Podcast - Kriminalfälle in der Region

Verbrechen im Quadrat: Tötung aus Liebe?

Was geht Ermittlern am Tatort durch den Kopf? Wie laufen Obduktionen und Vernehmungen ab? Wann landen die Fälle am Gericht? In „Verbrechen im Quadrat“, dem Crime-Podcast des „Mannheimer Morgen“, öffnet Gerichtsreporterin Angela Boll gemeinsam mit den Hauptakteuren von damals noch einmal die Akten von Fällen aus der Region.

Von 
Angela Boll
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Der Mannheimer Anwalt Hans Ulrich Beust, der den Täter verteidigt hat, im Gespräch mit Redakteurin Angela Boll. © Lea Seethaler

Mannheim. Aus Liebe töten - geht das? Der Mannheimer Strafrechtler Hans Ulrich Beust hält es für eine absolute Ausnahme, aber er ist sich sicher, einen solchen Fall erlebt zu haben. Im Jahr 2010 lernte er einen Mann kennen. 80 Jahre alt, ein Mannheimer, kompetent und redegewandt. Beust war gebeten worden, ihn zu besuchen, um ihn zu verteidigen. Denn der 80-Jährige hatte wenige Tage vor diesem ersten Aufeinandertreffen seine Ehefrau getötet. Die beiden begegneten sich nicht in der Untersuchungshaft der JVA, wie das üblich ist, wenn jemand im Verdacht steht, einen Menschen getötet zu haben. Schon das war „außergewöhnlich“, erinnert sich Beust.

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In einer neuen Folge von „Verbrechen im Quadrat“, dem Crime-Podcast des „Mannheimer Morgen“, erzählt der Mannheimer Anwalt die ganze Geschichte eben von diesem ersten Kennenlernen, von den Gesprächen über die Tat, die weiteren Begegnungen, dem Prozess und der Verabschiedung vor der Tür des Landgerichts. „Ich habe diesen Fall sehr bald als eine besonderen angesehen“, sagt Beust in dem Gespräch mit Gerichtsreporterin Angela Boll. Ähnlich erging es dem damals ermittelnden Oberstaatsanwalt Stephan Ullrich. Er ist mittlerweile pensioniert, hat aber die Akten zu diesem Fall noch einmal hervorgeholt und sich erinnert. Auch er kommt in der Podcast-Folge „Tötung aus Liebe?“ zu Wort und erklärt, warum er auf den Antrag auf Untersuchungshaft verzichtet hat.

„Ruhiges Spurenbild“

Als einer der ersten war damals Kriminalhauptkommissar Carsten Storck am Tatort, noch bevor Staatsanwalt Ullrich ins Spiel kam, und Verteidiger Beust das Mandat übernahm, begegnete Storck dem 80-jährigen Verdächtigen. Auf einem Stuhl sitzend traf er den Mann am Tatort an, im Schlafzimmer, direkt neben dem Bett, in dem die tote Ehefrau lag. Die Stimmung, die Atmosphäre, seine ersten Eindrücke - das alles schildert der Kripo-Beamte bei „Verbrechen im Quadrat“, und komplettiert damit als dritter Gesprächspartner von Angela Boll das Experten-Team in dieser Podcast-Folge. Es habe sich ihm damals ein „ruhiges Spurenbild“ geboten, sagt er. Alles sei geordnet gewesen, sauber und der Mann, der von Anfang an zugegeben hatte, seine Frau erwürgt zu haben, habe „sachlich und unaufgeregt“ alle Frage beantwortet.

