Das Porträt

Komponist Engelke bearbeitet alte Lieder elektronisch Renaissance im Klanglabor

Von 
Hans-Günter Fischer
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Hat Sinn für moderne Labortechnik und Alte Musik: der Komponist Matthias Engelke. © Engelke

Mit Matthias Engelke kann man sich über viele Dinge unterhalten. Unter anderem über „post-petrarcistische“ Gedichte, Minnelieder und Miles Davis. Aber auch über Corona: Engelke, ein Komponist und Sounddesigner, der gerade eine Aufnahme von elektronisch überarbeiteten Lautenliedern von John Dowland auf den Markt gebracht hat, hat nämlich Molekularvirologie studiert. Er deutet an, dass er in dieser Pandemie-Zeit ungefähr auf einer Linie mit Karl Lauterbach und Christian Drosten liege. Engelke bedauert, dass die rationale, wissenschaftliche Betrachtungsweise in der öffentlichen Diskussion oft einen schweren Stand habe. Beim Telefongespräch mit ihm fällt die Verständigung indessen leicht: „Dann doch lieber über John Dowland reden.“

Engelkes CD basiert auf der Musik zu einer schon 2013 aufgeführten Tanztheaterproduktion, auch wenn sie später für die Tonaufnahme substanziell verändert wurde. Als „Hauskomponist“ (das Wort klinge ein wenig altbacken, beklagt er sich) der auch in Heidelberg sehr gut bekannten Tanztheatermacherin Irina Pauls ist Engelke schon um die 20 Mal hervorgetreten. Doch zum ersten Mal erscheint das nun als Tonträger, mit Ende 40 debütiert Matthias Engelke als Platten-Interpret.

Alte Jugendliebe

Warum? Wohl auch, weil Dowland, dieser alte Meister aus der Shakespeare-Zeit um 1600, eine alte Jugendliebe von ihm ist: Er war damals erst 16, und er hörte eher – „Hardcore“, wie er sagt – die Platten von Miles Davis. Aber seine Mutter war Alte-Musik-Flötistin, schrieb als solche sogar Lehrbücher, deshalb begegnete er irgendwann auch Dowland. Es war eine tiefe, prägende Erfahrung, Engelkes CD „Resonant Dowland“ ist auch eine Reise in die eigene Erinnerung. Und eine in die späte Renaissance, in Dowlands bittersüße Welt aus 1000 Tränen, voller stilisierter Traurigkeit. Aber die Resonanzen sind zugleich (Theater-) räumlicher Natur, Bühnen-Erfordernisse und -Erfahrungen fließen mit ein.

Die Laute hat Matthias Engelke gestrichen, er hat Dowlands Lieder für Tenorstimme und Elektronik eingerichtet. Die Tenorstimme ist großartig; bestechend klar und dennoch anrührend lässt sie den originalen Zauber der Musik Ereignis werden. Ungenannt bleibt rätselhafterweise, wer der Eigentümer dieser Stimme ist. Doch Engelke setzt uns ins Bild: Der Jungtenor der Bühnenproduktion von damals ist inzwischen ein gefragter Oratoriensänger, eine Agentur hütet sein Image und will eher nicht, dass es mit solchen künstlerischen Wagnissen verbunden wird. Wir haben seinen Namen zwar inzwischen recherchiert. Aber wir wahren seine Anonymität.

Matthias Engelke umgibt die hell und warm timbrierte Stimme nun mit seiner Elektronik, die mit manchmal perkussiver Energie aufwartet, aber überwiegend karg-geräuschhaft bleibt und Dowlands Melodien nicht mit Harmonien unterfüttert. Welten treffen aufeinander, es wirkt anfangs wie Musik von jeweils anderen Planeten. Ein Verlust an Wärme könnte drohen, in gewisser Weise ist das, was wir hören, eine musikalische Versuchsanordnung des studierten Chemikers und Biologen Engelke. Er sagt, dass dieser Hintergrund für seine künstlerische Arbeit durchaus wichtig sei und seinen „Umgang mit Strukturen“ inspiriere: „Abstraktion ist eine tolle Sache.“

„Come Again“, der vielleicht größte Dowland-Hit, wird fragmentiert, hier wird auch ausnahmsweise die Gesangsspur aufgebrochen und verfremdet. Doch das sei der liebestollen Dringlichkeit des Lieds geschuldet, sagt der Komponist. Er fasst die Vorlagen halt doch nicht mit Laborhandschuhen an. Wenn sich der Hörer an das Vorgehen Matthias Engelkes gewöhnt hat, wird ihm immer klarer, dass die Vorlagen und die Bearbeitungen ein symbiotisches Verhältnis pflegen. Engelke bevorzugt für das Resultat den schönen, alten Ausdruck „Palimpsest“: Er überschreibt und übermalt also das Vorgefundene und Überkommene.

Engelke wahrt Distanz

Gibt es Verbindungen zur populären „Recomposed“-Methode von Max Richter – die selbst die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi noch ein bisschen populärer machen will, als sie längst sind? Da rümpft Matthias Engelke am Telefon die Nase: Nein, mit Richter möchte er doch lieber nicht in einen Topf geworfen werden. Braucht der „English Orpheus“ Dowland fremde Hilfe überhaupt? Im Grunde nicht. Die elegante, zeitlose Melancholie der Lieder führte spätestens mit den Bearbeitungen Benjamin Brittens zu einer bis heute virulenten Dowland-Renaissance. Selbst Popstar Sting hat ihr gehuldigt. Engelke hat seinen eigenen, sehr individuellen Weg gefunden. Er sucht Nähe und wahrt doch Distanz.

Komposition und Sounddesign: Matthias Engelke

In Stuttgart auf die Welt gekommen, lebt Matthias Engelke in Frankfurt. Studium der Biologie und Chemie in Freiburg, Promotion in Heidelberg. Klavierstudien in Jazz und Klassik, gründliche Beschäftigung mit elektronischer Musik.

2001 beginnt seine Zusammenarbeit mit der Tanztheatermacherin Irina Pauls an Produktionen, die in Leipzig, Dublin, Heidelberg und anderswo gezeigt wurden. Matthias Engelke schreibt außerdem Musik zu Sprechtheaterstücken und setzt neuerdings verstärkt Live-Elektronik ein, dazu gehörte auch eine Performance in der Schirn Kunsthalle Frankfurt.

„Resonant Dowland: Songs for Tenor & Electronics“ gibt es als CD und Download über www.gruenrekorder.de und auf den einschlägigen Streaming-Plattformen. HGF

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