Pandemie

Vor zwei Jahren hatte der Rhein-Neckar-Kreis seinen ersten Corona-Fall - Ärztin erinnert sich

Von 
Anja Görlitz
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Anne Kühn mit einem Kollegen im Dispo-Raum des Gesundheitsamts, wo die neuen Fälle zentral erfasst werden. © Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis

Rhein-Neckar. Als am Abend des 27. Februar 2020 das Uniklinikum Heidelberg die grippeähnlichen Symptome eines Oftersheimer Skiurlaubers als Infektion mit dem damals neuartigen Virus SARS-CoV-2 bestätigt hatte, stand fest: Der Rhein-Neckar-Kreis hatte seinen ersten Corona-Fall. Fast auf den Tag zwei Jahre ist das nun her. Zwei Jahre, in denen Anne Kühn, stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamts, an vorderester Front gegen die Pandemie arbeitet. Die ersten zehn Fälle kennt die 43-Jährige alle noch mit Namen, wie sie in ihrer persönlichen Corona-Bilanz verrät. Das inzwischen erreichte Ausmaß der Pandemie hätte sie damals, wie wohl die meisten, aber nicht erwartet.

Schon Wochen vor jenem 27. Februar 2020 hatten sich Kühn und ihre Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt, das auch für die Stadt Heidelberg zuständig ist, nach eigenen Angaben auf das drohende Szenario eingerichtet. Es wurde ein Stab einberufen, der die ersten Schritte im Umgang mit einer Pandemie vorbereitete. Dazu gehörte etwa die Corona-Hotline für Bürgerinnen und Bürger. Wie lange sie benötigt werden sollte, war indes damals auch den Experten im Gesundheitsamt nicht bewusst.

„Ich gestehe, dass ich nach der ersten Welle im Jahr 2020, als die Zahlen nach Ostern wieder deutlich gesunken waren, gedachte hatte, dass wir das Schlimmste überstanden haben“, erinnert sich Kühn.

Digitale Begleitung war Herausforderung

Schon im Herbst sei aber klar gewesen, dass es anders kommen sollte. „Nach dem Winter 2020/21 habe ich dann gedacht, dass es ein hartes Jahr war – aber durch die beginnende Impfkampagne nun wirklich das baldige Ende der Pandemie erreicht sei. Leider war das wieder ein Trugschluss – es ist eben ein ständiger Lernprozess!“ Verbunden mit unerfüllten Hoffnungen wie jener, eine adäquate Durchimpfung der Bevölkerung zu erreichen. „Ich habe großen Respekt vor der individuellen Impfentscheidung“, versichert Kühn und gesteht gleichwohl: „Ich bin ein wenig enttäuscht, dass es doch so viele Menschen gibt, die das eigene persönliche Empfinden über das Gemeinwohl stellen.“

Eine der größten Herausforderungen sei gewesen, die rasante Ausbreitung des Coronavirus mit den hohen Fallzahlen auch digital zu begleiten. Hinzu kam, dass kurzfristig zusätzliche Mitarbeitende benötigt wurden, die ins Amt eingebunden werden mussten – mitten in einer nie dagewesenen Pandemie.

Stolz auf motiviertes Team

Als die Anlaufstelle schlechthin, wenn es um Fragen rund um Corona ging, traf die Behörde natürlich auch viel Frust von außen – „teilweise nachvollziehbar aufgrund der vielen wechselnden Vorgaben oder aufgrund der Tatsache, dass wir wegen der schieren Masse nicht immer auf individuelle Wünsche oder Umstände einzelner Fälle eingehen können“, wie die stellvertretende Amtsleiterin erklärt. „Aber es trifft Sie nach einem harten Arbeitstag manchmal doch, wenn Sie jemand am Telefon persönlich für etwas verantwortlich macht.“

Zu den schönen Erlebnissen während der vergangenen zwei Jahre zählt Kühn unter anderem die große Unterstützung durch viele Menschen, die freiwillig Hilfe anboten. Auch hätten sich manche Betroffene nach einem Gespräch bedankt oder nette Briefe geschrieben. Die Zusammenarbeit innerhalb der Behörde nahm Kühn ebenfalls positiv wahr. Auf ihr motiviertes Team im Amt sei sie sehr stolz. Schokolade helfe, die Stimmung hochzuhalten, verrät sie augenzwinkernd.

Kühns Vorgänger Andreas Welker, der mittlerweile ins Sozialministerium gewechselt ist, hatte zu Beginn gesagt: „Corona ist kein Sprint, das wird ein Marathon.“ Seine Nachfolgerin ist heute optimistisch, „dass wir auf den letzten Kilometern sind“. Prognosen seien aber schwierig, auch wegen der „Variantenüberraschungen“, die das Virus schon bislang in petto hatte. „Wenn die Entwicklung so weiter verläuft, bin ich zuversichtlich, dass wir einen ruhigen Sommer haben“, sagt Kühn. „Wir werden uns im Herbst allerdings erneut mit Corona auseinandersetzen müssen – unter welchen Umständen und mit welchen Vorgaben, wird man sehen.“ 

„Noch keine Entwarnung“

Anne Kühn, stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamts Rhein-Neckar

Angesichts der gewaltig angestiegenen Infektionszahlen: Inwiefern bilden die Zahlen das tatsächliche Infektionsgeschehen ab, und wie groß schätzen Sie die Dunkelziffer ein?

Anne Kühn: Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten höher ist als die Zahl der erfassten Infektionen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einer der wichtigsten ist sicherlich, dass ein Anteil der vollständig Geimpften ohne oder mit sehr milden Symptomen erkrankt und so kein Anlass zur Testung besteht. Wie hoch diese Dunkelziffer genau ist, vermag ich nicht zu sagen, Schätzungen sprechen von einem Drittel der Fälle, die wir erfassen.

Eine der größten Herausforderungen war sicherlich die Kontaktnachverfolgung von Infizierten. Wie weit ist es Ihnen diese Aufgabe gelungen, und ab wann war es Ihnen unmöglich, diese Arbeit noch zu leisten?

Kühn: Wir haben sehr lange eine umfassende Nachverfolgung gewährleisten können und haben uns erst im vergangenen November, als das Land Baden-Württemberg eine Strategieänderung verkündet hat, auf die vulnerablen Gruppen konzentriert. Durch unsere Softwarelösung sind wir hier lange handlungsfähig geblieben und hätten vermutlich auch noch ein wenig weitermachen können. Bei den Zahlen, die wir aktuell haben, hätten auch wir das nicht mehr leisten können.

Für die Politik ist die Pandemie offenbar am 20. März vorbei. Wie lange wird Sie die Pandemie noch beschäftigen? Wie sieht Ihr Ausstiegsszenario aus?

Kühn: Noch sehr lange! Nicht nur die Pandemie selbst mit dem Virus und den Erkrankungen, sondern vor allem die Nachwehen. Ich meine Dinge, die nicht mit der üblichen Intensität verfolgt werden konnten durch Corona oder die Probleme, die sich dadurch noch ergeben werden, zum Beispiel Long-Covid. Wir werden uns auch verstärkt der Aufarbeitung widmen müssen: Was ist gut gelaufen, was könnte man das nächste Mal besser machen? Die Entwicklungen der zwei Jahre haben uns Schwachstellen aufgezeigt, aber auch Prozesse angestoßen. Ganz konkret auf das Virus bezogen gehe ich aber nicht davon aus, dass wir am 20. März Entwarnung geben können.

Redaktion Stellvertretende Nachrichtenchefin

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