Mannheim. Besonders abends und am Wochenende wird es laut in der Erbprinzenstraße. Dann nämlich kommen auch die „Krachmacher“, wie Anwohner Haakon Becker sie nennt. „Die Autos stauen sich zu den Stoßzeiten in den Abendstunden nicht nur, sondern da wird auch die Musik laut aufgedreht. Die Stadt ist unangenehm geworden“, sagt der 78-Jährige. Seit 44 Jahren wohnt Becker nun schon hier, genauer im Quadrat U 2. Eigentlich ist er gerne Mannheimer, hat sich hier immer wohlgefühlt.
Seit dem Start des Verkehrsversuchs hat sich für Becker aber viel verändert: Besonders die Anwohner in der Erbprinzenstraße seien die Hauptleidtragenden, schließlich fließt hier nun der umgeleitete Verkehr der abgesperrten Fressgasse durch. Neben dem neuen Andrang an Autos hätten sich zusätzlich die Probleme der Kunststraße in seine Straße verlagert. „Auch die Poser fühlen sich in der Straße sehr wohl. Manche geben vor der Ampel richtig Gas, lassen den Motor aufheulen und bremsen dann wieder ab“, beschreibt der Mannheimer die Lage.
Ausweichrouten gesucht
Der Verkehrsversuch hat zu mehr Verkehr in der Erbprinzenstraße geführt. Aber hat er auch das Problem mit den Posern samt Motorlärm in Kunststraße und der Fressgasse in die Erbprinzenstraße verlagert? Eine klare Antwort darauf kann man zwar auch beim Polizeipräsidium (PP) Mannheim noch nicht geben, schließlich sei der Verkehrsversuch erst seit Kurzem „effektiv aktiv“. Trotzdem sei jetzt schon für die zuständige Verkehrspolizei erkennbar: Durch die neuen Sperrungen würden von Posern „Ausweichrouten gesucht“, da sich die „beschriebene Szene nicht mehr auf der Rundtour ‚Fressgasse-Kunststraße’ zeigen“ kann. Hinweis auf neue „Poser-Routen hat man bei der Verkehrspolizei aber bislang noch nicht, heißt es auf Anfrage.Vergleicht man nun die nackten Zahlen vor und nach dem Verkehrsversuch, die die Ermittlungsgruppe „Poser“ der Verkehrspolizei jeweils in den Sommermonaten bis Oktober ermittelt hat, zeigt sich zunächst ein aufsteigender Trend: So hat die Ermittlungsgruppe in diesem Jahr 418 Verwarnungen ausgesprochen (2021 waren es 210), fast das doppelte an Ordnungswidrigkeiten-Verfahren eingeleitet (von 358 im Vorjahr auf 680 in diesem Jahr). Auch die Zahl der Straftaten hat sich fast verdoppelt von 29 auf 60.
Allerdings hinkt der Vergleich dieser Zahlen, schließlich haben die Ermittler in diesem Jahr deutlich mehr Fahrzeuge in Mannheim kontrolliert als 2021: Waren es aktuell 2223 Fahrzeuge, wurden im Vorjahr 1787 kontrolliert, also rund 440 Fahrzeuge weniger. Aber hat sich nun das Problem mit der Rundtour der Poser durch die Fressgasse und Kunststraße durch den Verkehrsversuch verlagert - und wenn ja, wohin genau? Auf diese Frage erklärt das PP gerade heraus: „Eine Verlagerung ist nicht feststellbar.“ Zudem habe der Verkehrsversuch nur geringe Auswirkungen auf das Poseraufkommen, würden die Kontrollmaßnahmen für die Quadrate bislang völlig ausreichen. Ob der Verkehrsversuch nun einige abgeschreckt, mit ihren Karren in der Innenstadt zu protzen, dazu ist „eine valide Aussage nicht möglich“, so das PP. Mit Blick auf die Erbprinzenstraße nennt das PP auf Anfrage die Anzahl an Verwarnungen, die in diesem Jahr leicht rückläufig ist: So wurden 2022 dort 202 Verwarnungen wegen unnötigen Lärms ausgesprochen, im Jahr davor waren es 210.
Wie belastend der Motorlärm für diejenigen ist, die in den Quadraten wohnen, macht auch ein Brief des Bürger- und Gewerbevereins Östliche Innenstadt an die vier Mannheimer Bundestagsabgeordneten deutlich. Darin bringt der Vorstand die aktuelle Lage auf den Punkt: Zwar hat sich „im Rahmen des Verkehrsversuchs Mannheim Innenstadt gezeigt, dass in der Fressgasse, in der Kunststraße und in der Marktstraße der Verkehr geringer geworden ist, jedoch noch nicht in der Erbprinzenstraße“.
Lärm für Bewohner „unzumutbar“
Für den Bürgerverein ist die Belästigung durch röhrende Motoren von Posern zwar insgesamt geringer geworden. Sie bleibt aber weiter ein Problem in der Innenstadt, das „insbesondere bei Nacht für Bewohnerinnen und Bewohner weiterhin höchst störend und unzumutbar ist.“ Der Verein fordert schärfere bundesweite Strafen für Poser, da der Kampf dagegen nicht nur von der Polizei ausgetragen werden könne. Für Anwohner Haakon Becker sind nicht die Poser allein das Problem, sondern der Verkehrsversuch selbst. „Der Ring fesselt die ganze Innenstadt, weil nun jeder darauf abfahren will.“ Zudem würden viele die Fressgasse meiden und auf die Seitenstraßen ausweichen - und diese verstopfen. Die Folgen sind in seiner Straße spürbar: stundenlange Staus, Musik und Motorlärm.
Wie störend das für die Bewohner in der Erbprinzenstraße ist? Fenster zu öffnen an heißen Tagen, das sei nicht mehr möglich, sagt Becker. Allein in seinem Haus seien deshalb in diesem Sommer und Herbst drei Parteien ausgezogen - die neusten Mieter hätten nur drei Monate durchgehalten. „Wir haben den Verkehrsversuch mitgemacht. Aber so, wie er jetzt ist, funktioniert es nicht“, ist Becker überzeugt. Er will sich weiterhin für andere Lösungen engagieren, damit er sich in seinem Quadrat wieder wohlfühlen kann.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Poser in Mannheimer Innenstadt: Probleme nur verlagert?