Mannheim. Herr Gesang, die internationale Staatengemeinschaft tut so, als könne sie den Klimawandel mit Nichtstun aufhalten. Haben Sie eine Erklärung für diese Vogel-Strauß-Haltung?
Bernward Gesang: Die Staaten befinden sich in der Tat auf einem seltsamen Trip. Sie sehen sich wechselseitig als Konkurrenten und versuchen, Vorteile aus dem Wettbewerb zu erzielen. Dass dabei der Klimaschutz zu kurz kommt, liegt daran, dass die Folgen des Klimawandels ja nicht für alle Staaten gleich sind. Die einen leiden nur unter Hochwasser, die anderen saufen aber irgendwann ganz ab, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt.
Aber was kann ich dann als Individuum machen? Bin ich nicht machtlos, wenn der Staat keine neuen Regeln aufstellt?
Gesang: Machtlos sind wir nicht. Solange die Staaten nicht den Ball spielen, der in ihrem Feld liegt, bleibt ja nur das Individuum als Einzelinstanz übrig. Wir sind dann die Lückenbüßer für eine Übergangszeit. Aber klar ist natürlich: Letztendlich brauchen wir einen internationalen Vertrag, an den sich die Staaten dann auch anders als bisher halten müssen. Sonst können wir den Klimawandel nicht mehr aufhalten.
Was schlagen Sie denn für die Übergangszeit vor? Soll ich auf Fleisch verzichten, damit meine CO2-Bilanz ausfällt?
Gesang: Das können Sie schon machen. Das Problem ist nur, dass ich nicht glaube, dass wir in Deutschland jetzt alle Vegetarier werden. Dafür sind die Ernährungsgewohnheiten bei vielen zu eingefahren. Der Effekt wäre also begrenzt.
Nicht jeder will nur Müsli mit Hafermilch essen
Aber es wäre nach Ihrer Logik wenigstens ein Anfang gemacht.
Gesang: Das stimmt, aber ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie wir alle viel mehr CO2 einsparen könnten, selbst wenn die große Mehrheit weiter Fleisch isst.
Erklären Sie mir das bitte.
Gesang: Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Wenn ich ein Jahr lang auf Fleisch verzichte, dann würde ich 450 Kilogramm CO2 einsparen und hätte dann 650 Euro mehr in der Tasche. Ich könnte aber auch einfach weiter Fleisch essen und die genannte Summe zur Förderung von Klimaschutzprojekten in Ländern des Globalen Südens spenden. Damit würde ich dann aber 28 000 Kilogramm Kohlenstoffdioxid einsparen. Der Effekt wäre also um den Faktor 60 Mal so groß. Das eigene Emissionsverhalten umzustellen, ist also keinesfalls am effektivsten, auch wenn das viele glauben und auch noch sexy finden.
Ich könnte aber trotzdem auf Fleisch verzichten.
Gesang: Das stimmt, aber es würde nichts an den genannten Relationen ändern. Deshalb wäre es besser, wenn Sie zusätzlich spenden würden, zum Beispiel für den Regenwald oder die Renaturierung von Mooren. Außerdem bekommen Sie vom Fiskus etwas zurück, wenn Sie für eine gemeinnützige Sache Geld spenden. Diesen Steuerbonus könnten Sie mit einer größeren Wirkung als die Verhaltensumstellung einsetzen. Die Verhaltensumstellung hat ja außerdem auch noch einen besonderen Nachteil.
Welchen denn?
Gesang: Wenn ich auf Fleisch verzichte oder mein Auto verkaufe, dann hilft das ja nur, wenn auch viele andere das gleichzeitig so machen. Darauf habe ich überhaupt keinen Einfluss. Ich kann Ihnen noch ein anderes Argument nennen.
Gerne!
Gesang: Die rot-grüne Bundesregierung hat 1999 die Ökosteuer eingeführt. Die Spritpreise sind damals stark gestiegen, der Benzinverbrauch ist aber kaum gesunken. Auch das belegt, dass wir eher bereit sind, Geld zu geben als unser Verhalten zu ändern. Nicht jeder will eben morgens nur noch Müsli mit Hafermilch essen. Damit kommen Sie vielleicht bei der klassischen Grünen-Klientel an, die über eine gewisse Opfermentalität verfügt. Die breite Masse will das aber nicht. Aber auf die kommt es ja an, wenn wir das Klima retten wollen.
Also spenden, spenden, spenden!
Gesang: Ja. Wenn wir verhindern wollen, dass Brasilien den Regenwald plattmacht, müssten wir diesem Land jedes Jahr mindestens zwei Milliarden Euro zahlen. Deutschland hat aber nur 200 Millionen Euro überwiesen. Mit solchen lächerlichen Beträgen können wir nicht verhindern, dass die Ökosysteme im Globalen Süden den Geist aufgeben. Wenn wir aber im großen Stil spenden würden, käme ein Riesenbetrag zusammen. 2023 haben die Deutschen immerhin fast fünf Milliarden Euro gespendet. Das Spendenwesen ist bei uns stark ausgeprägt und hat schon eine lange Tradition.
Wie viel sollen denn die Leute nach Ihrer Meinung spenden?
