Industrie - Auch Unternehmen der Region leiden unter dem weltweiten Chipmangel / Lieferausfälle, Umsatzeinbußen, weniger Schichten und höhere Preise

"176 Wochen Lieferfrist" - Was der weltweite Chipmangel für Unternehmen in der Region bedeutet

Von 
Bettina Eschbacher und Alexander Jungert und Tatjana Junker
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Begehrt wie nie: ein Mikrochip in einer Hauptplatine. © istock

Rhein-Neckar. Der derzeitige Chipmangel stellt die Wirtschaft vor immense Probleme und beeinträchtigt die Produktion. Wie sieht es bei großen Unternehmen und Mittelständlern der Region aus? Ein Überblick.

Daimler Truck, Mannheim

Im Mannheimer Lkw-Motorenwerk mit rund 4800 Beschäftigten hat es im September nach Angaben eines Sprechers zeitweise in einigen Abteilungen Kurzarbeit gegeben. Momentan laufe die Produktion am Standort wieder planmäßig, sagt er und hebt gleichzeitig hervor: „Wir beobachten die Situation genau, sind in ständigem Kontakt mit unseren Lieferanten und fahren weiter auf Sicht.“ Wegen der Chipkrise und gestiegener Materialkosten will der Nutzfahrzeughersteller bei neuen Aufträgen an der Preisschraube drehen. „Selbstverständlich werden wir im nächsten Jahr auch Preise erhöhen“, hat Vorstandsvorsitzender Martin Daum vor Kurzem bei einer Online-Konferenz gesagt. Einkaufspreise für Stahl und Aluminium seien stark gestiegen. Daimler Truck ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei Nutzfahrzeugen.

Einbruch bei Pkw-Verkäufen

Daimler muss wegen des Halbleitermangels einen Einbruch bei den Pkw-Verkäufen hinnehmen.

Die Stammmarke Mercedes-Benz lieferte von Juli bis September weltweit 428 361 Autos aus – 30,2 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

In vielen Regionen gab es prozentual zweistellige Rückgänge, auch im größten Markt China

Audi, Neckarsulm

Die VW-Tochter geht davon aus, dass die Lage auch im zweiten Halbjahr angespannt bleibt. „Neue Covid-19-Ausbrüche in Asien - etwa in Malaysia und in Taiwan - sorgen für erneute Fabrik-Schließungen bei wichtigen Halbleiter-Herstellern, was auch die Audi-Produktion beeinflusst“, erklärt eine Sprecherin. Ziel sei es, die Auswirkungen auf die Produktion auch am Standort Neckarsulm möglichst zu begrenzen. Der Auftragsbestand sei hoch. Bei den Modellen A6, A7 und A8 werde zurzeit nur noch auf einer Schicht produziert. Wie viele Beschäftigte dadurch von Kurzarbeit betroffen sind, teilt der Autohersteller nicht mit. Halbleiter sind der Hauptbestandteil von Mikrochips, die zum Beispiel in Steuergeräten Antrieb und Fahr- oder Bremsverhalten regeln. Sie steuern zudem Airbags und Assistenzsysteme.

Ebm-papst, Mulfingen

Der Ventilatorenhersteller mit Sitz im fränkischen Mulfingen hat nach Angaben eines Sprechers im Moment gut gefüllte Auftragsbücher - sie könnten aber noch dicker sein, wenn man nicht wegen des Teilemangels Orders von Kunden ablehnen müsste. „Durch diese Engpässe können wir die anziehende Konjunktur leider nicht voll mitnehmen.“ Zwar habe das Unternehmen langfristige Verträge mit Chiplieferanten. „Aber den aktuellen Mehrbedarf kriegen wir nicht komplett gedeckt“, so der Sprecher. Die Knappheit schlage sich auch in enormen Preissteigerungen nieder, mit denen das Unternehmen konfrontiert sei: „Da wird teilweise das Zehnfache verlangt.“ Kurzarbeit gibt es wegen des Chipmangels bei Ebm-papst aktuell nicht, man reagiere in der Produktion aber flexibel: „Wir arbeiten so, wie die Teile kommen“, sagt der Sprecher.

