Mannheim. Block 9 des Mannheimer Grosskraftwerks (GKM) läuft zurzeit auf Volllast. Der Bedarf an Strom aus Steinkohle ist hoch, und so profitiert Deutschlands größtes Steinkohlekraftwerk von der aktuellen Energiekrise. Auch die Netzreserve wird öfter „angezapft“: „Wir haben in diesem Jahr weitaus höhere Abrufe als 2021, und wenn ein Abruf kommt, dann ist er für einen längeren Zeitraum notwendig“, sagte Gerard Uytdewilligen (kl. Bild oben), Technischer Vorstand des GKM, bei einem Vortrag vor Mitgliedern des Clubs der kurpfälzischen Wirtschaftsjournalisten.
Die Energiekrise sorgt außerdem für einen weiteren Effekt: „Die Kohlekraftwerke haben sich 2022 in der Merit-Order verbessert“, sagte Uytdewilligen. Als Merit-Order bezeichnet man die Einsatzreihenfolge der an der Strombörse anbietenden Kraftwerke. Zuerst werden Kraftwerke herangezogen, die günstig Strom produzieren, um die Nachfrage decken zu können. Den Preis bestimmt allerdings das zuletzt geschaltete und teuerste Kraftwerk. Das waren dieses Jahr lange Zeit Gaskraftwerke, doch inzwischen hat der Gaspreis wieder nachgegeben. „Bestimmte Gaskraftwerke sind in der Produktion wieder günstiger“, ergänzte Holger Becker, Kaufmännischer Vorstand beim GKM.
Russland war größter Steinkohle-Lieferant
Das GKM hat seit Mai 2020 Block 7 in der Netzreserve. Nun plant die Bundesregierung, für die Stromerzeugung Anlagen wie diese befristet bis Ende März 2024 wieder regulär ans Netz zurückzubringen. Doch mit den Rahmenbedingungen ist Becker nicht zufrieden: „Die Mechanismen sind so unzureichend, dass sie für uns nicht wirtschaftlich sind.“ Denn alle Schäden, die im Betrieb entstehen, müsse das GKM selber tragen. „Die Risiken werden auf die Kraftwerksbetreiber transferiert“, kritisiert Becker. Man müsse für Kosten aufkommen, für die man nicht verantwortlich sei. „Wenn an den Bedingungen nichts geändert wird, ist es unwahrscheinlich, dass wir dabei sind.“
Die Erlöse des Marktes müssten höher sein als die Kosten, die aus der Netzreserve entstehen. „Wenn die Preise passen, bringen wir Block 7 auch wieder ans Netz“, kündigte Becker an. Wegen der schwankenden Preise für Erdgas sei der Block vergangene Woche für einige Tage nicht in Betrieb gewesen, da das „betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll“ gewesen sei. An fehlender Kohle indes wird der Betrieb am GKM nicht scheitern. Größter Lieferant für Steinkohle war bis zum vergangenen Jahr Russland. Von dort kam genau die Hälfte der insgesamt nach Deutschland importierten 41,1 Millionen Tonnen. Hinter Russland folgen die USA und Australien mit zusammen rund 30 Prozent.
Dass Russland infolge der Sanktionen wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine nun als Lieferant ausfällt, ist nach Ansicht Beckers trotzdem kein großes Problem. Weil der Weltmarkt für Steinkohle sehr liquide sei, brauche man sie theoretisch überhaupt nicht und könne sie aus anderen Ländern beziehen. Dennoch habe die russische Kohle einige Vorteile: kurze Transportwege und eine sehr hochwertige Qualität, was die Heizwerte, den Asche- oder Quecksilbergehalt angehe.
Kohle aus Russland ersetzt
„Nicht jede Kohle kann in jedem Steinkohlekraftwerk verbrannt werden“, klärt Becker auf. Deshalb werde nun mehr mit Mischungen aus verschiedenen Herkunftsländern gearbeitet, um die Qualitätsunterschiede zu kompensieren. Nach Jahren des Rückgangs stieg im vergangenen Jahr die Menge der importierten Steinkohle übrigens wieder deutlich an: um rund zehn Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr.
Mittelfristig allerdings will Deutschland weg von fossilen Energieträgern und bis 2045 klimaneutral werden, der Kohleausstieg soll bis 2030 gelingen. Becker nennt das Ziel „ambitioniert und sehr herausfordernd“. Solange die Suedlink-Leitung nicht fertiggestellt ist, seien die GKM-Anlagen systemrelevant. Die geplante Gleichstromleitung soll den an den Küsten im Norden erzeugten Windstrom in den Süden transportieren und die fossil betriebenen Kraftwerke im Süden überflüssig machen. Mit einer Inbetriebnahme wird aber nicht vor 2028 gerechnet.
Becker untermauerte seine Skepsis mit Zahlen. Von mehr als 12 000 Kilometern Netzausbau seien erst rund 18 Prozent fertiggestellt, 22 Prozent aber noch nicht einmal im Genehmigungsverfahren. Auch die notwendigen jährlichen Ausbauziele für die erneuerbaren Energien für Windkraftanlagen auf dem Wasser (Offshore) und zu Lande (Onshore) sowie für Photovoltaikanlagen seien in weiter Ferne. Für Onshore-Anlagen sei ein durchschnittlicher jährlicher Zuwachs von 6,5 Gigawatt (GW) notwendig, tatsächlich liegt er bei 2,7, in den vergangenen fünf Jahren war er sogar rückläufig. Bei Offshore-Anlagen liegt der Zuwachs nur bei 0,7 statt der erforderlichen 2,4 GW und bei Photovoltaik bei 3,8 statt der notwendigen 15,7 GW.
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