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Heidelberg. „Hallo Frau Z. Ich bin Christian. Ich wollte Sie fragen, ob sie mich nach Hause schicken können. Weil ich nach Hause will. Und weil ich meine Mama mag und weil meine Mama mich mag.“ Hinter den leicht krakelig geschriebenen Zeilen eines Elfjährigen auf dem Blatt Papier steht eine lange Geschichte. Sie beschäftigt nun schon ein Jahr lang das Jugendamt der Stadt Heidelberg, mehrere Anwälte, Gutachter, Politiker und die Bürgerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg. Eine alleinerziehende Heidelbergerin kämpft seit Monaten wie eine Löwin dafür, ihr Kind zurückzubekommen. Die Behörden, so ihr Eindruck, möchten ihr den Jungen dauerhaft wegnehmen und betrachten sie nicht als Partnerin bei der Erziehung - sondern eher als unbequem und lästig. Am heutigen Dienstag wird der Fall vor dem Heidelberger Amtsgericht verhandelt.
Bis heute versteht sie nicht, was sie sich zuschulden haben kommen lassen soll.
Es ist eine komplexe Geschichte, die schon viel Papier füllt und die aus Sicht der Mutter - wir nennen sie hier zum Schutz des Jungen Maria und das Kind Christian - in Folge der Corona-Pandemie begann. Müde von Homeschooling und den Einschränkungen, den veränderten Freizeitmöglichkeiten und dem Verbot, seine Freunde zu treffen, habe das Kind im Winter 2020 begonnen, schwierig zu werden, seine Hausaufgaben nicht mehr machen zu wollen und sich gegen seine Mutter zu stellen. Als ihre Nerven blankliegen, erzählt Maria, die Akademikerin, die freiberuflich unter anderem für Behörden arbeitet, habe sie sich auf einen Tipp hin ans Jugendamt gewandt. Als sie das erzählt, füllen sich ihre Augen mit Tränen. Denn heute bereut sie diesen Schritt sehr.
In drei Einrichtungen betreut
In den fünf Jahren davor - der Junge ist adoptiert - habe das Zusammenleben völlig problemlos und unauffällig geklappt. Als sie das Kind zum ersten Mal in ihrer osteuropäischen Heimat sah, habe es sofort ihr Herz eingenommen, und sie habe beschlossen, es zu sich zu holen. In den ersten zwei Jahren wurden Mutter und Sohn von der Adoptionsbehörde des Heimatlandes eng begleitet. „Es lief alles sehr gut“, berichtet Maria. Dann kam jener aus Sicht der Mutter verhängnisvolle Tag im Frühjahr 2022. Sie bittet das Jugendamt erneut um Hilfe - und stimmt zu, dass das Kind „für ein oder zwei Nächte“ in Obhut genommen wird. Und vertraut auf den Vorschlag, dem Jungen „diesen kleinen Denkzettel“ zu verordnen.
Maria macht sich heute große Vorwürfe, dass sie zustimmte. Der Junge wird seither ununterbrochen und nacheinander in drei Einrichtungen der Jugendhilfe betreut. Wochenlang gab es keine Besuchszeiten. Verzweifelte Versuche, das Kind sehen oder sprechen zu können, münden in Beschwerdemails und Gespräche, die protokolliert werden und deren Inhalten zum Teil wiederum schriftlich widersprochen wird. Maria gibt sich nicht unterwürfig, sieht Widersprüche und Fehleinschätzungen, die sie nicht stehenlassen möchte. Bis heute versteht sie nicht, was sie sich zuschulden haben kommen lassen soll - und vermisst Transparenz beim Amt.
