Die Ostdeutschen haben sich daran gewöhnt, dass die meisten der Rektorinnen und Rektoren, Intendanten, Abteilungsleiterinnen, Geschäftsführer, Gerichtspräsidentinnen und sonstigen Vorgesetzten, unter denen sie arbeiten, aus dem Westen stammen. Es ist ja seit 1990 so.
Die Ostdeutschen haben sich daran gewöhnt, dass ihre bevorzugt westdeutschen Chefs, gelegentlich sind es auch Chefinnen, die freien Führungsstellen bevorzugt mit Westdeutschen nachbesetzen. Es ist ja nicht böse gemeint.
Und die Ostdeutschen haben sich daran gewöhnt, dass oftmals Leute an der Spitze ihrer Landesparteien stehen, die aus Niedersachsen oder Bayern stammen. Es hat sich ja auch keiner aus ihrer Mitte nach vorne gedrängelt.
Natürlich, Deutschland ist jetzt seit 32 Jahren wiedervereinigt. Und natürlich nervt es, dass neben all den vielen Identitäts- und Diskriminierungsdebatten auch noch ein Streit entlang der früheren innerdeutschen Grenze geführt wird. Aber so lästig dieser Streit auch sein mag, so notwendig ist er auch. Denn viele haben das Thema, um das es geht, nie verstehen wollen.
Als jetzt der Erfurter Carsten Schneider in seiner Funktion als Ostbeauftragter in allen Bundesbehörden abfragen ließ, wer von den Chefinnen und Chefs im Osten geboren wurde, fragten einige zurück, wo denn eigentlich das Problem liege.
Nun, bitte schön: Das Problem liegt darin, dass Ostdeutsche im Bund unterrepräsentiert sind. Jenseits von Überlegungen zur Gleichbehandlung bedeutet dies, dass die ostdeutsche Sicht, die historisch, politisch, sozial und ökonomisch anders geprägt ist, in der Bundesverwaltung kaum vorkommt.
Die Unwucht entstand mit der Art und Weise der Wiedervereinigung. Damals trat die DDR in Form der angeblich neuen Bundesländer dem Gebiet des Bundesrepublik bei. Damit galten mit einem Schlag ausschließlich westdeutsche Gesetze, Wirtschaftsregeln und Richtlinien.
In wenigen Monaten wurden nahezu die kompletten ostdeutschen Eliten ausgetauscht. So mussten SED- und Stasi-Kader durch gleichermaßen unbelastete wie fachkundige Personen ersetzt werden, die aber auf die Schnelle oft nur im Westen zu finden waren.
Und so wurde nahezu jede Professur, Richterstelle oder hohe Beamtenposition mit Westdeutschen besetzt, wobei zuweilen die tatsächliche Qualifikation eine eher untergeordnete Rolle spielte. In umgekehrter Richtung funktionierte dies natürlich nicht. Ein Mensch aus dem Osten in einer Führungsposition im Westen gilt noch heute als seltene Rarität.
Hinzu kam die ökonomische und finanzielle Übermacht. Unternehmen, Immobilien, Grundstücke: Das alles gehört im Osten zu einem großen Teil Westdeutschen.
Die Verwaltung des Bundes spiegelt diese bundesdeutsche Realität wider. Während im Bundeskabinett mühsam ein paar Quotenostdeutsche eingebaut wurden, existierte in der Verwaltung nie ein Verständnis dafür, dass die deutsche Einheit nicht nur darin besteht, dass Westdeutsche Ostdeutschen erklären, wo es langgeht.
Es ist also wirklich ein Problem. Im Bund sollte dafür endlich ein Bewusstsein entstehen – und sei es aus Eigeninteresse. Denn das Gefühl von zwei Dritteln der Ostdeutschen, nur zweite Klasse zu sein, erwächst unter anderem aus genau dieser Ungleichbehandlung. Und dieses ungute Gefühl ist wiederum ein Grund dafür, warum im Osten so oft Protest gewählt wird.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel In der zweiten Klasse
Martin Debes bedauert, dass es noch immer so wenige Ostdeutsche in Spitzenjobs gibt