Mannheim/Berlin. Die Anspannung steigt. Im Laufe des Mittwochs tagt die Jury des Theodor-Wolff-Preises und wird über die Gewinnerin entscheiden. Am selben Abend wird der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) dann den renommierten Journalistenpreis in Berlin vergeben. Nominiert ist auch „MM“-Redakteurin Angela Boll in der Kategorie „Bestes lokales Stück“ mit ihrem Text „Abschiednehmen in der Pandemie“ aus der Ausgabe vom 19. November 2021. Der Artikel beschreibt stellvertretend für viele Verstorbene den Abschied eines infizierten Mannes und die Gedanken derer, die ihn begleitet haben. „Es ist nicht nur die Geschichte eines Sterbenden, sondern auch die der Menschen, die ihn begleiten wollten und mussten“, sagt Boll gegenüber des BDZV zu ihrem Artikel.
Für diesen begleitete sie die Tochter des verstorbenen Mannes, die Leiterin des Pflegeheims, in dem er seine letzte Ruhe fand, eine dort arbeitende Altenpflegerin und den Pfarrer, der die Krankensalbung erteilte. „Der Tag, an dem der Mann starb, war das Ende eines langen Pandemie-Ertragens, und alle, die zu Wort kommen, waren diesen Weg mit dem Mann gegangen“, betont Boll. Denn sie alle nahmen unter Corona-Bedingungen Abschied von dem 88-Jährigen. „Sie mussten sich ja alle an Gesetze halten. Also an Vorgaben, die einfach so unglaublich wichtig waren und gar nicht emotional in diese Situation gepasst haben“, erklärt Boll.
„Unglaublich dankbar“
Die Idee zu ihrem Artikel hatte sich über Monate hingezogen. Im Laufe des Prozesses war dann der Zeitpunkt gekommen, „dieses Beispiel der menschlichen Nähe in Zeiten des Abstandgebots öffentlich zu machen“, so Boll. So spiele auch die Vorgeschichte eine Rolle in ihrem Artikel: „All die Einschränkungen, die sowohl der 88-Jährige, aber auch die Verwandten sowie die Angestellten des Pflegeheims aushalten mussten“, sagt sie. Deswegen sei es die Geschichte der Betroffenen, so Boll, „und sonst nichts“, weswegen sie den Text in der Ich-Form geschrieben hat. Heraus kam eine emotionale Geschichte, für die Boll „unglaublich dankbar“ sei. „Ich freue mich, dass ich Menschen erreicht habe“, betont die Autorin.
Das haben auch die zwei anderen Nominierten mit ihren Beiträgen, mit denen Boll um den Preis konkurriert.
Kidane und Herr Schweitzer
Die Geschichte „Kidane und Herr Schweitzer“ von Sigrid März , die im Münsteraner Lokaljournalismus-Projekt und Stadtmagazin „RUMS“ erschienen ist, spielt im Stadtteil Coerde in Münster, wo jedes zweite Kind in Armut lebt. März, eigentlich Wissenschaftsjournalistin, wollte analysieren, welche Auswirkungen Pandemie und Armut auf die sowieso nicht allzu hohen Bildungschancen der Kinder haben. Dabei stieß sie auf die Initiative ChaCK (Chancen für alle Coerder Kinder), die das bei den Kindern vorhandene Potenzial fördern und ihnen eine feste Struktur geben möchte. So stand 2020 bei ChaCK ein Theaterstück als Projekt an, an dem auch Kidane teilnahm. Der Zehnjährige war einst aus Eritrea geflüchtet und wohnt nun bei seiner Tante, die selbst nur bis zum zwölften Lebensjahr die Schule besuchte. Keine einfachen Bedingungen für Kidane.
ChaCK will erreichen, dass die Bildungschancen steigen, gleichzeitig macht die Initiative Kindern wie Kidane Hoffnung. „Wenn er darüber gesprochen hat, haben die Augen geleuchtet. Es hat ihm nicht nur Spaß gemacht, sondern ihn auch weiter gebracht“, ist sich März sicher. All ihre Eindrücke hat sie in ihrer informativen, aber auch rührenden Reportage zusammengetragen. „Herausgekommen ist am Ende eine sehr persönliche Geschichte über Kidane und Herrn Schweitzer, über den Münsteraner Stadtteil Coerde sowie die Ungleichheit der Wohn- und Lebensbedingungen in verschiedenen Münsteraner Stadtteilen“, fasst März zusammen.
Gustavs letzter Gang
Judith von Plato, Volontärin bei der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ in Potsdam, begleitete für ihren Beitrag „Gustavs letzter Gang“ den Bullen Gustav vom Stall bis zur Schlachtbank. 300 Bratwürste, 25 Kilo Gulasch, 45 Kilo Braten, 30 Kilo Hackfleisch, 20 Kilo Rouladen und ein paar Gläser Leberwurst sollen aus ihm werden, schreibt von Plato in ihrem Artikel. „Der Appetit - sein eigener und der der Menschen - wird ihm zum Verhängnis.“
Eigentlich wollte von Plato nur Landwirt Marco Hintze aus Krielow in Brandenburg porträtieren. Dabei sei ihr die Idee spontan in den Sinn gekommen: „Mir war sofort klar, dass ich nicht nur ein Porträt über den Landwirt schreiben würde. Deswegen begleitete ich Hintze bis in den Schlachtraum und sprach dort mit allen Involvierten“, erklärt von Plato.
Dabei stand sie aufgrund des sensiblen Themas vor vielen Herausforderungen. „Ich wollte den dort Arbeitenden einerseits mit Respekt begegnen, weder persönliche Grenzen überschreiten noch ihre Konzentration stören. Andererseits wollte ich so viel wie möglich herausfinden, Fragen stellen - auch heikle“, beschreibt sie ihre Vorgehensweise. Auch von Gustavs Fluchtversuchen ließ sie sich nicht ablenken. Später wollte die Autorin in ihrem Artikel „weder werten noch moralisieren“.
Zudem kann man sich durch die detaillierten Schilderungen in Bildern vorstellen, wie es dem Bullen und den beteiligten Menschen geht und wie es im Schlachtraum zugeht. „Ich wollte die Brutalität festhalten und gleichzeitig zeigen, wie in der Absurdität einiger Details mitunter sogar ein Hauch von Komik liegen kann“, sagt von Plato. Das hat sie eindrucksvoll geschafft, wie die Nominierung zeigt.
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