Landwirtschaft - Bauern in der Region würden gerne stillgelegte Flächen nutzen – doch die Erlaubnis kommt fast zu spät

Region: Es könnten Futtermittel fehlen

Von 
Vanessa Schmidt
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In der Region fehlt es weniger an Weizen als am Anbau von Sonnenblumen: Der Sonnenblumenkuchen ist wichtiges Eiweißfutter in der Tierhaltung. © dpa

Rhein-Neckar. Traktoren ziehen ihre Runde über Felder und säen mit Maschinen Saatgut für Getreide, Mais und Sonnenblumen aus. Die Ukraine gilt als „Kornkammer Europas“, exportiert den Großteil des Getreides in andere Länder. Nun herrscht Krieg in diesem Land. Welche Auswirkungen haben die Kämpfe auf die regionale Landwirtschaft, wenn kein Getreide aus der Ukraine mehr in die Region kommt? Gibt es deshalb zu wenig Sonnenblumenöl und Mehl? Dass die Auswirkungen des Krieges teilweise in anderen Bereichen liegen und warum sich Verbraucher nicht sorgen müssen, sondern selbst gefragt sind – das zeigt eine Spurensuche.

„Wir sind nicht auf das Getreide der Ukraine angewiesen“, sagt Andreas Köhr vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz. Denn Deutschland ist in Sachen Getreide Selbstversorger. Auf 383 000 Hektar Ackerfläche im Bundesland entfallen 213 000 Hektar auf den Anbau von Getreide. „Von einem Einbruch der Weizenernte und daraus resultierenden Engpässen kann also nicht die Rede sein“, so Köhr weiter.

Aber wenn es genug Getreide gibt, warum bleiben Supermarktregale leer? Das erklärt Karl-Friedrich Brenner. Er ist Pressesprecher für die Firma Goodmills, die eine Mühle in Mannheim betreibt. Dort werden Hartweizenprodukte hergestellt. Für die Produktion von Mehl gibt es andere Standorte. „Dass es gerade an Mehl fehlt, ist kein Problem der Landwirtschaft, sondern ein Problem, das durch Hamsterkäufe entsteht.“ Dass nicht genug Ware nachkommt, sei außerdem auf Preisverhandlungen zwischen Händlern zurückzuführen. Verträge auszuhandeln orientiere sich derzeit mehr denn je am Weltmarktgeschehen – und das werde durch den Krieg in der Ukraine aktiv beeinflusst. „Putin benutzt die Verknappung von Getreide als Waffe. Er will, dass bei uns die Preise steigen“, betont auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.

Die Sorge vor fehlenden Lebensmitteln in Deutschland oder Europa ist aber unbegründet. Und zu diesem Schluss kommen auch Studien. Selbst im Katastrophenfall würde laut der Autoren eines Foodsecure Working Paper im reichen Europa niemand verhungern müssen.

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„Krieg hat Hunger zur Folge“

Anders sieht es in Ländern wie Bangladesch oder Nigeria aus. Das betont auch Köhr. „Es gibt Länder, die massiv von der Ukraine als Getreide-Importeur abhängig sind. Dort hat der Krieg Hunger zur Folge.“ Auch die Internationale Organisation für Landwirtschaft und Ernährung der Vereinten Nationen rechnet mit einem Anstieg der Zahl der Hungernden um acht bis 13 Millionen Menschen. „Deshalb wollen wir am globalen Getreidemarkt mithelfen und brach liegende Flächen reaktivieren“, so Köhr. Er ergänzt: „Wir können die Mengen, die aus der Ukraine in andere Länder kommen, nicht ersetzen, aber es ist besser, als nichts zu tun.“

Auch Björn Wojtaszewski, Sprecher des Pfalzmarktes in Mutterstadt, betont, dass sich die kleinteiligere Landwirtschaft der Region von der Ukraine als Kornkammer unterscheidet. „Dort hat der Anbau gigantische Ausmaße, und es wird anders und viel größer gefarmt“, sagt er.

Höheres Produktionspotenzial

Dennoch darf die Ukraine als Kornkammer nicht überschätzt werden. Denn der Getreideanbau entwickelte sich dort erst in den letzten 20 Jahren. Bis in die 2000er Jahre importierte das Land noch selbst große Mengen Getreide. Köhr verdeutlicht dies in Ertragszahlen: Während die Ukraine im vergangenen Jahr 4,6 Tonnen Getreide pro Hektar geerntet hat, waren es in Deutschland 7,3 Tonnen. „Das Produktionspotenzial ist in diesem Bereich damit bei uns sogar höher“, erklärt Köhr.

Das gilt für den Getreideanbau. Abhängigkeiten werden dagegen bei Sonnenblumen sichtbar. In Rheinland-Pfalz bearbeiteten die Landwirte im letzten Sommer 400 Hektar Ackerfläche mit Sonnenblumen. In der Ukraine waren es laut Bauern- und Winzerverband rund 3,9 Millionen Hektar. Das ist problematisch für die regionale Landwirtschaft. Denn Rapskuchen und Sonnenblumenkuchen sind als Eiweißfutter für die Viehwirtschaft erforderlich. „Und das derzeit fehlt schon“, so Köhr. Engpässe beim Futtermittel, die dazu führen, dass die Viehbestände nicht mehr gefüttert werden können, sieht er momentan aber noch nicht.

Er hofft, dass in Rheinland-Pfalz rund zehn Hektar stillgelegter Flächen nutzbar gemacht werden, um die Ukraine zu unterstützen und Hunger in anderen Ländern zu vermeiden. Final entschieden hat der Bundesrat. Bundesminister Özdemir lehnte die Reaktivierung der Flächen zunächst ab, und auch bei der Agrarministerkonferenz gab es ein Veto für die Forderung danach.

Nun erteilte allerdings das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Zusage. „Die Verordnung des Bundeslandwirtschaftsministeriums sieht vor, dass im laufenden Jahr die Freigabe der ökologischen Vorrangflächen der Kategorien Brache (ab 1. Juli) und Zwischenfrüchte für die Futternutzung möglich ist“, teilte die Institution am Freitag auf ihrer Webseite mit. Diese Zusage kommt jedoch nicht rechtzeitig. „Es ist schon sehr spät im Jahr, und die Auswahl von Saat ist eingeschränkt. Vielleicht wäre Mais noch eine Option“, so Köhr. Aber auch dann müssen die Flächen erst noch für den Anbau vorbereitet werden.

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