Buch

Wie Mannheimer Kleingärten zur Heimat werden

Die Mannheimer Fotografin Sabine Kress und Texterin Kathrin Hentzschel präsentieren in "Angekommen" Geschichten über Kleingärten in Mannheim - von Menschen aus verschiedenen Ländern, die aus Parzellen Heimat schaffen

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Long und seine Familie bauen typisch vietnamesisches Gemüse an. © Sabine Kress

Mannheim. Die Liebe treibt erstaunliche Blüten und schlägt an ungewöhnlichen Orten Wurzeln. Und so kommt es, dass die Thailänderin Khomkhieo, längst Rose genannt, und der Franzose François in einem urdeutschen Schrebergarten am Aubuckel Kang-Kob-Kürbisse und Thai-Auberginen sprießen lassen.

Die Geschichte der beiden ist eine von insgesamt 25, die davon erzählen, wie sich in Mannheimer Kleingärten die Welt trifft, wie Menschen aus unterschiedlichsten Ländern grüne Parzellen in ein Stück Heimat verwandeln. Nicht von ungefähr trägt das Buch den symbolträchtigen Titel „Angekommen“.

Bildband über Shaolin-Mönche

Eigentlich arbeitet Sabine Kress seit 1985 als Porträt- und Modefotografin für Magazine. Weil die gebürtige Mannheimerin auch Themen jenseits ihres Genres interessieren, tauchte sie in die abgeschirmte Welt der buddhistischen Shaolin-Mönche ein. Über das Leben hinter Klostermauern im chinesischen Henan brachte sie vor zehn Jahren gemeinsam mit dem Journalisten Felix Kurz einen Bildband heraus. Dazu komplett konträr nimmt sich ein anderes Projekt auf: Impressionen vom Mannheimer Rotlichtmilieu, insbesondere der Lupinenstraße. Die Fotos waren mehrfach ausgestellt, beispielsweise im Kunstverein Viernheim.

François und Khomkhieo, inzwischen Rose genannt, lieben es in ihren Aubuckel-Garten thailändisch-exotisch. © Sabine Kress

Und warum jetzt ausgerechnet Schrebergärten? „Ich hatte Lust auf etwas ganz anderes.“ Und weil Sabine Kress schon als Kind von Kleingärten beeindruckt war, reifte die Idee fast von allein. Zwei Jahre hat sie daran gearbeitet und selbst gestaunt, auf wie viele Lebensgeschichten sie gestoßen ist, die auch von Integration künden.

Mehr als 50 Kochrezepte

Die zwischen Rhabarberstangen, Knoblauchpflanzen, Buschbohnen, Bananenstauden und Lampionblumen geführten Gespräche hat Kathrin Hentzschel mitgeschrieben und berührend zu Papier gebracht. Die freiberufliche Texterin und Journalistin lebt in der Pfalz , stammt aber aus der Quadratestadt. Für das gemeinsame Buch schauten die Fotografin und die Erzählerin nicht nur hinter Hecken, sondern auch in Kochtöpfe: Zum Konzept gehören nämlich erdumspannende Rezepte - über 50 sind zusammengekommen.

Infos und Termine zum Projekt

  • "Angekommen – Kleingärten, wo sich die Welt trifft“ präsentiert auf 144 Seiten mit rund 180 Fotografien von Sabine Kress 25 Gartenporträts mit Lebensgeschichten, die Kathrin Hentzschel geschrieben hat. Außerdem gibt es 50 Rezepte zum Nachkochen. Preis: 32 Euro.
  • Das Hardcover-Buch liegt in Mannheimer Buchhandlungen aus und kann bestellt werden, auch bei der Herausgeberin: www.sabinekress.de
  • Das Projekt haben unter anderen das Kulturamt der Stadt Mannheim, der Verein Kultur Rhein Neckar sowie die Karin & Carl-Heinrich-Esser-Stiftung unterstützt.
  • Lesungen mit kulinarischen Kostproben: in der Stadtteilbibliothek Herzogenried, Herzogenriedstraße 50: Freitag, 22. September, 19 Uhr. Bücher Bender in O4, 2: Samstag, 23. September, 13 bis 15 Uhr. Frauenbuchladen Xanthippe T3, 4: Samstag, 21.Oktober, 16 Uhr. 

 

Mani, die wie ihr Ehemann Kimar Kindheit und Jugend in Indien verbrachte, nutzt in dem grünen Refugium am Stollenwörthweiher sogar das Dach des Gartenhauses zum Bepflanzen - für die Ausläufer der Flaschenkürbisse. Sie verrät, wie das Hülsenfrüchte-Nationalgericht Dal aus gelben Linsen zubereitet wird.

Familien schaffen sich Heimat

„In meinem Garten bin ich Gott näher als in meiner Kirche“, sinniert Johannes aus Kasachstan, der sich neben seinen vielen Berufen auch zum Diakon ausbilden ließ. Aus Zucchini, die er wie all seine Pflanzen mit in Bottichen angesetzter Jauche aus Unkräutern düngt, zaubert er mit anderen Zutaten eine köstliche Paste.

Für den aus Ungarn stammenden Toni müssen Peperoni schön scharf sein. © Sabine Kress

Weil Tiko und Sohn Ahmed wohl nie mehr ihr im Krieg zerstörtes Zuhause in Idlib sehen werden, haben sie in ihrem Garten am Sandgewann das meiste Gemüse aus syrischem Samen gezogen - „damit es schmeckt wie die Heimat“. Der mit Familie geflüchtete ehemalige Beamte serviert als Rezept einen Thymiansalat mit Schafskäse.

Zu den gärtnernden „Urgesteinen“ am Aubuckel gehört Rina, die wie ihr verstorbener Mann italienische Wurzeln hat. Ihre selbst gezogenen Peperoncini sind„ scharf wie der Teufel“. Als Kochtipp hat sie einen Bittersalat an Nuss-Soße mit Johannisbrotsirup als Süßekick ausgewählt.

Schon in zweiter Generation mit der dritten am Start beackern und bepflanzen Ingrid und Michael ihre Sellweiden-Pachtparzelle - kein Wunder, beide kommen aus Mannheim. Der Garten ist gewissermaßen zweigeteilt: Er zieht Obst und Gemüse, sie sorgt für Blumenpracht und Buddhas. Ingrid bereichert im Buch das Tischleindeckdich mit Rote Bete in Sahne-Meerrettich-Soße, Michael empfiehlt Grillkartoffeln.

Die ägyptische Familie hat zwei Jahre auf „ihren“ Pacht-Garten gewartet. © Sabine Kress

Das Deutsche Kleingartenwesen hat Geschichte

Wieso „das deutsche Kleingartenwesen eine ziemlich spannende Geschichte ist“ führt in einem Vorkapitel der Gartenexperte Volker Kugel aus, der viele Jahre Direktor des Blühenden Barocks in Ludwigsburg war. Und Andreas Huben, Geschäftsführer der gleichnamigen Baumschule, zeichnet in einem Vorwort die Wandlung des noch vor einigen Jahrzehnten als spießig empfundenen Schrebergartens samt kleinkarierter Gartenlaubenmentalität zu innerstädtischen Oasen als internationale Kulturorte nach. Und eben diese macht das Buch „schmackhaft“.

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