Viele Auflagen im Kontakt
Am 4. Oktober 2022 ein erster Erfolg: Das Familiengericht des Amtsgerichts verfügt, dass die Mutter alle 14 Tage den Jungen für eine Stunde besuchen darf - seit 22. März sind die Besuche wieder unerwünscht. Zwar dürfen sich die beiden Briefe schreiben, später auch treffen. Jeder Austausch wird von Jugendhilfe-Mitarbeiterinnen begleitet. In ihrer Muttersprache dürfen Mutter und Sohn sich nicht mehr unterhalten. Korrektes Hochdeutsch ist für beide kein Problem, aber befangen fühlt sich die Mutter trotzdem. Kurz vor der Verhandlung am Familiengericht diese Woche erhält die Mutter vom Jugendamt weitere Auflagen: So dürfe sie keine „Kontroll- oder Suggestivfragen“ stellen wie „Hast Du meinen Brief bekommen“ oder „Geht es Dir wirklich gut?“.
Lange bangte Maria darum: Doch Weihnachten darf die Heidelbergerin den Jungen sehen - 15 Minuten lang. Dafür fährt sie in Begleitung ihrer Mutter mit dem Auto zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück, denn der Junge lebt in einer Einrichtung, die 100 Kilometer entfernt liegt. „Wir haben Geschenke ausgetauscht, Bilder zur Erinnerung gemacht, dann war die Viertelstunde vorbei“, beschreibt die Mutter das Treffen, das ihr trotz der Kürze der Zeit unendlich viel bedeute.
Beschwerden abgewiesen
Unermüdlich versucht Maria, Unterstützer zu finden, schreibt Bundestagsabgeordnete, den Oberbürgermeister und viele weitere Mandatsträger an. Der Konsul des Heimatlands des Jungen kommt zu einer Anhörung. Über eine Online-Petition (betterplace.org) sammelt eine Freundin Geld, das Maria für Anwälte und Gerichtskosten verwendet. Am 16. Dezember 2022 weist das Regierungspräsidium Karlsruhe eine Beschwerde der Mutter über das Jugendamt zurück. Ein Einschreiten der Rechtsaufsicht sei nicht notwendig. Auch eine weitere Dienstaufsichtsbeschwerde - unter anderem deshalb, weil das Kind Psychopharmaka bekomme, aber keine Psychotherapie - wurde gerade zurückgewiesen.
Es wird auch nie wieder etwas passieren, weil ich weiß, dass ich dann wieder von meiner Mutter weg muss, und ich will nicht wieder von meiner Mutter weg
„Zuhause ist es immer am besten“, schreibt Christian in seinem Brief nach dem Weihnachtsbesuch. „Es wird auch nie wieder etwas passieren, weil ich weiß, dass ich dann wieder von meiner Mutter weg muss, und ich will nicht wieder von meiner Mutter weg“, betont er flehentlich. Das Jugendamt und eine Ergänzungspflegerin haben da bereits per Eilantrag das Sorgerecht übertragen bekommen.
Gutachten wird vermutlich großen Einfluss haben
Das Familiengericht gibt ein Gutachten in Auftrag. Es soll klären, in welchem psychischen Zustand sich der Junge befindet, ob eine Kindswohlgefährdung vorliegt, ob weiter eine Unterbringung in einer Einrichtung erforderlich ist - oder ob das Kind nach Hause darf. Das Ergebnis wird vermutlich großen Einfluss auf die Entscheidung des Richters am Dienstag haben. Die Gutachterin hatte nicht die Möglichkeit, Mutter und Kind zusammen und das Kind daheim zu erleben. Es fällt ungünstig aus für die Mutter. Zwei unabhängige Gutachter widerlegen es aber.
Selbstverständlich hat diese Redaktion versucht, das Jugendamt zu Wort kommen zu lassen. Mit Verweis auf das Persönlichkeitsrecht des Kindes und den Datenschutz bleiben die gestellten Fragen unbeantwortet. Merkwürdig: Unsere Recherche-Anfrage taucht hingegen in einer Beschwerde auf, die das Jugendamt an den zuständigen Richter schickt. In diesem der Redaktion vorliegenden Schreiben beschwert sich die Behörde ferner, dass sie reihenweise Anschreiben von Unterstützern der Mutter erhalte, die sie bitten, den Jungen wieder nach Hause zu lassen. Angehört werden diese Freunde im Verfahren nicht.
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