Manipulierte Antivirus-Programme, betrügerische Fernseher, mordende Autos: Die neusten Wikileaks-Enthüllungen zeichnen ein bedrohliches Bild der elektronischen Zukunft; vielleicht ist sie längst da. Die vorgeblichen CIA-Dokumente sind jetzt schon umfangreicher als das NSA-Leck im Jahr 2013.
Reflexartige Empörung ist allerdings nicht nur deshalb billig, weil auch andere Staaten über ausgefeilte Spionagetechnik verfügen. Der Ruf nach immer mehr Sicherheit wird weltweit mit privat eingesetzter Verschlüsselungstechnologie kombiniert. Das lässt den Verantwortlichen kaum Spielraum.
Die Enthüllungen sind schon deshalb plausibel, weil sie erwartbar waren: Experten warnen seit Jahren vor der Anfälligkeit kommerzieller Gebrauchselektronik. Dass Nachrichtendienste dazu da sind, auf verschlungenen Pfaden Informationen zu besorgen, war kein Geheimnis. Und wenn es ums Eingemachte geht, hoffen die meisten stillschweigend, dass sie ihr Handwerk verstehen.
Seit den NSA-Enthüllungen aus dem Jahr 2013 wird weltweit über die Balance zwischen Freiheit und Datenschutz einerseits, Überwachung und Sicherheit andererseits diskutiert. In der Folge suchten viele Menschen Technologien, die durch Verschlüsselung Privatsphäre suggerierten. Anbieter kamen dem Anliegen nach.
Die Wikileaks-Dokumente legen nun nahe, dass die Bewegung zumindest in Teilen Erfolg hatte. Geheimdienste suchen Informationen offenbar nicht mehr im gleichen Umfang durch die Massenerfassungen von Datenströmen. Sie nehmen verstärkt einzelne Endgeräte ins Visier. Die wachsende Vernetzung leistet dem Vorschub.
In den Wikileaks-Dokumenten werden manche Marken besonders gewürdigt. Wenn der Islamische Staat besiegt werden kann, weil seine Anführer vor Samsung-Fernsehern saßen, wird man sich über Einzelattacken der CIA auch kaum beschweren. Die Enthüllungen legen allerdings nahe, dass der Strategiewechsel einen hohen Preis hat: die Verwundbarkeit der Infrastruktur weit über bisherige Kommunikationskanäle hinaus.
Falls die CIA Sicherheitslecks in Haushaltsprodukten nicht nur verschweigt, sondern sogar in Auftrag gibt, wie das die Dokumente nahelegen, wäre das in seinen Folgen kaum abzuschätzen. Zu den Risiken globaler Informationsüberwachung käme eine weltweite Infrastruktur, die bewusst für Angriffe offen gehalten würde.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Alle im Visier
Jens Schmitz über den neuen Coup von Wikileaks: Die Geheimdienste spionieren inzwischen auch die kommerzielle Gebrauchselektronik aus