Sie gilt als eine der verlustreichsten Schlachten des Ersten Weltkriegs. Am Sonntag jährt sich ihr Beginn zum 100. Mal. Zu diesem Anlass eröffnet die deutsch-französische Erinnerungsstätte "Mémorial von Verdun" neu.
Auch nach 100 Jahren ist die Landschaft gezeichnet. Die Narben, die sie trägt, haben die Form von Mulden und Kratern. Bis heute zeugen diese Hinterlassenschaften der Granaten und Geschosse von dem Grauen, das sich einst in und um Verdun abgespielt hat. So ist der Name des lothringischen Städtchens zum Inbegriff für das Gemetzel des Ersten Weltkriegs geworden. Mindestens 300 000 Tote und 400 000 Verwundete, Deutsche wie Franzosen - das war die bittere Bilanz der Schlacht um Verdun.
Zwar hat sich die Natur ihr Reich zurückerobert: Gras ist über die wellige Hügellandschaft gewachsen, neue Bäume kamen aus der Erde. Doch die Erinnerung an die 300 Tage dauernde Schlacht bleibt gegenwärtig in diesem Landstrich. Bunker, Massenfriedhöfe und die Reste von Dörfern prägen ihn. Noch immer liegen die Knochen von schätzungsweise 80 000 Getöteten unter der Erde, die man deshalb als "Heilige Erde" bezeichnet.
1967 wurde die Gedenkstätte "Mémorial von Verdun" eingeweiht, die am Sonntag nach mehr als zweijährigen Renovierungsarbeiten neu ihre Tore öffnet. Der nüchterne Bau hat ein drittes Stockwerk und eine zusätzliche Fläche von 1900 Quadratmetern erhalten, die für Wechselausstellungen, Magazinbestände und ein Dokumentationszentrum genutzt werden kann. Finanziert wurde der Umbau mit Kosten von gut 12,5 Millionen hauptsächlich durch öffentliche Mittel, aber auch mit Hilfe von Sponsoren. Vollständig erneuert wurde dabei der Besichtigungsrundgang, der die Schlacht und ihre Bedeutung in die Geschichte einordnet und dabei die "Hölle von Verdun" begreifbar macht.
Zentrum des Schlachtfelds
"Ab den 1950er Jahren wünschten sich die französischen Veteranen einen Ort im Zentrum des Schlachtfelds, um ihrer an der Front gefallenen Waffenbrüder zu gedenken", erklärt "Mémorial"-Direktor Thierry Hubscher die Entstehung der Gedenkstätte. Mit der Zeit kam es zu einer Annäherung mit der deutschen Seite: "Man spricht heute nicht mehr von französischen Kämpfern, sondern von den Kämpfern von Verdun, egal welcher Nationalität." Längst sei es eine deutsch-französische Erinnerungsstätte, betont er.
Nach dem Tod der letzten Zeitzeugen vor rund zehn Jahren sei es unabdingbar geworden, das Mémorial zu modernisieren und in ein "Präsentations- und Interpretationszentrum" umzugestalten. Weiterhin handele es sich aber um eine Stätte der Erinnerung, sagt Édith Desrousseaux de Medrano, Kuratorin der Dauerausstellung. Wesentlich sei es, so Desrousseaux de Medrano, für die Besucher das Leben und Erleben der Männer an der Front spürbar zu machen. "Wir haben uns um eine ausgewogene Darstellung der französischen wie der deutschen Kämpfer bemüht", sagt die Kuratorin. Diese waren "Weggefährten in der Misere" und erlebten dasselbe Elend in den Schützengräben, dieselben Gefühle von Angst über Verzweiflung bis zur Hoffnung.
Oft auch enttäuschter Hoffnung. "Inmitten der maßlosen und grauenhaften Bilder, die ich erlebe, ist dieser Gedanke der Rückkehr in die Heimat wie ein strahlendes Licht im Dunkel", schrieb der deutsche Maler Franz Marc am Morgen des 4. März 1916 an seine Frau. "Mach dir keine Sorgen, ich werde es überleben." Am Nachmittag des Tages war er tot.
Zeichen der Standhaftigkeit
Rund 2000 Objekte, von Soldatenuniformen und -helmen über Alltags- und Kunstgegenstände bis zu Briefen und Archivfotos sind ausgestellt, die teils restauriert, teils neu erworben wurden. Video- und Tonaufnahmen von Augenzeugen heben die menschliche Dimension der Kämpfe hervor. Aber erklärt wird auch, warum sie in der Erinnerung Frankreichs eine so herausragende Rolle gespielt haben, Spuren auch im Bewusstsein der Menschen hinterließen.
