Ladenburg. Wenn’s mal wieder ein langer Arbeitstag von zwölf bis 14 Stunden war, dann greift Stefan Pfister zuhause in Ladenburg am liebsten zum Saxofon. Bei der Musik findet der Kinderonkologe Ausgleich zu einem Beruf, der anspruchsvoller kaum sein könnte: Pfister forscht, tauscht sich weltweit mit anderen Wissenschaftlern aus, leitet eine Abteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum, ist Direktor am Hopp Kindertumorzentrum (Kitz) und Oberarzt am Universitätsklinikum in Heidelberg.
Für die Entwicklung neuer Verfahren zur Behandlung von Hirntumoren bei Kindern hat Pfister mit dem Leibniz-Preis kürzlich die wichtigste Auszeichnung für Wissenschaftler in Deutschland erhalten. „Ich kann mich über Stress nicht beklagen, weil ich meine Arbeit jeden Tag extrem gerne mache“, sagt Pfister und fügt hinzu: „Außerdem habe ich eine tolle Familie.“
Leibniz-Preis für Stefan Pfister
Der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ist der wichtigste Forschungsförderpreis in Deutschland.
Mit der Förderung in Höhe von 2,5 Millionen Euro für weitere Forschungsarbeiten sollen die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbessert werden.
Als einer diesjährigen Preisträger hat der in Ladenburg wohnende Stefan Pfister nach dem Studium ab 1994 (Hamburg und Tübingen) seine Ausbildung zum Facharzt für Kinderheilkunde unter anderem an den Universitätskliniken Mannheim und Heidelberg absolviert.
Der habilitierte Oberarzt am Heidelberger Universitätsklinikum ist seit 2012 Leiter der Abteilung Pädiatrische Neuroonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und seit 2016 Direktor am Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) in Heidelberg. pj
Ob es das Lernen mit den beiden Kindern oder das gemeinsame Musizieren ist – ein Hobby, das er seit Jugendtagen an der Musikschule in der früheren Heimatstadt Tübingen mit seiner Frau teilt: „Davon kann ich mich jeweils innerhalb einer Sekunde in den Bann ziehen lassen“, erklärt Pfister. Je mehr er beruflich eingespannt ist, desto bewusster nimmt er die heimische „Wohlfühloase“ Kettenheimer Hof wahr. Der ehemalige Fürstenhof ist für die ganze Familie Pfister ein „toller Ort“, um Musik zu machen, ihn aber auch anderen Kulturschaffenden zur Verfügung zu stellen.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Wer den sympathischen Wissenschaftler privat erlebt, mag kaum glauben, was ihm mit seinem Team Großes gelungen ist. Hier der Versuch, es grob zu erläutern: Es gibt mehr als 150 verschiedene Tumore im Gehirn, die sich in ihren Eigenschaften unterscheiden und deshalb unterschiedliche Therapien brauchen. Bislang wurde diese Unterscheidung allein anhand des mikroskopischen Bilds vorgenommen, was bei seltenen Erkrankungen schnell das Menschenmögliche übersteigt. Leider ist die Summe aller seltenen Tumoren in der Kinderonkologie besonders groß. Diese mit hoher Treffsicherheit zu identifizieren, ist Pfisters Team gelungen: Die molekularen Fingerabdrücke von mehr als 100 000 Patientenproben mit Hirntumoren befinden sich in der Heidelberger Datenbank. Dadurch werden Diagnosen genauer.
„Diesen Preis zu bekommen, hat etwas damit zu tun, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, denn wir haben in Heidelberg außergewöhnlich gute Voraussetzungen, Spitzenwissenschaft zu machen – gerade im Bereich Hirntumorforschung.“ Pfister sieht die Auszeichnung als Anerkennung dafür, „dass unser Thema wichtig ist“.
Gesetze der Marktwirtschaft
Von dem Preis erhofft er sich mehr Aufmerksamkeit für den Bereich, in dem sein Team arbeitet. Bei krebskranken Kindern sei es zu oft so, dass „Gesetze der Marktwirtschaft nicht gut funktionieren“. Deshalb brauche es andere Möglichkeiten, um Kindern in Zukunft besser helfen zu können. Die akute Überlastung von Kinderkliniken zeige das gleiche Problem auf: „Es ist zu wenig eingepreist, dass wir immer Familien und nicht einzelne Patienten behandeln und dass wir wissenschaftlich nicht stehenbleiben können und wollen, wo wir jetzt noch sind.“
Es gebe zwar kein Patentrezept dagegen, doch es deute sich auch in der EU ein erster Schritt in die richtige Richtung an. Für Pfister kann das nur heißen: „Zumindest sollten Krebsmedikamente, die für Erwachsene entwickelt werden, künftig verbindlich auch auf ihre Wirksamkeit bei Kindern getestet werden.“ Dass ihm das am Herzen liegt, beweist er jede Woche, wenn er junge Patienten in der Sprechstunde empfängt. Es sei ihm wichtig, mit „real existierenden Problemen konfrontiert“ zu werden. Und die treiben ihn an: „Ich will nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm sitzen, sondern Forschungsfragen vom Umgang mit Patienten ableiten und die wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder zum Patienten bringen – und zwar möglichst schnell.“
Wenn er einmal mit seinem Wissen an Grenzen stößt und nicht helfen kann, dann ist das für Pfister „immer ein emotionales Thema“, das er mit nach Hause nimmt. „Dann braucht man Auszeit, um auf andere Gedanken zu kommen.“ Zugleich erhöht es seine Motivation weiterzumachen: „Ich will ja nicht in Ruhestand gehen und nur sagen können, dass wir eine neue Methode entwickelt haben, wie man die Diagnose verbessern kann.“ Und noch etwas gibt ihm Kraft – und das macht weitere Hoffnung: „Es gibt in der Kinderonkologie eine realistische Chance, Patienten dauerhaft zu heilen.“