Braunschweig. Der Betrugsprozess zur VW-Dieselaffäre ist gerade einmal zwei Tage alt – doch einer der Mitangeklagten teilt schon heftig gegen die frühere Chefetage aus. Er selbst habe Fehler begangen und es auch versäumt, „rechtzeitig aus diesem Projekt auszusteigen“, sagte ein ehemaliger Abgastechnik-Ingenieur am Dienstag vor dem Braunschweiger Landgericht. Die Hauptverantwortung für die mutmaßlich jahrelange Vertuschung schob er jedoch dem Topmanagement zu – namentlich Ex-Konzernchef Martin Winterkorn sowie dem Ex-Entwicklungschef der Kernmarke Volkswagen. Letzterer steht ebenfalls vor Gericht.
Unklar ist, ob der Prozess wie geplant fortgesetzt werden kann. Bis Ende September will das Oberlandesgericht nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Abtrennung des Verfahrensabschnitts zu Winterkorn entscheiden, ob es zunächst ohne diesen weitergehen kann oder ob er von Anfang an dabei sein muss. Der öffentliche Teil vor Gericht müsste dann womöglich von vorn beginnen.
Der Motorenexperte trug der Kammer seine Sicht auf die Geschehnisse vor. Auch E-Mails und Folien aus Leitungstreffen wurden gezeigt. Er sei hin- und hergerissen gewesen zwischen Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber und der Frage, ob er sich integer verhalten habe. „An diesem Punkt habe ich eine falsche Entscheidung getroffen“, sagte er. „Ich würde sie heute nicht mehr so treffen.“
Gleichzeitig griff der Angeklagte die damalige VW-Führung an. Den Prozess jetzt ohne Winterkorn abzuhalten, empfinde er als „Schlag ins Gesicht“. Es sei aus seiner Perspektive „eine absurde Situation, dass der Gehilfe hier vor Gericht steht und der vermutliche Kopf der Bande zu Hause sitzt“. Winterkorn hatte betont, sich „keines Fehlverhaltens bewusst“ zu sein. Auch in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags Anfang 2017 beteuerte er, nichts von illegalem Tun erfahren zu haben.
Techniker gegen Manager
Alles dreht sich um die Frage, wer in der Entstehungsgeschichte des Projekts „US 07“ – VW wollte auf dem US-Markt mit einem „sauberen Diesel“ antreten – wann was über die Manipulationen wusste. Und darum, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden. Während Techniker behaupten, ein ungutes Gefühl gehabt und vor Konsequenzen nicht befolgter Abgasregeln gewarnt zu haben, wollen Manager höchstens über Probleme oder Unregelmäßigkeiten beraten haben.
Die Staatsanwaltschaft sieht hinreichend konkrete Verdachtsmomente unter anderem für banden- und gewerbsmäßigen Betrug rund um die falschen Emissionsdaten. Der Ingenieur sieht den Großteil der mutmaßlichen Schuld bei den obersten Entscheidern. Schon 2012 habe er den Entwicklungsvorstand der VW-Kernmarke über seine Bedenken wegen der in den USA eingesetzten Abgas-Software informiert. „Er schickte mich weg mit der Aufforderung, die Unterlagen zu vernichten.“
Auch drei Jahre später, so die Einlassung, sei es bei einer direkten Einbeziehung Winterkorns nicht besser geworden. Noch kurz vor dem Auffliegen der Täuschungen habe der Konzernchef – angeblich „alle Fakten kennend“ – entschieden, den später festgenommenen VW-Manager Oliver Schmidt in die USA zu entsenden. Dort habe dieser die Ursache der gefälschten Emissionswerte weiter verschleiern sollen. Von „Regieanweisungen“ ist die Rede - ähnlich wie bei Schmidt, der vor dem Prozess in einer NDR-Dokumentation von „einem Anweisungsblatt, einem Skript“ gesprochen hatte.