Es war die letzte Schlacht in der Geschichte Frankreichs, die es ohne Unterstützung der Alliierten durchstand. Zwar handelte es sich nicht um die mörderischsten Kämpfe des Ersten Weltkriegs - die Schlacht an der Somme forderte über eine Million Opfer, davon 443 000 Tote. Sie war auch nicht kriegsentscheidend - wohl aber eine bedeutsame Stärkung des nationalen Stolzes, erklärt Architektin Geneviève Noirot, verantwortlich für die Szenographie im Mémorial. "Verdun gab den Franzosen Vertrauen. Sie sagten sich: Wenn wir dieser enormen Offensive widerstehen können, dann können wir allem widerstehen." Unter ihnen war General Philippe Pétain, der durch den Abwehrerfolg zu einem Nationalhelden avancierte, bevor er als Staatschef im Vichy-Frankreich während des Zweiten Weltkrieges mit den Nazis kollaborierte.
Zermürbender Stellungskampf
Ziel der Heeresleitung der Deutschen war es, dem in Schützengräben festgefahrenen Krieg Schwung zu verleihen und den Franzosen eine entscheidende Niederlage zuzufügen. General von Falkenhayn als Oberbefehlshaber entschied sich für den Angriff Verduns, da die Festung in einem Frontbogen lag und die von Westen und Süden kommenden Eisenbahnlinien unterbrochen waren, was die Versorgung einschränkte. Dass die Verteidigungsstellungen entwaffnet und Munitionsbestände verlegt worden waren, ließ zudem einen Sieg leicht erscheinen. Dennoch verwandelte sich der von den Deutschen erwartete Erfolg in eine Abnutzungsschlacht.
Beendet wurde die Offensive am 18. Dezember 1916, wenngleich sich die Kämpfe bis 1918 fortsetzten. Beide Kriegsparteien befanden sich fast wieder an denselben Positionen wie zu Beginn der Schlacht. Neun französische Dörfer wurden zerstört und nie wieder aufgebaut. Bis heute wird jeweils ein Bürgermeister bestimmt - Wähler gibt es ja keine mehr.
Eröffnung am 29. Mai
Im Mémorial von Verdun spielt die Erde des Schlachtfelds eine zentrale Rolle. Wie ein Leitmotiv zieht sie sich durch die Dauerausstellung, erscheint unter Glasplatten auf dem Boden entlang des Rundgangs, so dass der Besucher den Eindruck bekommt, in die Fußstapfen der Soldaten zu treten. Ein Bildschirmmosaik mit einer Fläche von fast 100 Quadratmetern erlaubt einen weiten Blick über das Schlachtfeld, das sich in einer kreisförmigen Installation vor dem Besucher öffnet. Das soll eine Vorstellung von der "Maßlosigkeit" der Kämpfe geben, erklärt Szenografin Noirot.
Das Mémorial wird ab Montag geöffnet sein. Am 29. Mai werden es Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande offiziell einweihen. Erwartet wird eine Geste, die an jenen historischen Handschlag erinnert, den sich Helmut Kohl und François Mitterrand im September 1984 am Beinhaus von Douaumont bei Fleury-devant-Douaumont gegeben haben.
Schuhsohlen als Symbol für massenhaftes Sterben
Klaus Backes
Bernd Gerstner bringt das Grauen der Schlachtfelder nach Ladenburg. Im dortigen Domhofsaal zeigt der Künstler bis zum 6. März die Ausstellung "Verdun - Verletzte Seelen". Auf einer Erdschicht liegen Schuhsohlen, komplette sowie stark fragmentierte. "Es sind Symbole für die letzten Schritte der Soldaten", beschreibt der Heddesheimer die Bedeutung des Werks. Gefunden hat er die eigentlich banalen Gegenstände im Raum Verdun, wohin er Jahr für Jahr fährt. Ein Zufall brachte Gerstner auf die Idee zu der Serie "Gesichter des Krieges": Auf dem Waldboden bei Verdun lag eine Axt, deren stark verrostete Klinge den Künstler an ein Gesicht erinnerte, dessen Konturen er dann verstärkte. Andere Werke bestehen ebenfalls teilweise aus Originalstücken: Patronenhülsen, Uniformknöpfen, Fragmenten von Granaten.
