Protest: Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit sperren wütende Beschäftigte in Frankreich ihren Chef ein

Wieder Manager als Geisel

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Joachim Rogge und dpa

Paris. Serge Foucher hatte seine unfreiwillige Nachtschicht gut überstanden. Ihm gehe es gut, "ich bin zufrieden, wieder frei zu sein", meinte der Chef von Sony Frankreich nach seiner rund 14-stündigen Gefangenschaft. Aufgebrachte Beschäftigte des Unternehmens, das im April seine Pforten im südwestfranzösischen Pontonx-sur-l'Ardour schließen will, hatten ihren Boss vergangene Woche über Nacht in seinem Büro eingesperrt, um höhere Abfindungen zu erzwingen.

Gestern haben nun erneut Beschäftigte ihren Chef über Nacht als Geisel genommen: Die Angestellten des Pharma-Unternehmens 3M setzten in Pithiviers in Zentralfrankreich ebenfalls den Werksdirektor fest. Bis gestern Mittag war er, nach fast 24-stündiger "Geiselnahme" immer noch nicht frei. 3M will rund die Hälfte der 235 Arbeitsplätze abbauen.

In Frankreich verschärft sich in Folge der Krise das soziale Klima. Zunehmend ruppiger verteidigen Beschäftigte ihre bedrohten Arbeitsplätze - und besinnen sich dabei auch auf Aktionsformen, die im heißen Mai 1968 durchaus gängige Druckmittel waren. Der Kampf der Lip-Arbeiter, die Anfang der 70er Jahre ihr Uhrenwerk besetzten und in eigener Regie eine Zeitlang weiter führten, ist ohnehin bis heute ein Mythos geblieben.

Für den Zorn der Beschäftigten bei 3M hat Direktor Luc Rousselet durchaus Verständnis. "Sie sind mehr zu bedauern als ich", meldete er sich telefonisch aus seinem Büro. "Er bleibt festgesetzt, bis wir haben, was wir wollen. Wir haben nichts mehr zu verlieren", drohte derweil Jean-Francois Caparros von der militanten linken Gewerkschaft "Arbeiterkampf". Inzwischen haben sich der Unterpräfekt und der sozialistische Bürgermeister des Städtchens eingeschaltet, um zwischen den Fronten zu vermitteln.

Rousselet gewaltsam zu befreien, steht freilich nicht zur Debatte. Frankreichs zornige Arbeitnehmer können auf die öffentliche Unterstützung zählen. Auch die Behörden schreiten selten gegen "Feuerköpfe" ein. Als gestern rund 900 zornige Beschäftigte des französischen Continental-Werks in der Picardie zu Fuß vom Pariser Nordbahnhof zum Elysée-Palast quer durch die Stadt zogen, winkten ihnen viele Bürger vom Trottoir aus zu, feuerten sie an, nicht klein beizugeben.

Der Kampf der Reifenwerker, ihr wilder Streik gegen die Stilllegung des Werks, hat in Frankreich viele Schlagzeilen gemacht. Der soziale Konflikt ist längst zum Symbol der Krise geworden. Die Conti-Werker sehen sich betrogen, da ihre Fabrik im nächsten Jahr einfach dicht gemacht werden soll, obwohl sie Ende 2007 noch zähneknirschend einer deutlichen Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich zugestimmt hatten.

In die Wut mischen sich auch anti-deutsche Töne. Es gärt an vielen Ecken. Fabrikblockaden, Eierwürfe auf Manager, das symbolische Lynchen von Stoffpuppen auf dem Betriebsgelände - "Radikalisierung bleibt die letzte Hoffnung für Beschäftigte in Not", titelte die linke Pariser Zeitung "Liberation".

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