Dass sich Ägyptens Justiz durch Fairness und Unabhängigkeit auszeichnet, dürften nicht einmal die überzeugtesten Anhänger von Diktator al-Sisi glauben. Dennoch wird das jüngste Urteil der höchsten Revisionsinstanz, die gestern die Todesstrafe gegen den 2013 gestürzten Präsidenten Mursi aufhob, in Ägypten und im demokratischen Ausland erleichtert aufgenommen.
Der Prozess gegen Ägyptens ersten freigewählten Präsidenten, dem die Organisation eines Gefängnisausbruchs während des "Arabischen Frühlings" 2011 vorgeworfen wird, soll nun neu aufgerollt werden.
Für Diktator al-Sisi ist der im Juni 2013 gestürzte Präsident nicht nur ein Erzfeind. Er ist die wichtigste Symbolfigur, die mit unerbittlicher Härte bestraft werden muss, um Islamisten, aber auch demokratischen Aktivisten die Botschaft zu vermitteln, dass es am Nil keine Rückkehr zum demokratischen Übergang der Zeit vom Sturz Diktator Mubaraks 2011 bis 2013 geben könne.
Dass das Gericht Mursi und fünf seiner Mitverurteilten von der Liste der Todeskandidaten strich, lässt darauf schließen, dass al-Sisi sein Hauptziel - die Vernichtung der Moslembruderschaft - nicht zu erreichen vermag. Zwar kann Ägyptens Diktator auf weit größere US-Unterstützung für seine repressive Politik hoffen, wenn Donald Trump ins Weiße Haus einzieht. Doch am Nil brauen sich nach einer Phase labiler Ruhe neue Stürme zusammen - diesmal, nach einer Serie einschneidender Sparmaßnahmen, im sozialen Bereich. Mursi durch ein Todesurteil zum Märtyrer zumachen, dürfte Turbulenzen auslösen, die selbst dieser erbarmungslose Despot nicht mehr kontrollieren könnte.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Bloß kein Märtyrer