Mannheim. Die Stadt ist für alle alle da. Oder doch nicht? Mit architektonischen Maßnahmen wird vielerorts versucht, bestimmte Personengruppen von Plätzen zu verdrängen - auch in Mannheim. Ein Interview mit Designerin Hannah Wagner.
Frau Wagner, Sie haben Ihre Abschluss-arbeit an der Mannheimer Hochschule für Design über „Feindliche Architektur“ geschrieben. Was ist das?
Hannah Wagner: Feindliche Architektur oder defensive Architektur ist ein beschönigender Begriff. Das sind teils aggressive Maßnahmen, um bestimmte Gruppen von Plätzen fernzuhalten. 2022 belegte der Begriff defensive Architektur den dritten Platz beim Unwort des Jahres.
Wie kann Architektur ausgrenzen?
Wagner: Indem sie nicht dazu einlädt, sich an einem Ort aufzuhalten, sondern das Gegenteil, es soll möglichst ungemütlich sein. Begründet wird das häufig mit dem Sicherheitsaspekt. Bestimmte Menschen, Trinker, Obdachlose, Jugendliche, die skateboarden, sollen sich an den Plätzen nicht aufhalten, um andere Menschen nicht abzuschrecken oder zu gefährden. Das ärgert mich als Designerin. Denn Design ist eigentlich dafür da, Räume funktional und ästhetisch ansprechend zu gestalten. Hier wird es genutzt, um Menschen auszugrenzen.
Wo findet sich defensive Architektur?
Wagner: In ganz vielen Städten, in Deutschland und in anderen Ländern. Ich habe mir verschiedene Städte unter anderem hier in der Region angesehen, Mannheim, Ludwigshafen, Worms, Germersheim. Defensive Architektur ist nicht durchgehend an allen Orten in den Städten vertreten, aber häufig an den zentralen Orten. Das Design ist außerdem in jeder Stadt gleich, das ist zum System geworden, das fällt schon gar nicht mehr auf.
Wie sieht das konkret aus?
Wagner: Es haben sich verschiedene Maßnahmen herauskristallisiert. Da ist zum einen das Material. Viele Bänke sind aus Eisen, das die Kälte überträgt. Die Sitzflächen haben oft auch Löcher, so steigt die Kälte vom Boden leichter nach oben. Manche Bänke sind auch ganz aus Gittern geformt. Die Bänke sind außerdem sehr schmal oder haben in der Mitte der Sitzfläche Armlehnen angebracht. Ich nenne das Störelemente. Die sind so niedrig, da kann sich niemand aufstützen. Sie verhindern aber, dass man sich hinlegt. Dann gibt es Hocker, etwa aus Beton, die sich nicht verrücken lassen, das heißt, man kann sie nicht zu einer Gruppe zusammenstellen und man kann auch nicht auf einem Hocker sitzen und auf dem anderen seine Beine ausstrecken. Es finden sich auch generell weniger Sitzplätze, zum Beispiel an Haltestellen. Alte Bänke werden nicht erneuert, so verschwinden Sitzmöglichkeiten. Dann die Papierkörbe, die Schlitze sind so schmal, dass man nicht hineingreifen und nach Pfandflaschen suchen kann.
Hannah Wagner
- Hannah Wagner wurde 1991 in Germersheim geboren.
- Sie ist gelernte Kunsthistorikerin sowie Designerin und lebt in Mannheim.
- Bei ihrem Designstudium an der Hochschule Mannheim legte Wagner ihren Fokus auf Fotografie und Film. In ihrer Arbeit widmet sie sich vor allem der Street- und Dokumentarfotografie und behandelt am liebsten gesellschaftspolitische Themen.
- So auch in ihrer fortlaufenden Fotoserie zum Thema „Feindliche Architektur“.
Bänke aus Eisen lassen sich abwaschen und sind auch nicht so leicht zu beschädigen. Spielt das bei der Auswahl nicht auch eine Rolle?
Wagner: Das Argument kann ich nachvollziehen. Aber ich würde denken, wenn man sich Mühe geben würde, könnte man beides verbinden, Bequemlichkeit und Funktionalität.
Der öffentliche Raum sollte ja eigentlich für alle da sein. Wie aber gestaltet man Plätze in einer Stadt, dass sich dort alle wohl und sicher fühlen?
Wagner: Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, da ist es normal, dass es Interessenkonflikte gibt. Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse, auch was die Nutzung öffentlicher Plätze angeht. Was mich wütend macht, ist die Kaltschnäuzigkeit gegenüber obdachlosen Menschen. Um die geht es ja vor allem, die wollen wir nicht in der Innenstadt haben.
Aber findet nicht auch Verdrängung statt, wenn Menschen Plätze meiden, weil sie sich dort unwohl fühlen?
Wagner: Das sind oft auch abstrakte Ängste. Von einem Obdachlosen, der ein Bier auf der Bank trinkt, geht ja keine unmittelbare Gefahr aus. Der Anblick mag mir nicht gefallen, aber das muss ich aushalten.
Ich muss aber nicht aushalten, wenn ein Obdachloser in einem Park in die Büsche pinkelt. Das rechtfertigt sogar einen Platzverweis.
Wagner: Für das Zusammenleben im öffentlichen Raum gibt es Regeln. An die müssen sich auch obdachlose Menschen halten. Wir müssen diesen Menschen aber auch Räume zur Verfügung stellen, wo sie sich aufhalten können. Und wo sie dann gegebenenfalls aufs Klo gehen können.
Es gibt extreme Maßnahmen wie Metallspikes, die über Lüftungsschächten oder in Hauseingängen auf dem Boden angebracht werden, um zu verhindern, dass sich dort jemand schlafen legt. Haben Sie so etwas auf Ihrer Recherche-reise gefunden?
Wagner: Nein, das ist in Deutschland eher selten. Wenn so etwas bekannt wird und Bilder die sozialen Medien erreichen, regt sich meist Widerstand. Es sind eher die subtilen Maßnahmen, und an die haben wir uns schon gewöhnt.
Kann man den Städten hier Absicht unterstellen, dass bewusst Bänke ausgewählt werden, um bestimmten Personengruppen das Leben schwer zu machen?
Wagner: Einerseits werden die Bänke ausgewählt, weil sie da sind, weil es Anbieter gibt, die diese Bänke herstellen, und man es gewohnt ist, diese zu benutzen. Andererseits ist der Sinn und Zweck dieser Bänke durchaus bekannt. Vor allem in den letzten Jahren wird dieses Thema, auch in den Medien, immer mehr thematisiert. Man kann sich also nicht mehr hinter Unwissenheit verstecken. Und selbst wenn diese Bänke nicht mit der direkten Absicht aufgestellt werden, obdachlose Menschen zu vertreiben, so wird das in der Praxis ja doch toleriert. Hier sind auf jeden Fall andere Lösungsansätze gefragt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-ausladende-architektur-in-mannheim-wenn-baenke-ausgrenzen-sollen-_arid,2131748.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/worms.html