Karlsruhe hat das Verbot der NPD abgelehnt - aber deshalb kann die rechtsextreme Partei jetzt natürlich nicht unwidersprochen behaupten, sie habe sozusagen höchstrichterlich den Demokratietest bestanden. Im Gegenteil, das Bundesverfassungsgericht bescheinigt der NPD, dass sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und ideologisch in der Tradition der NSDAP steht. Der Unterschied: In der Weimarer Republik haben die demokratischen Kräfte versagt, Adolf Hitler kam legal an die Macht und führte Deutschland ins Verderben. Dass die NPD auch heute noch von der Errichtung der "Volksgemeinschaft" träumt, beweist, wie irre diese Partei ist. Aber eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland stellt sie im Vergleich zum Nationalsozialismus nicht dar. Ihr Plan ist gescheitert, das rechtsextreme Lager unter ihrem Dach zu einer bedrohlichen Macht auszubauen, die das politische System womöglich sogar zum Einstürzen bringen könnte.
Mehr als 50 Jahre nach der Gründung ist die NPD in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Und deshalb muss sie auch nicht verboten werden, urteilt das Bundesverfassungsgericht. Ein kluger, im Übrigen einstimmiger Richterspruch, dessen Tenor sich in einem Satz ausdrücken lässt: Unsere Demokratie kann auch die NPD aushalten.
Das Urteil ist kein Freifahrtschein für Verfassungsfeinde, die den Staat mit allen Mitteln bekämpfen wollen. Dieser muss nicht warten, bis eine rechtsextremistische Partei zum Marsch in die Parlamente bläst und sich dort Machtbastionen sichert. Wenn sie doch zu einer relevanten Gefahr wird, kann sie rechtzeitig und schnell verboten werden. Auch deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht jetzt in diesem wegweisenden Urteil seine bisherige Rechtssprechung geändert und die Voraussetzungen für ein Verbot auch präzisiert hat. Anders als 1956 beim KPD-Urteil reicht die Verfassungsfeindlichkeit allein nicht mehr für ein Verbot aus. Die Gefahr muss real und relevant sein und darf nicht auf politischen Einschätzungen beruhen. Karlsruhe betont damit auch den liberalen Geist, der in der deutschen Demokratie inzwischen herrscht. Das war 1956 noch anders, als das politische Klima von der Abgrenzung zum Kommunismus und dem Kalten Krieg geprägt war.
Eine Partei und ihre Anhänger dürfen die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen - sie stehen dann wie im Falle der NPD eben isoliert am Rand der Gesellschaft. Deshalb hat die Partei inzwischen alle Landtagsmandate verloren und führt in den Kommunalparlamenten ein Schattendasein. Allerdings, so das Gericht, kann der Gesetzgeber darüber nachdenken, ob er der NPD zum Beispiel die staatliche Parteienfinanzierung entzieht. Aber darüber hat nicht Karlsruhe zu entscheiden.
Die Ablehnung des Verbotsantrags ist für die Bundesländer eine schallende Ohrfeige. Sie haben mit ihrem Alleingang das Verbot nicht erreicht. Das liegt nicht nur daran, dass die NPD politisch zu schwach ist. Offensichtlich war das Material, das die Bundesländer an das Gericht geschickt haben, zu dürftig. Die Verfassungsschutzberichte und auch die Behauptung, in Ostdeutschland gebe es mancherorts ein Klima der Angst und "national befreite Zonen", haben die Richter nicht überzeugt. Es klingt fast schon hämisch, wenn im Urteil ausgeführt wird, dass im als Nazidorf verschrienen Jamel zwar tatsächlich schlimme Zustände herrschen würden. Aber dort leben nur 47 Einwohner, und 17 davon sind Kinder. Also ein Sonderfall. Auch die vielen Anschläge auf Flüchtlingsheime lassen keine überproportionale Urheberschaft der NPD erkennen. Gewalt muss bekämpft werden - doch dafür gibt es eben Polizei und die Gerichte.
Dies heißt natürlich nicht, dass in Deutschland rechtes Gedankengut keine Heimat hat: Fremdenhass, Islamophobie und die Verachtung von Politikern gehen über den Populismus hinaus. Auch bei Teilen der AfD. Mit ihr müssen sich die etablierten Parteien auseinandersetzen. Nicht vor Gericht, sondern bald im Bundestag.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kluge Entscheidung
Walter Serif zur Ablehnung des Verbotsantrags durch das Bundesverfassungsgericht: Die Demokratie kann die NPD aushalten