Idee aus der Denkblockade

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Die Saugglocke gegen Trichterbrust hat es geschafft, sich als Alternative zur Operation zu etablieren. Eckart Klobe (kleines Bild unten) berichtet von inzwischen 6000 Behandlungen. Seit 2012 ist seine Erfindung zur Korrektur einer Delle im Brustkorb auch von der US-Gesundheitsbehörde zugelassen. Für seine Innovation wurde der Mannheimer im vergangenen Jahr mit dem Strategiepreis Rhein-Neckar ausgezeichnet.

Bis dahin war es ein langer, ein steiniger Weg. Freimütig berichtet der diplomierte Chemie-Ingenieur, dass er sein Studium problemlos absolviert habe, aber "im Beruf wurde ich aber immer wieder gefeuert". Rückblickend ist Eckart Klobe überzeugt, dass "meine Naivität und Detailversessenheit" dazu geführt haben. Ohne Job, aber mit viel Zeit begann er zu tüfteln. Beispielsweise an einem elektrostatisch aufgeladenen Springbrunnen. Und weil ihn seine wiederholten Rauswürfe umtrieben, "suchte ich nach blinden Flecken in meiner Wahrnehmung".

Klobe setzte sich mit psychologischen Fragestellungen auseinander, er beschäftigte sich etwa mit Sekundärtugenden wie Fleiß und Pflichtbewusstsein. Sein selbst verlegtes Buch "Wahrnehmung, Werte und die Dynamik von Sekundärtugenden" fand allerdings kaum Interesse.

Und dennoch ebnete es den Weg zum späteren Erfolg: Klobe, der auf die Gefühlspanzer-Theorie gestoßen war, nach der permanent angespannte Bauchmuskeln Gefühls- wie Denkblockaden bewirken, wollte wissen, ob eingesunkene Rippen ebenfalls solche Blockaden auslösen können. Bei Eigenversuchen mit einer Saugglocke fand er dafür zwar keine Anhaltspunkte, stellte jedoch fest: Sein Brustkorb weitete sich - mit dem Effekt freierer Atmung.

Eckart Klobe zeigt den ersten Pro-totypen seiner Erfindung: ein Monstrum aus Baugips und Bausilikon, das er in Kombination mit einem Staubsauger betrieben hatte. "Ich glaubte, mich tritt eine Kuh", schildert er erste Anwendungen. Über das Internet suchte er Kontakt zu Ärzten. Allerdings vergebens. Stattdessen wollten Betroffene die Saugglocke bestellen. Ein gutes Jahr später, um 2001, machte sich der damalige Mittvierziger daran, ein alltagstaugliches Gerät zum Anheben des Brustkorbes zu entwickeln.

Nun verwendete er Profi-Materialien wie orthopädisches Silikon. Bei dem für eine Patentierung erforderlichen Neuheitsnachweis kam ihm entgegen, dass die Medizin davon ausging, eine Brustkorb-Delle könne nur operativ korrigiert werden. Dieses wissenschaftliche Credo führte allerdings auch dazu, dass sich keine Ärzte fanden, die mittels Saugglocke konservativ behandeln wollten. Gleichwohl stand für Klobe von Anfang an fest: Er verkauft seine Erfindung nur an Patienten, die ein Arzt betreut.

Die Wende kam mit Professor Felix Schier, damals Chef der Kinderchirurgie in Jena, später in Mainz. Der zunächst skeptische Operateur nahm Kontakt auf, weil Eltern von der Saugglocke im Internet gelesen hatten. Der Kinderchirurg wollte das Gerät selbst in Augenschein nehmen. Vielversprechende Brustkorb-CT-Aufnahmen motivierten den Kliniker, die Unterdruck-Methode auszuprobieren. Von den Bestellungen aus Jena und einem benachbarten Behandlungszentrum vermochte die 2003 gegründete Klobe-Firma jedoch kaum zu existieren.

Als einer von Schiers Ärzten bei Kongressen über gute Erfahrungen mit der unblutigen Sog-Therapie berichtete, habe es schon mal schallendes Gelächter gegeben, erzählt Klobe. Der Erfinder fühlte sich an die Hummel erinnert, die aufgrund ihrer viel zu kleinen Flügel im Verhältnis zu dem Körper eigentlich gar nicht fliegen können dürfte. Bekanntlich düst das Insekt gleichwohl durch die Lüfte - weil es aerodynamische Turbulenzen nutzt. So wie die Hummel einstigen Berechnungen zum Trotz fliegt, setzte sich die Trichterbrust-Saugglocke laut Klobe entgegen der Medizin-Lehrmeinung durch.

Jenes Ein-Zimmer-Appartement, in dem Klobe während einer 80-Stunden-Woche - zunächst allein, später von Minijobbern unterstützt - die bestellten Saugglocken selbst produzierte und den Direktvertrieb organisierte, ist Vergangenheit. Daran erinnert in der jetzigen Werkstatt samt Büroetage, wo vier feste Mitarbeiter zum Team gehören, nichts mehr. Knapp 1000 Exemplare fertigte das Kleinunternehmen im vergangenen Jahr in kompletter Eigenproduktion, der Vertrieb läuft über Klobes Internetseite und gemeinsam mit Ärzten.

Mittlerweile kommt weit mehr als die Hälfte der Bestellungen aus dem Ausland. Eckard Klobe zeigt einen Text in kyrillischen Buchstaben. Seine Gebrauchsinformation gibt es in 17 Sprachen. Besonders freut ihn, dass in jener US-Klinik, wo Donald Nuss die nach ihm benannte minimal-invasive Trichterbrust-OP-Methode entwickelt hat, neuerdings auch die Saugglocke in der Behandlung eingesetzt wird.

Der frühere Langzeitarbeitslose hat es mit seiner Firma nach eigenen Angaben mittlerweile zum Marktführer in einem scharf begrenzten Segment gebracht.

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