldherrnhalle steht in der Münchner Altstadt am südlichen Ende des Odeonsplatzes.
Entstehung: Das Gebäude wurde 1841-44 im Auftrag König Ludwigs I. nach dem Vorbild der Loggia dei Lanzi in Florenz aus Kelheimer Kalkstein errichtet. Es sollte ein Ruhmestempel für das bayerische Heer sein.
Gestaltung: Im Zentrum steht ein nahezu nackter antiker Krieger, der mit seiner Rechten einen Schild über einer jungen Frau hält, die mit einem Ölzweig geschmückt ist – Allegorie des Friedens. Daneben stehen seit 1892 Bronze-Statuen für zwei frühere Heerführer: Graf Tilly aus dem Dreißigjährigen Krieg und Fürst Wrede aus den Befreiungskriegen von 1813. An beiden Seiten der Treppe befinden sich seit 1906 zwei Figuren „bayerischer“ Löwen aus Marmor. Als Vorbild diente dem Bildhauer Wilhelm von Rümann der Löwe „Bubi“ aus dem Münchner Tierpark.
Gedenken: Zur Würdigung der vier von den Putschisten getöteten Polizisten ließ die Stadt München 1994 in das Pflaster vor der Feldherrnhalle eine Bodenplatte einbauen, die 2010 ins Stadtmuseum versetzt wurde. An ihrer Stelle wurde am 9. November 2010 von Oberbürgermeister Christian Ude und Innenminister Joachim Herrmann eine Gedenktafel an der gegenüberliegenden Westseite der Münchner Residenz enthüllt.
Literatur: Das Buch „Hitler“ von Joachim C. Fest, gebunden 1190 Seiten, Kapitel IV „Der Putsch“, Seiten 260-287. Obwohl bereits 1973 verfasst, gilt es noch heute als Standardwerk, wird jedoch auch kritisiert, weil es Judenverfolgung und Holocaust nur unzureichend berücksichtige. -tin
Doch zwischendrin, da verbirgt sich ein weiterer historisch wichtiger Tag: der 9. November 1923. In München versucht ein noch kaum bekannter Mann namens Adolf Hitler einen gewaltsamen Umsturz der demokratischen Ordnung. Der scheitert zwar und würde wohl der Vergessenheit anheimfallen, hätte der Anführer von 1923 zehn Jahre später nicht doch noch sein Ziel erreicht. So wird der 9. November 1923 rückblickend zum Menetekel für das, was folgt: Diktatur, Krieg, Völkermord.
Blick zurück ins Jahr 1923. Nach dem Krieg steckt Deutschland politisch und ökonomisch in einer tiefen Krise. Die Inflation galoppiert, der Staat droht auseinanderzufallen: In der Pfalz proklamieren Separatisten im Herbst gar eine unabhängige Republik, in Bayern regiert der rechtskonservative und völkische Politiker Gustav von Kahr als Generalstaatskommissar mit einem Ausnahmezustand. Anordnungen der Berliner Reichsregierung wie das Verbot der NSDAP-Zeitung „Völkischer Beobachter“ missachtet er. Auch die vom General von Lossow kommandierte Reichswehr im Wehrbereich Bayern folgt nicht den Befehlen aus Berlin. Kahr will die Republik aushebeln.
Bayerns Hauptstadt München ist Hotspot der extremen Rechten. Allen voran der Führer der hier auch gegründeten, noch kleinen NSDAP, Adolf Hitler, und der ebenso antidemokratische kaiserliche Ex-General Erich Ludendorff. Nicht ohne Grund erheben die Nazis München nach 1933 zu ihrer „Stadt der Bewegung“.
Beginn im Bürgerbräukeller
Als Start für seinen Putschversuch wählt Hitler den Abend des 8. November 1923. Im Bürgerbräukeller ist die gesamte Führung Bayerns versammelt. Kahr hält gerade seine Rede, da betritt Hitler an der Spitze eines SA-Stoßtrupps den mit 5000 Menschen voll besetzten Saal – gekleidet im schwarzen Gehrock, „nicht ohne lächerliche, kellnerhafte Züge“, wie der anwesende Historiker Karl-Alexander von Müller überliefert. Hitler steigt auf einen Stuhl, feuert mit einer Pistole in die Decke und erklärt die bayerische und die Reichsregierung für abgesetzt.
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Kahr und Lossow sowie der Chef der Landespolizei, Hans von Seißer, werden in ein Nebenzimmer geführt und aufgefordert, den Putsch zu unterstützen. Das tun sie (wechseln aber noch in der Nacht die Seiten). Zeitgleich besetzen die Putschisten einzelne offizielle Gebäude; am Rathaus weht am Morgen des 9. November ihre Hakenkreuzfahne. Doch sie wollen ein echtes Fanal – ihr Vorbild ist der „Marsch auf Rom“, mit dem der Faschist Benito Mussolini im Jahr zuvor in Italien die Macht erringt. Nach München soll es daher, so ihr Traum, Richtung Berlin gehen.