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Dentsply Sirona, Bensheim

Mit „stark steigenden Preisen und Lieferzeiten“ für Chips ist auch der Dentalprodukte-Hersteller Dent-sply Sirona in Bensheim konfrontiert. Lieferketten funktionierten nicht mehr zuverlässig, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Bisher habe man die Beeinträchtigungen aber durch eine „langfristige Einkaufspolitik“ gering halten können. Kurzarbeit gibt es in Bensheim wegen des Teilemangels nicht.

John Deere, Mannheim

Der Traktorenhersteller spürt in seinem Mannheimer Werk nicht nur den Mangel an Halbleitern: „Die Lage bei den Lieferketten ist insgesamt angespannt“, sagt Tilmann Köller, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei John Deere. Man schaue „quasi täglich“, wie der Arbeitsablauf bestmöglich an die aktuelle Liefersituation angepasst werden könne. Vor allem dank langfristiger Verträge mit Zulieferern „und des großen Einsatzes der Belegschaft“ habe man bisher aber einen Produktionsstopp vermeiden können - „und wir gehen im Moment davon aus, dass das so bleibt“, so Köller. Dem Mannheimer Werk komme dabei zugute, dass es einen großen Markt bediene und unterschiedliche Modelle produziere. „Deshalb können wir am Band auch mal umdisponieren und so entsprechend flexibel auf Änderungen reagieren.“

Binder Elektronik, Sinsheim

176 Wochen - diese Zahl wurde Christian Rückert als voraussichtliche Lieferfrist für eines der begehrten Halbleiter-Produkte angezeigt. Wohl eher eine Fantasiezahl - aber mit verlängerten Lieferzeiten oder gar Ausfällen für bestellte Bauteile wird der Geschäftsführer von Binder Elektronik ständig konfrontiert. Das Unternehmen mit Sitz in Sinsheim fertigt im Auftrag von Industriekunden elektronische Baugruppen und Geräte, zum Beispiel Messgeräte. Der Chipmangel trifft den Mittelständler voll: „Das hat dramatische Ausmaße angenommen und bedeutet weniger Aufträge, viel längere Vorlaufzeiten und spätere Auslieferung an die Kunden“, sagt Rückert. Viele Kunden hätten Projekte auf Eis gelegt, weil es auch in den nächsten Monaten nicht genügend Bauteile gibt. Kaum aus der Corona-Krise bremst nun die Halbleiter-Knappheit Rückert aus. Bei den 30 Mitarbeitern müssten einzelne daher immer mal wieder in Kurzarbeit gehen, die Quote liege aber unter zehn Prozent. Abhilfe schaffen lasse sich kaum, wie Rückert erklärt. Die großen Abnehmer für Halbleiter, etwa der iPhone-Fertiger Foxconn, sitzen in Asien, europäische Kunden hätten keine Marktmacht mehr. „Die meisten Bauteile dürften Asien kaum verlassen“, so Rückert. Und eine Chipproduktion in Europa aufzubauen, hält er für kaum machbar - angesichts der immensen Kosten.

Pepperl + Fuchs, Mannheim

„Seit Jahresbeginn können wir unsere stark steigenden Auftragseingänge nicht mehr vollständig bedienen“, sagt Gunther Kegel, Vorstandschef von Pepperl + Fuchs. Das Mannheimer Unternehmen, ein Spezialist für Sensoren, nennt die Chipknappheit als Hauptgrund. Die Fertigungsstätten seien ausreichend ausgelastet, aber: „Wir könnten bei besserer Verfügbarkeit der Rohwaren deutlich mehr Geschäft machen.“ Kegel geht von einer Entspannung des Marktes ab Mitte 2022 aus. Dann könne der jetzt angewachsene Auftragsbestand im nächsten Jahr abgebaut werden.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

Redaktion Alexander Jungert, 1980 in Bruchsal geboren, hat beim "Mannheimer Morgen" volontiert und ist seit 2010 Wirtschaftsredakteur. Während des Studiums arbeitete er unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den "Tagesspiegel" in Berlin. Schreibt am liebsten darüber, was regionale Unternehmen und deren Mitarbeiter umtreibt.

Redaktion Wirtschaftsreporterin