Mannheim. Den 1. Februar 2016 werden Annette V. und Eduard B. (Namen von der Redaktion geändert) wohl nie vergessen. An jenem Montag sind sie auf dem Weg zum Logistikzentrum des Möbelhändlers XXXL in Mannheim. Doch arbeiten dürfen sie nicht. Ihr Zugangscode ist ungültig. Stattdessen bekommen sie ein Papier in die Hand gedrückt, auf dem "Freistellung" steht. Der Betrieb werde nach Würzburg verlagert. 99 Jobs verschwinden in Mannheim. Irgendetwas lag in der Luft, das spürten V. und B. vorher. Aber gleich so etwas Krasses?
Annette V. darf kurz rein, um ihre persönlichen Sachen zu holen. "Total neben der Spur" packt sie den Blumentopf, die Gießkanne und den Notizblock ein. Dann geht sie "verbittert und gekränkt". Nach etlichen Jahren bei XXXL, ehemals Mann Mobilia.
Selbst heute, Monate später, kann sie nur schweren Herzens am Möbelhaus vorbeifahren. "Es bereitet mir Unbehagen", sagt Annette V. "Meine Stimmung verschlechtert sich rapide." Eine Freundin hat ihr inzwischen einen Aushilfsjob vermittelt, dort arbeitet sie stundenweise. Aber einen "richtigen" Halbtagsjob, den findet sie nicht. Vollzeit kann V. wegen ihrer beiden Kinder nicht arbeiten. "Ich habe schon mehrere Versuche unternommen, etwas zu finden, aber ohne Erfolg." Oft bekommt sie auch zu hören: "Leider zu alt. Wir suchen Kräfte zwischen 19 und 36."
Am Ende verloren bei XXXL in Mannheim 73 Mitarbeiter ihren Job. 26 wurden auf andere Stellen vermittelt. Die Unternehmensgruppe zahlte nach einer Einigung mit dem Betriebsrat insgesamt mehr als 1,8 Millionen Euro an Abfindungen. Selbst Betriebsratschef Thomas Becker sprach von einem "fairen Wert". Die Abfindung tröstet Annette V. allerdings nur wenig. "Lieber hätte ich wieder einen Job", sagt sie.
Tiefe Spuren
Auch Eduard B. fährt nur noch bei XXXL am Gewerbegebiet im Stadtteil Vogelstang vorbei, wenn es unbedingt sein muss. B. kann im Gegensatz zu Annette V. bald in Rente gehen. Das Erlebte lässt ihn trotzdem nicht los. Wie auch sie erzählt B. von dem Morgen des 1. Februar, als sich alle wie Fremde vor dem eigenen Arbeitsplatz versammelten. B. hat viele Entscheidungen der Geschäftsführung nicht verstanden. Bis heute nicht.
Dass XXXL keine Tarifverhandlungen aufnehmen will, kritisiert Stephan Weis-Will, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Rhein-Neckar. "Einem der größten Möbelhändler in Deutschland würde eine Tarifbindung gut anstehen", sagt er. Der schwedische Konkurrent Ikea etwa sei schon vor Jahren in den Arbeitgeberverband eingetreten.
Den Boykott gegen das Mannheimer Möbelhaus mit Beschwerdekarten verteidigt er: "Wenn ein Unternehmen derart daneben greift wie XXXL, dann nehmen wir uns selbstverständlich das Recht heraus, zu protestieren." Daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern.