Von einer Frau, die in einem Einkaufszentrum einen Kinderwagen schiebt, fühlt sich ein Mann in seinem Vorwärtseilen behindert. Er attackiert sie zunächst verbal und wird dann auch handgreiflich. Am Hauptbahnhof übergießen drei Jugendliche einen Obdachlosen mit Wasser und beleidigen ihn. Am Berliner Platz eskaliert eine Schlägerei unter jungen Leuten: Bei all diesen Vorfällen in Ludwigshafen ist Zivilcourage angebracht, sind sich die Teilnehmer der gestrigen Infoveranstaltung in der Volkshochschule einig. Aber wie sollte man reagieren? Antworten dazu gibt ein ganztägiges Seminar, das das Mainzer Innenministerium organisiert hat.
"Die Passanten müssen sich nicht in Gefahr begeben, wenn sie aktiv werden wollen. Zivilcourage bedeutet kein Heldentum", empfiehlt Kursleiterin Julia Jäger als grundsätzliche Vorgehensweise. Auch Kleinigkeiten könnten viel bewirken. Bisweilen reichten wenige Worte, um die Lage zu entschärfen. "Wichtig ist auch, möglichst nicht allein aktiv zu werden, sondern Verbündete zu suchen und jemanden aus dem Umkreis aufzufordern, etwa die Polizei anzurufen."
"Mit Kleinigkeiten viel bewirken"
Die Diplom-Psychologin leitet zusammen mit Hermann Anell von der Arbeitsgemeinschaft Frieden (Trier) den Kurs. Der Andrang ist so stark gewesen, dass die Teilnehmerzahl aufgestockt wurde. Polizeibeamte haben sich ebenso angemeldet wie Lehrer, Sozialpädagogen und ehrenamtlich Aktive wie Gerold Blaese. Als Moderator bei der kriminalpolizeilichen Prävention und Senior-Trainer möchte er wissen, wie er genau eingreifen soll. "Möglicherweise würde ich sonst etwas zu mutig sein."
Andrea Barie, die ebenfalls ehrenamtlich in puncto Kriminalprävention tätig ist, vermutet indes, dass sie persönlich noch etwas mutiger werden sollte. Wolfgang Karbe, Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe Ludwigshafen, will auch die Betreuung der Opfer nicht vergessen. "Wir kümmern uns im Verein auch um Personen, die Gewalt am eigenen Leib erfahren mussten." Einig ist sich die Runde in dem Ziel, heikle Situationen im Alltag besser einschätzen zu können.
Hierauf legen die Kursleiter einen Schwerpunkt. Anhand von konkreten Vorfällen müssen sich die Teilnehmer überlegen, wie sie reagieren würden. Beispiel: Ein Onkel nötigt seine Nichte bei einem Familienfest nachdrücklich, ihm einen Kuss zu geben, anderenfalls würde er den Eltern erzählen, was sie für ein ungezogenes Kind ist. "Ich würde den weiteren Verlauf des Festes genau beobachten und wenn nötig mit dem Onkel sprechen", lautet der Tenor der meisten Antworten, der von Julia Jäger akzeptiert wird.
"Gerade bei alltäglichen Situationen kann man Zivilcourage einüben und Selbstsicherheit bekommen", sagt die Kursleiterin. Umso leichter falle dann das Einschreiten bei gravierenden Vorfällen.
"Auch dank des Ludwigshafener Kurses wird das Thema Kreise ziehen", freut sich Verena von Hornhardt, Geschäftsführerin des Rates für Kriminalitätsverhütung. Im Oktober folgt ein viertägiges Seminar zur Ausbildung eines Zivilcourage-Trainers.
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