Namensgebend für die Ausstellung sind die geschwärzten Holzplatten der Serie "Verletzte Seelen". In abstrakter Weise stellt Gerstner hier Soldaten dar, und Wachsflächen symbolisieren ihre geschundene Psyche: "Es hat mich fasziniert, dass Verdun nicht nur sichtbare Zerstörung bedeutet, sondern auch bleibende Schäden in den Seelen der Menschen und vielleicht sogar in denen der folgenden Generationen hinterlässt. Denn die Kriegsheimkehrer brachten ihre Probleme mit in die Familien."
Was auffällt: Gesichter sind auf den Gemälden kaum zu finden. "Es ging damals nur ums Material", erläutert der Künstler. Ein massenhaftes Sterben, gesichts- und namenlos. Schockierendes gibt es genug in der Geschichte der Schlacht. Doch eine Erkenntnis hat Gerstner besonders bewegt: dass beide Seiten Kriegsgefangene gefoltert haben. Dieser kaum bekannte Aspekt war ihm Ansporn, Kontakt zu Mitgliedern von Amnesty International aufzunehmen, die ihm die Ausstellung in Ladenburg ermöglicht haben.
Menschen als Material
Was bringt einen 1957 Geborenen dazu, sich seit seinem ersten Verdun-Besuch im Jahr 1974 derart intensiv mit der vielleicht schrecklichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs zu beschäftigen? "Ich weiß nicht weshalb", gibt Gerstner zu. 2006 hat er sich selbst die Frage gestellt, weshalb ihn Verdun nicht loslässt, und begann, verstärkt Werke zum Thema zu schaffen: "Wenn mich ein Problem beschäftigt, dann löse ich es mit Kunst."
Zwischen Bildern hängt eine Tafel mit dem Bericht von Erich Kästner über das Grauen von Verdun. Gerstner liest den Text vor: "Auf den Schlachtfeldern von Verdun hinterließ der Krieg ein Vermächtnis. Täglich sagt der Chor der Toten: ,Habt ein besseres Gedächtnis'." Liegt hier der Sinn seiner Beschäftigung mit dem Thema? Der Künstler überlegt, sagt dann: "Ich will mit meinen Werken dazu anregen, nicht zu vergessen, was man diesen Menschen angetan hat."
Dokument der Vernichtung
In seinem Romanzyklus "Der große Krieg der weißen Männer" über den Ersten Weltkrieg widmete der 1887 in Schlesien geborene Schriftsteller Arnold Zweig ein Werk auch explizit der Schlacht um Verdun.
"Erziehung vor Verdun" heißt das 1935 erschienene Werk, dem die Romane "Der Streit um den Sergeanten Grischa" (1927) und "Junge Frau von 1914" (1931) vorausgingen und die Bücher "Einsetzung eines Königs" (1937), "Die Feuerpause" (1954) und "Die Zeit ist reif" (1957) folgten.
In "Erziehung vor Verdun" schildert der 1968 in Berlin (Ost) gestorbene Autor Zweig aus der Sicht seiner Hauptfigur Werner Bertin den Kriegsalltag eines einfachen Soldaten. Dieser berichtet von unterschlagenen Mannschaftsrationen, zensierten Briefen, Strafversetzungen an gefährliche Frontabschnitte und von dem Rückzug der deutschen Truppen aus Fort Douaumont angesichts der französischen Gegenoffensive. malo
Gemetzel einer Schlacht
Die Stadt in Lothringen mit ihren 19 Festungen, 19 Infanteriewerken und einem großen Straßennetz war zwar von 1914 bis 1918 umkämpft. Berühmt wurde sie wegen der als "Hölle von Verdun" bezeichneten Schlacht, bei der sich deutsche und französische Soldaten zehn Monate lang in einem erbitterten Stellungskrieg bekämpften.
Da Deutschland eine großangelegte Offensive der alliierten Streitkräfte befürchtete - und informiert über den schlechten Zustand der französischen Verteidigungsstellungen -, erwartete man sich in Verdun einen schnellen Sieg, der die Weltöffentlichkeit beeindrucken sollte.
Am 21. Februar 1916 um 7.12 Uhr startete die Großoffensive. Es war der Auftakt zu einer vernichtenden Schlacht, bei der rund 60 Millionen Granaten zum Einsatz kamen. Insgesamt gab es über 300 000 Tote und 400 000 Verletzte auf beiden Seiten.
Zwar konnten die Deutschen vier Monate lang in Richtung Verdun vorrücken, aber der Widerstand der Franzosen zwang die Angreifer in einen Zermürbungskrieg, der auf beiden Seiten gleich hohe Verluste verursachte. Der deutsche Plan scheiterte.
Erst 1918 wurde das gesamte Gebiet dank des massiven Einsatzes US-amerikanischer Truppen zurückerobert dpa
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