Gesang: Normalverdiener sollten vier Prozent ihres Nettojahresgehalts spenden. Das wären bei 24 000 Euro also 80 Euro im Monat. Starke Schultern sollten aber wie bei der Einkommensteuer mehr tragen. Wer wie ich zu den Guten und nicht zu denjenigen gehören will, denen alles egal ist, muss mindestens im unteren Prozentbereich seines Einkommens intervenieren, sonst kann er nicht behaupten, dass ihm das Elend in der Welt ernsthaft etwas ausmacht. Er muss seine moralische Spenden-Benchmark zudem höher ansetzen, als er dem Klima durch seinen Konsum schadet. Vielverdiener stehen entsprechend mehr in der Pflicht. Ich spende deshalb 15 Prozent und setze hier auf Vorbildwirkung. Auf meinem Rechner habe ich die grüne Suchmaschine Ecosia installiert. Ich google damit mit jedem Klick für den Regenwald. Das kostet mich nichts, doch der Klimaschutz profitiert davon. Das Unternehmen steckt mindestens 80 Prozent des Gewinns ins Pflanzen neuer Bäume.
Bernward Gesang
Bei der Debatte über den Klimawandel haben inzwischen die Pessimisten Hochkonjunktur. Kein Wunder, die Staaten machen ja nichts. Doch der Philosoph Bernward Gesang (Jahrgang 1968) von der Universität Mannheim warnt davor, dass wir schon jetzt resignieren, und verlangt vom Individuum, dass es etwas tut.
In seinem Buch „Mit kühlem Kopf“ (2020) erklärt Gesang – so der Untertitel – „Wie die Philosophie dem Klima hilft“ und entwickelt Strategien im Kampf gegen den Klimawandel. Zum Beispiel Spenden. Auf seiner Homepage nennt er Beispiele für geeignete Projekte, die dem Klimaschutz dienen. was
Ich habe mir ein iPhone gekauft, als Kompensation pflanzt Apple einen neuen Baum.
Gesang: Davon halte ich wenig. Das sind oft diese dubiosen Kompensationsgeschäfte, die ja nicht den Ausstoß von CO2 automatisch abbauen.
Bäume sind doch CO2-Speicher.
Gesang: Die Produktion eines iPhones ist schädlich fürs Klima, und wenn der Baum nach zehn Jahren abgeholzt wird, statt CO2 langfristig zu binden, dann sind Sie CO2-mäßig wirklich dick im Minus. Im Idealfall ist es höchstens ein Nullsummenspiel, aber ich komme natürlich nie vom CO2 herunter. Das heißt, es reicht nicht, wenn wir kompensieren, wir müssen überkompensieren. Das heißt, wir müssen mehr spenden, als wir kaputt machen.
Kritiker sagen oft: Das Geld kommt nicht an der richtigen Stelle an.
Gesang: Das sind billige Ausreden. Wozu haben wir denn Spendensiegel? Natürlich kommen Spenden an. Eine Spende hat ja nicht nur den Vorteil, dass sie, wenn sie das Klima über Armutsbekämpfung im Regen schützt, die Armut reduziert, und zwar ohne die Kooperation breiter Bevölkerungsschichten. Wenn die Bauern Geld bekommen, müssen sie den Regenwald nicht verkaufen. Und wenn der dann erhalten bleibt, tun wir nicht nur etwas für das Klima, sondern auch für den Artenschutz.
Betreiben wir dann aber nicht einen Ablasshandel?
Gesang: Nein. Spenden ist kein Ablasshandel. Die katholische Kirche hat den Gläubigen das Geld mit zweifelhaften Versprechungen abgeknöpft und damit den Petersdom in Rom gebaut. Wir dagegen betreiben mit den Spenden Klimaschutz, und zwar dort, wo der Effekt am größten ist.

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Dafür darf ich dann weiter Fleisch essen und meinen alten Verbrenner fahren.
Gesang: Natürlich bleibt da irgendwie ein schales Gefühl zurück. Wer will, kann ja aufs Fleisch und aufs Auto verzichten, wenn er sich dann besser fühlt. Und er kann auch zusätzlich spenden. Klar ist nur: Wenn wir auf dieser Insel des Reichtums leben, während vor unserer Küste Menschen ertrinken, können wir uns nur dann zu guten Menschen erklären, wenn wir uns im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten engagieren. Das ist jedenfalls keine Überforderung. Sonst müssen wir uns eingestehen, dass uns die Not der Anderen schlicht egal ist, und wir nicht zu den guten Menschen gehören können. Aber jeder meint, er gehöre zu denen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, glauben Sie, dass es effektiver ist, in den Klimaschutz im Globalen Süden zu investieren als in Deutschland.
Gesang: So pauschal kann man das nicht sagen. Bei der Produktion von Stahl entsteht sehr viel CO2. Wenn es gelingt, die Emissionen mit dem Einsatz von Wasserstoff im Inland zu reduzieren, ist das natürlich sinnvoll, besonders, wenn wir die Technik teilen: Die Länder im Globalen Süden gehören zu den großen zukünftigen Emittenten. Da sind dann wiederum Investitionen in neue Technologien, die erst im Inland entwickelt werden, sinnvoll, die es diesen Ländern dann erlauben, praktisch eine Stufe zu überspringen, ohne jahrzehntelang die schmutzige Kohle als Energieträger einzusetzen.
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