Ab 11 Uhr ziehen gut 2000 Putschisten unter Führung Ludendorffs und Hitlers vom Bürgerbräukeller in die Innenstadt. Am Odeonsplatz eröffnet die Landespolizei das Feuer, 13 Putschisten sterben. Darunter der Offizier Max Erwin von Scheubner-Richter, der dabei den bei ihm eingehakten Hitler zu Boden reißt, und Hitlers Leibwächter Ulrich Graf, der sich vor die beiden stellt und, von elf Kugeln getroffen, auf den am Boden liegenden Hitler fällt. Dieser kugelt sich im Getümmel einen Arm aus, bleibt ansonsten aber unverletzt.
Pater Rupert Mayer, im Dritten Reich übrigens im kirchlichen Widerstand aktiv, gibt den sterbenden Putschisten auf dem Platz die letzten Sakramente. Die Verwundeten werden in die Universitätsklinik eingeliefert, wo sie von dem später in der Berliner Charité berühmt werdenden Chirurgen Ferdinand Sauerbruch operiert werden. Ludendorff, der unverletzt bleibt, schreitet wutentbrannt über den Platz und wird festgenommen, nach kurzer Befragung aber bereits um 22.20 Uhr wieder freigelassen – gegen sein Ehrenwort als Offizier, nicht zu fliehen.
Hitler entkommt in einem Krankenwagen und verbirgt sich am Staffelsee im Landhaus des Kunsthändlers Ernst Hanfstaengl. Der „Führer“ ist derart deprimiert, dass er nicht nur mit seiner politischen Arbeit, sondern mit seinem Leben Schluss machen will; Hanfstaengls Ehefrau Helene hält ihn davon jedoch ab.
Zwei Tage später wird Hitler aufgespürt, im Jahr darauf wegen Hochverrats angeklagt und in München vor Gericht gestellt. Der Prozess wird zum Paradebeispiel dafür, wie sehr die Justiz der Weimarer Republik auf dem rechten Auge blind ist. Hitler erhält Raum für ausschweifende Monologe, in denen er sich als Opfer stilisiert und den demokratischen Staat erniedrigt. Selbst der Staatsanwalt rühmt in seinem Plädoyer Hitler als „hochbegabten Mann“, der sich „den Ideen, die ihn erfüllten, bis zur Selbstaufopferung hingegeben hat.“ Und in seinem Urteil billigt das Gericht Hitler „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ zu, so dass er mit einer Strafe von fünf Jahren davon kommt. Ludendorff wird „auf Grund seiner Verdienste im Weltkrieg“ sogar freigesprochen.
Auch Hitlers Haft in Landsberg ist eine Farce. Im Speisesaal der Anstalt, zu diesen Anlässen drapiert mit Hakenkreuzfahne, hält er vor den Gefangenen politische Vorträge, zu denen sich sogar die Gefängniswärter einfinden und andächtig lauschen. Wenn er gerade keine Reden schwingt oder wahre Audienzen abhält, diktiert er seinem Mithäftling Rudolf Heß den ersten Band seines Buches „Mein Kampf“. Nach nur neun Monaten wird er „wegen guter Führung“ aus der Haft entlassen.
Aus dem missglückten Putsch zieht Hitler die Erkenntnis, „dass die Eroberung moderner Staatsgebilde auf gewaltsamem Wege aussichtslos sei“, wie Hitler-Biograf Joachim C. Fest konstatiert. Er beschließt stattdessen, so Fest, „die Illegalität im Schutze der Legalität anzusteuern.“ Mit Erfolg: Am 30. Januar 1933 wird er durch Reichspräsident von Hindenburg, engster Weggefährte Ludendorffs im Ersten Weltkrieg, zum Reichskanzler ernannt. Im Besitz der Macht, errichtet er im Inneren eine Diktatur und entfesselt den Krieg in Europa und den Holocaust.
Und rächt sich an jenen, die er für Verräter hält. So auch an Kahr, der 1924 im Prozess gegen ihn aussagt. Am 30. Juni 1934 wird der mittlerweile fast 72-Jährige von der SS verhaftet und im KZ Dachau erschossen.
Putschisten zu Helden verklärt
Die 1923 getöteten Putschisten dagegen werden zu „Blutzeugen der Bewegung“ verklärt. Zu ihren Ehren stiftet Hitler einen „Blutorden“, der zur höchsten Ehrung der NSDAP gerät. Am Münchner Königsplatz werden für die Toten zwei Ehrentempel errichtet und ihre sterblichen Überreste dorthin umgebettet.
In der Feldherrnhalle selbst wird eine riesige Bronzetafel aufgestellt, vor der ein SS-Doppelposten die Ehrenwache hält, die von den Passanten mit dem Hitlergruß zu ehren ist. Um diese Huldigung zu vermeiden, gehen manche Münchner auf ihrem Weg von der Residenzstraße in die Theatinerstraße hinter der Feldherrnhalle über die Viscardigasse; im Volksmund firmiert sie daher teils bis heute als „Drückebergergassl“.
Alljährlich am 9. November gedenkt der NS-Staat den Getöteten in schaurig inszenierten Feiern in Anwesenheit Hitlers. Zwei Mal entgeht er bei diesem Anlass Attentaten auf ihn: am 9. November 1938 durch den Schweizer Maurice Bavaud beim Gedenkmarsch und am 8. November 1939 durch den Handwerker Georg Elser im Bürgerbräukeller.
1945 wird die Gedenktafel in der Feldherrnhalle abmontiert und eingeschmolzen. Die Ehrentempel am Königsplatz werden von der US-Armee gesprengt; noch heute sind die Sockel zu erkennen.
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