Selbsttest

Wie fährt es sich rund um Mannheim mit einem selbstauferlegten Tempo-100-Limit?

Freiwillig maximal Tempo 100: Die Evangelische Kirche hat sich dazu verpflichtet. Aber wie fährt sich so auf den Autobahnen rund um Mannheim und in der Region? Und was hält die Polizei davon? Ein Selbsttest

Von 
Florian Karlein
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Tempo 100 auf der Autobahn? Lastwagen zu überholen wurde so zur Geduldsprobe - vor allem für die Autofahrer hinter unserem Autoren. © Lisa Karlein

Ob ich wirklich den Mumm habe, es durchzuziehen, zeigt sich auf der A 6. Ein Transporter und ein Kleinlaster sind mit 95 Stundenkilometern direkt hintereinander auf der rechten Spur unterwegs. Minutenlang sehe ich das Unheil kommen, wir fahren ja selbst nur 100. Zwischen Rheinau und Mannheim-Mitte ist der Moment dann da: Wir scheren aus. Der Verkehr stockt mit einem Mal gewaltig. Wenigstens sind wir die Ersten in der Schlange.

Es ist ein Selbsttest. Denn wenn Angestellte der Evangelischen Kirche sich dazu verpflichten, auf Autobahnen maximal 100 Stundenkilometern zu fahren, kann ich das doch schon lang. Aber es ist ein Selbsttest mit Geiselnahme, denn Frau und Kinder werden in den Familienbus gepackt für eine Rundreise durch die gesamte Metropolregion: von Heppenheim nach Ludwigshafen, Richtung Speyer und über Hockenheim wieder zurück. A 67, A 6, A 61, A 659 und A 5 - etwa 120 Kilometer einmal rund um Mannheim. Etliche Geduldsproben auf drei und noch mehr auf zwei Spuren.

Laut Paragraf 5 der Straßenverkehrsordnung darf nur überholen, wer mit deutlich höherer Geschwindigkeit unterwegs ist.

Noch 1000 Meter sind es bis zur Ausfahrt Mannheim-Mitte. Endlich bin ich auch an dem Kleinlaster vorbei! Selten war ich so froh, auf die rechte Spur zu dürfen. Minutenlang habe ich auf der linken Spur dafür gesorgt, dass vor uns jede Menge freier Asphalt liegt. Durch das Überholmanöver mit 100 ist der Stresspegel explodiert, das schlechte Gewissen plagt von dem Moment an, in dem ich den Blinker nach links setze. Zurecht, wie mir das Mannheimer Polizeipräsidium auf Nachfrage bestätigt. Denn laut Paragraf 5 der Straßenverkehrsordnung darf nur überholen, wer mit deutlich höherer Geschwindigkeit unterwegs ist. War ich ja nicht. „Ist dies als Folge eines selbst auferlegten Tempolimits nicht gewährleistet, darf nicht überholt werden!“, antwortet mir die Polizei mit einem Ausrufezeichen.

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Zurück auf der rechten Wohlfühlspur drehe ich zaghaft den Kopf nach links. Das erste Auto der ellenlangen Kolonne hinter uns zieht vorbei, Fahrer und Beifahrer zeigen mir synchron den Scheibenwischer. Ich kann ihnen nicht böse sein. „Du würdest über so einen vor dir fürchterlich schimpfen“, sagt meine Frau. Sie hat recht. Natürlich würde ich.

Harte Sheriffs auf der Rückbank

Es ist der unschönste Moment der Rundreise. Ein Tempomat-Zölibat hatte ich mir im Vorfeld selbst auferlegt. Das wäre doch feige, dachte ich mir. Dafür sitzen auf der ersten Rückbank mit meinen Söhnen zwei Sheriffs. Richtige harte Hunde, die Geschwindigkeitsverstöße lautstark mit „Strafzettel!“-Rufen feiern. Eine kleine Toleranz von maximal drei Stundenkilometern wird mir eingeräumt. Am Ende sind’s fünf Knöllchen. Und ein paar Verstöße, die von den beiden Hilfspolizisten nicht bemerkt wurden. Den ersten Strafzettel hagelt es nur wenige Minuten nach dem Start auf der B 460 zwischen Heppenheim und Lorsch. Aus der Stadt draußen und drauf aufs Gaspedal - Macht der Gewohnheit. Danach halte ich in Richtung A 67 alle anderen Autos mit meinen 80 wieder auf. Das ist für die Polizei übrigens okay: Wenn man sich neben dem selbstauferlegten Tempolimit regelkonform verhält, seien „grundsätzlich keine Verstöße von vorneherein erkennbar“. Ich erhalte vom Präsidium auch ein Gesamtresümee: Auch wenn ich den Verkehrsfluss störe, begehe ich „keine Ordnungswidrigkeit“. Puh.

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Trotzdem ist die Stimmung auf den hinteren Plätzen unseres Familienbusses besser als auf dem Fahrersitz. Entspannt ist das Reisen mit maximal 100 Stundenkilometer zu keiner Zeit. „Hat mich überrascht, dass du so einen Versuch machen willst. Du regst dich bei jeder Gelegenheit auf“ - meine Frau kennt mich eben. Gut für mich, dass die meisten der anderen Verkehrsteilnehmer meine staubildenden Maßnahmen recht entspannt über sich ergehen lassen. Handgestoppte 35 Sekunden dauert mein Überholvorgang auf der A 61. Alle in dem vollbesetzten Fiesta aus den Niederlanden nehmen das regungs- und emotionslos zur Kenntnis. Die von den Kollegen prognostizierten Mittelfinger im Minutentakt bleiben komplett aus. Gerade einmal eine Lichthupe steht auf der Strichliste.

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Letztlich dauert die Reise zu unseren Zwischenstopps durch unser freiwilliges Tempolimit länger, klar. Aber nicht dramatisch länger. Doch es ist der psychische Stress, der die Fahrt unkomfortabel macht. Vielleicht gewöhnt man sich mit der Zeit daran. An jenem Samstag jedenfalls sind entspannte Streckenabschnitte selten. Nach der Lichthupe kurz vor der Raststätte Dannstadt auf der A 61 rollt es sich beispielsweise bis zur Rheinbrücke bei Speyer locker vor sich hin. Fünf Sattelschlepper direkt hintereinander bringen dort den Puls zwar direkt auf 190 - doch unsere Ausfahrt bewahrt uns und alle anderen auf der zweispurigen Strecke vor einem halbstündigen Überholmanöver. Übrigens: Neben Ausfahrten sorgen auch ausscherende Lastwagen für Jubel - in deren Windschatten es sich leicht mit kleinem Schuldbewusstsein überholen lässt.

Ärger über winzigen Skoda

Vor allem auf den dreispurigen Abschnitten birgt gemütliches Tuckern Vorteile. Keine Angst muss ich etwa haben, dass mich der Blitzeranhänger auf der A 6 bei Frankenthal erwischt. Ein BMW-Fahrer tritt dagegen mächtig auf die Bremse. Und bei Oppau kann ich die Schönheit der BASF bewundern, bis mich ein winziger Skoda rausreißt. Ich erwische mich dabei, wie es mich ärgert, dass er mich ganz locker rechts stehenlässt. Warum eigentlich?

Kurz vor dem Ziel muss ich noch den bösen Blick eines Handwerkers in seinem Fahrzeug über mich ergehen lassen, um dann auf dem Parkplatz vor dem Haus zu denken: „Endlich angekommen!“ Zum Glück bin ich kein Festangestellter der Evangelischen Kirche.

Redaktion Leiter des Redaktionsteams Mannheim

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