Energie - Der Industrie droht bei akutem Mangel die Abschaltung / Über die Reihenfolge berät zurzeit die Bundesnetzagentur

Wer bekommt noch Gas, wenn es knapp wird?

Von 
Sabine Rößing
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Gasspeicher wie hier in Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) spielen bei der Zuteilung des Brennstoffs im Notfall eine wichtige Rolle. © Jan Woitas/dpa

Mannheim. Viele Industriekunden bekommen in diesen Tagen Post von ihrem Energieversorger. Darin bereiten diese ihre Kunden auf mögliche Einschränkungen ihrer Gaslieferungen vor. Noch allerdings fehlt es an Kriterien für einen Verteilungsmechanismus, sollten Gaslieferungen priorisiert werden müssen.

Ist Gas nicht mehr in ausreichenden Mengen für den freien Verkauf verfügbar, übernimmt der Staat die Zuteilung. Es muss priorisiert werden. „Die Wahrscheinlichkeit für Gas-Rationierungen ist leider deutlich höher geworden“, sagt Christian Hampel, Energieexperte bei der BDO Legal. Sollte die Bundesregierung die sogenannte Notfallstufe ausrufen, würden Verbrauchsbeschränkungen möglich. Das, so Hampel, könne dann auch sehr schnell gehen.

Immer Einzelfall-Entscheidungen

Zuständig für die Entscheidung, wer wie viel Gas bekäme, ist die Bundesnetzagentur. Ihr obliegt als „Bundeslastverteiler“ die Zuteilung. Zunächst ausgenommen und gesetzlich besonders geschützt sind nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz private Haushalte und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser.

Notfallplan Gas

  • Das Verfahren, mit dem bei ausbleibenden Gaslieferungen die Verteilung der verfügbaren Mengen geregelt würde, ist der sogenannte „Notfallplan Gas“.
  • Dieser sieht drei Krisenstufen vor. In der aktuell geltenden Frühwarnstufe liegen konkrete, ernstzunehmende Hinweise darauf vor, dass eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgungslage eintreten könnte. Die Bundesnetzagentur soll Kriterien entwickeln, welche Industrien und Sektoren weiterhin mit Gas versorgt werden.
  • Die nächst höhere Alarmstufe beschreibt eine „Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage“. Dem Markt wird aber noch zugetraut, das Problem zu selbst zu lösen.
  • In der höchsten – der Notfallstufe – herrscht akuter Mangel. Die Folge des Notfalls ist, dass der Staat einschreiten muss, um insbesondere die Gasversorgung der „geschützten Kunden“ sicherzustellen – also etwa von privaten Haushalten. 

Betroffen wäre zunächst die Industrie. Abstrakte Kriterien für eine Abschalt-Reihenfolge gibt es nach Angeben der Behörde allerdings nicht. Der Wunsch hiernach sei vonseiten der potenziell betroffenen Unternehmen zwar wiederholt vorgetragen worden und aus Gründen der Planungssicherheit auch nachvollziehbar, sagt ein Sprecher der Bundesnetzagentur.

Die in einer Mangellage zu treffenden Entscheidungen seien aber immer Einzelfall-Entscheidungen, „weil die dann geltenden Umstände von so vielen Parametern abhängen, dass sie nicht vorherzusehen sind“. Zu diesen Kriterien gehören demnach zum Beispiel die Füllmengen vorhandener Gasspeicher, Witterungsbedingungen, europäische Bedarfe oder die Erfolge von Einsparbemühungen.

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Die Abläufe in einer Gasmangellage würden aktuell aktualisiert und optimiert, sagt die Bundesnetzagentur. Man befinde sich in regem Austausch mit Gasversorgern und Industrie. Ziel sei, die Folgen einer kurzfristigen Einstellung oder Rationierung der Gasversorgung bei den betroffenen Unternehmen und in den jeweiligen Gasnetzen besser einschätzen zu können. Die Informationen würden in eine IT-basierte Sicherheitsplattform Gas überführt, um die für eine Rationierung notwendigen Informationen besser verknüpfen zu können.

Die Abwägung, welcher Industriezweig bevorzugt beliefert werden und welcher zurückstehen müsste, ist selbst bei bester Informationslage aber komplex. Zu verwoben sind Produktionswege und Lieferketten inzwischen. Nicht nur die chemische Industrie wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass im Falle eines Fertigungsstopps wichtige Vorprodukte fehlen - auch für die Herstellung von Arzneimitteln oder Lebensmitteln.

Frage der Systemrelevanz

Zum Problem wird zunehmend, dass bisherige Mangelszenarien zumeist von eher kurzen Lieferausfällen ausgingen. Doch zeichnet sich im Augenblick ab, dass die Verknappung eine Weile anhalten könnte.

Neben den Verteilungskriterien sei auch deren Gewichtung noch nicht klar, warnt BDO-Experte Hampel. „Wir raten den Unternehmen, die sich in diesen Tagen an uns wenden, selbst aktiv zu werden. Das heißt, auf die Versorger zuzugehen und das Gespräch zu suchen“. Dafür, so Hampel, sollten sich die Unternehmen argumentativ rüsten. Mögliche Gesichtspunkte sind neben der Höhe des Verbrauchs selbst auch die Frage, wie schnell ein Betrieb auf andere Energieformen umsteigen könnte, wer seine Kunden sind und welchen Einfluss ein Produkt auf nachfolgende Produktionsschritte hat. Letztlich geht es also um die Frage nach der Systemrelevanz und der Bedeutung für die Daseinsvorsorge.

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