"Er gehört zu den Fällen, die man als Kriminalbeamter in seinem Leben nie vergisst“ – Heinz Gräter, Kriminaloberrat im Ruhestand, spricht über den Dreifachmord von Ziegelhausen. Ein Fall, der nicht nur ihn, sondern viele Freunde, Nachbarn und Anwohner bis heute bewegt. Im Jahr 2002, einen Tag vor Heiligabend, werden in einer Praxis das Ärzteehepaar und die Sprechstundenhilfe tot aufgefunden.

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In „Verbrechen im Quadrat“, dem Crime-Podcast des „Mannheimer Morgen“, packt der Ermittler noch einmal alle seine Erinnerungen an seinen wohl spektakulärsten Fall aus. Fast 20 Jahre ist es her und doch haben sich bei Gräter die vielen Details auf dem Weg zum Tatort bis heute ins Gedächtnis gebrannt. Er habe im Kino gesessen, als das Telefon klingelte, weiß er noch, sah „Harry Potter“.
Nie wird er mit diesem Filmhelden ein Happy End verbinden, das weiß Gräter heute. Als er sich damals aus dem Kinosaal schlich und ins Auto stieg, ahnte er von alledem nichts. Weihnachten lag in der Luft, die Lichterketten strahlten, nur rund um die Arztpraxis in Ziegelhausen herrschte eine Betroffenheit, wie sie Gräter bis dato nicht kannte – jedenfalls nicht an einem Tatort.
Kein Tatort wie jeder andere
Normalerweise, so sagt Gräter, gilt bei der Arbeit: Distanz. Vermutlich, glaubt er, auch eine Art emotionale Ablenkung. „Da werden auch schon mal nicht ganz so passende Witze gerissen“, berichtet der ehemalige Kripo-Chef von Heidelberg. Nicht aber am 23. Dezember 2002 in Ziegelhausen: „Da war die Betroffenheit greifbar.“ Gräter blickt im Interview mit Gerichtsreporterin Angela Boll auch auf seine Karriere zurück, acht Sonderkommissionen hat er in seiner Zeit in Heidelberg geleitet und eben auch die Soko „Praxis“.
Sein Kollege, Erster Kriminalhauptkommissar Klaus Rostock, koordinierte in der Soko „Praxis“ die Ermittlungen. Es mag, so sagt er rückblickend, ein „Vorteil“ gewesen sein, dass er selbst nicht am Tatort war, die Opfer nie gesehen hatte. Denn: „Gefühle können schädlich sein, zumindest beim Ermittler“, findet Rostock. Die Arbeit in diesem Fall sei durch die Feiertage erschwert worden. Wo wurden die Handschließen gekauft, mit denen die Opfer gefesselt waren, woher stammte das Seil, mit dem sie an die Heizung geknotet waren, wurden die am Tatort gesicherten Zigarillo-Stummel vom Täter geraucht? Auf diese Fragen suchten die Beamten Antworten. „Ermittlungen sind Fleißarbeit“, verrät Rostock bei „Verbrechen im Quadrat“ und man sei immer dazu angehalten, die Motivation hochzuhalten.
Obduktion an Heiligabend
Der Dreifachmord von Ziegelhausen ist die erste Folge bei „Verbrechen im Quadrat“, die in zwei Teilen erzählt wird. Schon in zwei Wochen, am 14. April, erscheint auf den gängigen Internetplattformen wie Spotify, Apple Podcast oder Deezer, dann der zweite Teil. Rechtsmedizinerin Kirsten Stein kommt darin zu Wort und berichtet, wie sie das Plätzchenbacken unterbrechen musste, weil sie an den Tatort gerufen wurde. Bei der Ankunft in Ziegelhausen und dem ersten Blick in die Praxis sei ihr sofort klar gewesen, „dass sich hier was ganz Schlimmes ereignet hat, was wirklich richtig Schlimmes“. Die Obduktion führte sie mit ihrer Kollegin direkt an Heiligabend durch, ermöglichte der Familie der Sprechstundenhilfe noch am selben Tag das Abschiednehmen. Stein erklärt im Podcast auch, warum es so wichtig ist, dass sie sich als Rechtsmedizinerin ein Bild vom Tatort machen kann. An diesem Abend sei sie genervt gewesen, weiß sie noch, weil die Spurensicherung so lange brauchte und sie warten musste: „Später habe ich festgestellt, das war ganz wesentlich. Durch deren sehr gute Arbeit konnte der Täter überführt werden.“
Die Öffentlichkeitsfahndung habe einiges ins Rollen gebracht, gibt Heinz Gräter einen Einblick in die Ermittlungen. Dadurch sei der Täter nervös geworden, habe den „plumpen Versuch unternommen“, wie es Gräter formuliert, mit einem Brief an die Soko von sich abzulenken. Der Soko-Leiter beschreibt im Podcast-Gespräch auch, warum er sich sicher war, dass die handschriftlichen Zeilen tatsächlich vom Täter stammten. Viele Puzzleteile fügten sich dann innerhalb weniger Tage zusammen und ergaben das Bild eines mittellosen Einzeltäters, der es wohl auf das Geld des Ärzte-Ehepaars abgesehen hatte. Durch die Mithilfe einer engagierten Mannheimer Verkäuferin, die später für ihren Einsatz eine Belohnung erhielt, kamen die Ermittler dem Mann auf die Spur. Ein 51-jähriger Sozialhilfeempfänger aus Mannheim wurde als Täter überführt. Er hatte – da ist sich Gräter sicher – geahnt, dass sie ihm auf die Schliche kommen werden, habe mit einem Brief, der einem Geständnis gleich kam, zuhause in seinem Sessel gesessen und auf die Beamten erwartet.
Der 51-Jährige wurde vor dem Heidelberger Landgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, der Richter stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Dieses Urteil, so sagt Gräter ganz offen, empfinde er als „Genugtuung“.
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