Die Gesprächspartner

  • Hans Ulrich Beust ist seit 40 Jahren Fachanwalt für Strafrecht und hat in vielen spektakulären Prozessen verteidigt, aber auch die Nebenklage vertreten.
  • Kürzlich feierte er seinen 70. Geburtstag und kündigte im „MM“ seinen Rückzug an. Zuletzt verteidigte er im Hygiene-Prozess den Ex-Geschäftsführer des Mannheimer Klinikums.
  • Kriminalhauptkommissar Carsten Storck arbeitet seit 2010 im Kriminalkommissariat Mannheim.
  • Storck hat beim Dezernat für Kapitalverbrechen in zahlreichen Sokos mitgearbeitet, beispielsweise in der Soko „Judith“ und in der Soko „Cäsar“. Beide Fälle sind bei „Verbrechen im Quadrat“ schon vorgestellt worden.
  • Oberstaatsanwalt Stephan Ullrich war von 1985 bis 2018 Staatsanwalt in Mannheim.
  • Bei der Staatsanwaltschaft Mannheim arbeitete er unter anderem in der Betäubungsmittel-Abteilung, ab 2000 führte er verschiedene Abteilungen an.

Über 50 Jahre verheiratet

Ein ähnliches Bild des Täters zeichnet Verteidiger Beust. „Er konnte gut formulieren, war ausgesprochen höflich“, berichtet der Strafrechtler. Zwei Fähigkeiten, die ihm bis dato in den vielen Gesprächen, die er mit Verdächtigen eines Tötungsdelikts geführt hatte, eher selten begegnen waren. Auch die offene, ruhige Art, das Geschehen wiederzugeben sei besonders gewesen: „Er hat die Tat geschildert wie ein Beobachter.“

Über 50 Jahre waren Täter und Opfer verheiratet, sie hätten zurückgezogen gelebt, unauffällig, sagt Beust. Zunehmend war für die Beiden der Alltag zur Herausforderung geworden, insbesondere die Frau sei körperlich stark eingeschränkt gewesen, habe unter Schmerzen gelitten. „Heini, hilf mir!“, soll sie oft zu ihrem Mann gesagt haben. Und er habe es so verstanden, dass er sie von all dem Ballast erlösen soll. Denn tatsächliche Hilfe von medizinischen Fachkräften lehnte seine Frau vehement ab. Auch am Tattag, morgens, habe die Frau wieder um Hilfe gebeten, so beschreibt es der Mann in allen Vernehmungen. Er habe spontan gehandelt, die Tat nicht geplant. „Der Gedanke kam wie ein Blitz vom Himmel“, sagt Beust. Dennoch handelte der Mann wohl überlegt. Zuerst, so berichtet sein Anwalt, habe der 80-Jährige seiner Frau einen Schlag verpasst, wollte sie benommen machen, damit sie nichts mitbekommt. Dann drückte er zu. Er erwürgte seine Frau und sah ihr dabei in die Augen. „Eine drastische Methode“, das kann auch Beust nicht leugnen. Aber in den vielen Gesprächen mit seinem Mandanten erfuhr er, warum dieser so handelte. „Er hat den Blick seiner Frau als Einverständnis verstanden.“ Gleich nach der Tat habe der 80-Jährige seine Tochter informiert und sie gebeten, die Polizei zu rufen.

Für Oberstaatsanwalt Ullrich, der die Tat für die Anklage juristisch einordnen musste, war der Fall klar. Der 80-Jährige wurde wegen Totschlags angeklagt. Anwalt Beust hoffte auf eine Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen, wollte erreichen, dass sein Mandant auf freiem Fuß bleibt und eine Bewährungsstrafe bekommt. Obwohl die Hoffnung in erster Instanz nicht erfüllt wurde, spricht der Anwalt heute noch von einer „übergroßen Empathiefähigkeit des Staatsanwalts, der ermittelnden Beamten und des Richters“. Zwei Jahre und sechs Monate lautete das Urteil. Keine Bewährung also. Beust legte Revision ein. „Ohne riesige Hoffnung“, wie er im Podcast erzählt. Aber es kam doch zu einer zweiten Verhandlung und am Ende zu einer Bewährungsstrafe.

83 Jahre alt war der Täter, als er das Gericht verließ und sicher sein konnte, nicht ins Gefängnis zu müssen. In „Verbrechen im Quadrat“ sagt Oberstaatsanwalt Ullrich: „Das war gut so.“

Redaktion Lokalredakteurin, Gerichtsreporterin, Crime-Podcast "Verbrechen im Quadrat"

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