Arbeitsgericht Mannheim

Güterichterverfahren am Arbeitsgericht Mannheim: Handschlag statt Richterspruch

Am Mannheimer Arbeitsgericht gibt es sogenannte Güterichterverfahren. Die Konfliktbeteiligten versuchen, in einem Mediationsprozess eine Lösung zu erarbeiten. Richterin Kerstin Miess berichtet

Von 
Tatjana Junker
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In sogenannten Güterichterverfahren suchen Konfliktparteien selbst nach einer Lösung. © Getty Images/iStockphoto

Mannheim. Versöhnung - darum geht es im Arbeitsalltag von Kerstin Miess eigentlich eher selten. Wenn die Richterin am Mannheimer Arbeitsgericht ihre schwarze Robe anzieht und in einem der Sitzungssäle vorne am Richtertisch Platz nimmt, hat sie meist Menschen vor sich, die erbittert streiten: Personalchefs und Beschäftigte, Betriebsräte und Geschäftsführer. Es geht um Kündigungen, Geld, Fehltritte am Arbeitsplatz.

Vor allem aber geht es ums Recht - und ums Recht haben. „In einem normalen Gerichtsverfahren gibt es am Ende immer einen Verlierer und einen Gewinner, je nachdem, zu wessen Gunsten die Entscheidung ausfällt“, sagt Miess.

Doch die Juristin hat am Arbeitsgericht auch noch eine Aufgabe, bei der das anders aussieht: Sie gehört zu aktuell drei Richtern, die in Mannheim sogenannte Güterichterverfahren begleiten. Dabei versuchen die Konfliktbeteiligten, in einem Mediationsprozess selbst eine Lösung zu erarbeiten. Speziell geschulte Güterichter wie Miess unterstützen dabei. Das Verfahren wird seit 2014 an allen Arbeitsgerichten in Baden-Württemberg und beim Landesarbeitsgericht angeboten. Es ist immer freiwillig, wird also nur gestartet, wenn alle Beteiligten das wollen.

Bewährte Pendeldiplomatie im Güterichterverfahren

Wenn Kerstin Miess die streitenden Parteien zum Güterichterverfahren begrüßt, trägt sie keine Richter-Robe, sondern normale Kleidung: „Gerne etwas Fröhliches“, sagt sie. Auch der Raum, der speziell für diese Treffen eingerichtet ist, sieht anders aus: In der Mitte steht ein großer, ovaler Tisch, es gibt Getränke - und manchmal sogar einen selbstgebackenen Kuchen. „Die Atmosphäre soll bewusst anders sein als bei einer Gerichtsverhandlung.“

Richterin Kerstin Miess im Raum für die Güterichterverfahren. © istock/tat

Eine der Wände in dem Raum ist gerade in einem freundlichen Grün gestrichen worden, es riecht noch leicht nach Farbe. Beim Blick aus der breiten Fensterfront sieht man viel Himmel, an die Wände sollen bald noch ein paar Bilder kommen.

Ein zweiter, kleinerer Besprechungsraum befindet sich schräg gegenüber auf demselben Flur. Gerade wenn die Fronten am Anfang sehr verhärtet sind, sich die Beteiligten vielleicht sogar beschimpfen, platziert Miess die Parteien zunächst in getrennten Zimmern. Die Richterin setzt dann auf „Pendeldiplomatie“, wechselt von einem Raum zum anderen und hört sich die jeweiligen Positionen an. „Wichtig ist, dass jedes Gespräch absolut vertraulich ist. Ich gebe nichts an die andere Seite weiter, was ich nicht explizit weitergeben darf“, sagt Miess.

Auch Spaziergänge hat die Richterin schon mit Konfliktparteien unternommen, vor allem, aber nicht nur in der Corona-Zeit: Bewegung kann hilfreich sein, um verfahrene Situationen zu lösen. Ein ganz wesentlicher Punkt sei, herauszufinden, welche wahren Interessen auf beiden Seiten hinter dem Konflikt stecken. Denn das können ganz andere Punkte sein als die, um die es vordergründig in der juristischen Auseinandersetzung geht. Langjährige persönliche Konflikte am Arbeitsplatz zum Beispiel. Gerade dann, wenn viele Emotionen im Spiel seien, mache ein Güterichterverfahren Sinn, sagt Miess. Dort könne man solche Befindlichkeiten offen ansprechen und intensiv darauf eingehen - anders als im Gerichtssaal, wo es vor allem um Rechtsfragen geht.

Auch Ehepartner sind teils dabei

Anders als vor Gericht können im Güterichterverfahren auch Personen dabei sein, die nicht Prozessbeteiligte sind, zum Beispiel in einen Konflikt involvierte Vorgesetzte oder Kollegen. Auch Ehepartner sind ab und zu mit am Tisch. So kann es vorkommen, dass die Ehefrau eines Mitarbeiters mit dem Personalchef zusammensitzt und ihm erklärt, wie es ihrem Mann mit einer bestimmten Situation geht - weil er selbst vielleicht nicht so gut über die Belastung sprechen kann.

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Ein bewährtes Instrument ist auch das Paraphrasieren: Dabei sollen sich die Parteien - also zum Beispiel Personalchef und Mitarbeiter - jeweils die Position des anderen anhören und diese dann in eigenen Worten wiedergeben. „Manche haben da zum ersten Mal das Gefühl, sie werden wirklich gehört“, sagt Miess. Auch ermögliche es den Parteien, sich in die Position des Gegenübers hineinzuversetzen. Danach sei teils eine ganz andere Verständigung möglich.

Beteiligte müssen im Güterichterverfahren selbst zu einer Lösung kommen

Entscheidend sei, dass die Beteiligten am Ende selbst zu einer Einigung kommen, erklärt Miess. Die Güterichterin begleitet und unterstützt dabei, gibt aber keine Lösungen vor - und auch keine Hinweise, wie der Streit juristisch ausgehen könnte. Können die Streitenden ihren Konflikt im Güterichterverfahren nicht lösen, geht die Auseinandersetzung zurück vor Gericht und wird dort von einem anderen Richter entschieden. Der wiederum erfährt dann auch nicht, was im Güterichterverfahren besprochen wurde - nur dass es gescheitert ist.

Letzteres kommt allerdings nur selten vor: In den vielen Jahren, in denen Kerstin Miess schon als Güterichterin unterstützt, war das nur in zwei Verfahren der Fall. Sie selbst freut sich immer, wenn eine friedliche Einigung gelingt: „Es ist einfach toll, wenn sich Menschen, die vorher total wütend aufeinander waren, am Ende die Hand schütteln und wieder in die Augen schauen können.“

Richterin Miess ist sich sicher, dass sich der Versuch, arbeitsrechtliche Konflikte mit einem Güterichterverfahren zu lösen, in den allermeisten Fällen lohnt: „Wenn alle Beteiligten das wollen, findet man immer eine bessere Lösung als ein Gerichtsurteil.“

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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