Interview

Mannheimer Ökonom: „Bei der Erbschaftsteuer gibt es zu viele Schlupflöcher“

Sollen Reiche wieder Vermögensteuer zahlen? Kommen die Milliardäre bei der Erbschaftsteuer zu gut weg? Wie der Mannheimer Ökonom Philipp Dörrenberg das sieht.

Von 
Walter Serif
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Bei der Erbschaftsteuer gibt es vor allem mit Blick auf Betriebsvermögen zu viele Ausnahmen, kritisiert der Mannheimer Wissenschaftler Philipp Dörrenberg. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Main-Neckar. Der Mannheimer Ökonom Philipp Dörrenberg lehnt eine Wiedereinsetzung der Vermögensteuer ab. Bei der Erbschaftssteuer kritisiert er, dass Reiche die vielen Schlupflöcher ausnutzen.

Herr Dörrenberg, die reichsten Deutschen besitzen mehr als 60 Prozent des Vermögens. Ist das gerecht?

Philipp Dörrenberg: Das ist eine wirklich schwierige Frage.

Warum denn?

Dörrenberg: Als Wissenschaftler bin ich nicht in der Position, zu beurteilen, ob die Vermögensverteilung in Deutschland gerecht ist oder nicht. Ich beschäftige mich aber mit den Zahlen.

Und wie sehen die aus?

Dörrenberg: Im internationalen Vergleich sind die Vermögen in Deutschland eher ungleich verteilt, anders als bei der Einkommensverteilung, da liegen wir im Mittelfeld.

Hängt das auch damit zusammen, dass die Vermögensteuer in Deutschland seit 1997 nicht mehr erhoben wird?

Dörrenberg: Das lässt sich nur schwer beantworten, denn wir müssten ja wissen, wie sich die Vermögensverteilung entwickelt hätte, wenn der Staat die Steuer nicht ausgesetzt hätte.

Philipp Dörrenberg

  • Philipp Dörrenberg wurde am 10. November 1984 in Ratingen (NRW) geboren.
  • Dörrenberg ist seit 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre.
  • Der Volkswirt arbeitete zuvor an der Universität Köln und am ZEW Mannheim .
  • Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der empirischen Analyse von Steuerwirkungen. was

Der Ökonom Marcel Fratscher hat ausgerechnet, dass der Fiskus 80 bis 120 Milliarden Euro pro Jahr mehr einnehmen könnte, wenn wir die Vermögen ähnlich besteuern würden wie in den USA, Frankreich oder Großbritannien. Warum macht Deutschland das nicht?

Dörrenberg: Ich zweifele die Zahlen meines Kollegen natürlich nicht an. Aber klar ist auch: Eine solche Besteuerung hätte auch ökonomische Auswirkungen. Die Befolgungskosten wären jedenfalls sehr hoch.

Befolgungskosten?

Dörrenberg: Die Betroffenen müssten ja dann jedes Jahr eine Vermögensteuererklärung abgeben. Das mag für die meisten Leute, die ein Haus und ein Auto besitzen, einfach sein. Wenn es aber um Betriebsvermögen geht, wird es haarig. Bei Unternehmen, die am Aktienmarkt gelistet werden, ist das kein Problem, da lässt sich der Wert einfach ermitteln. Bei den anderen ist das viel schwieriger. Klar ist allerdings, dass der überwiegende Teil der Vermögensteuer bei den Allerreichsten anfallen würde.

Da hält sich mein Mitleid wirklich in Grenzen.

Dörrenberg: Das glaube ich Ihnen. Dennoch gebe ich zu bedenken: Das Verhältnis zwischen dem Jahresgewinn und dem Unternehmenswert beträgt oftmals circa zehn Prozent. Eine Vermögensteuer von einem Prozent ...

... das wäre nicht besonders viel ...

Dörrenberg ... würde dann den Jahresgewinn eines Unternehmens nach Steuern um ein Zehntel mindern. Das ist kein Klacks.

Der Mannheimer Ökonom Philipp Dörrenberg warnt vor einer Wiederauflage der Vermögensteuer in Deutschland. © Tsvetina Tsonkova

Die Unternehmen würden deshalb nicht pleitegehen.

Dörrenberg: Das habe ich auch nicht gesagt. Dieses Argument würde ich mir auch nie zu eigen machen. Aber wenn der Staat für Unternehmen de facto eine Gewinnsteuer von zehn Prozent einführen würde, hätte das unangenehme Folgen für die Wirtschaft. Höhere Steuern senken die Investitionstätigkeit. Für ein Land wie die Bundesrepublik, in dem die Wirtschaft schon das dritte Jahr stagniert, wäre die Wiedereinsetzung der Vermögensteuer daher meines Erachtens der falsche Weg. Hinzu kämen die ganzen Bürokratiekosten für die Unternehmen, die müssten ja jedes Jahr den Vermögenswert neu bemessen. Dabei haben sie mit der ausufernden Regulatorik ohnehin schon genug zu tun.

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Ein weiteres Reizthema ist die Erbschaftsteuer. Sogar in der CDU gibt es Politiker wie zum Beispiel Jens Spahn, die die derzeitige Regelung ändern wollen. Kein Wunder, obwohl die geschätzte Gesamtsumme des vererbten oder verschenkten Vermögens bei rund 400 Milliarden Euro liegt, hat der Staat 2023 nur 13 Milliarden Euro eingenommen.

Dörrenberg: Das ist in der Tat viel zu wenig. Die ganz Reichen werden in Deutschland ja von der Erbschaftsteuer mehr oder weniger verschont, weil sie ihr Kapital hauptsächlich in Betriebsvermögen angelegt haben. Und da gibt es in der Tat zu viele Schlupflöcher.

Sie sprechen jetzt von der Verschonungsbedarfsprüfung.

Dörrenberg: Genau. Wer 25 Millionen oder weniger Euro erbt, muss im Idealfall gar keine Steuern zahlen, wenn er das Unternehmen mehrere Jahre nicht verkauft und keine Mitarbeiter entlässt. Ab 26 Millionen Euro fällt gar keine Steuer an, wenn der Erbe kein Geld auf dem Konto hat. Da ist im Laufe der Jahre aus einem Ausnahmetatbestand der Regelfall geworden.

Sie meinen, die Reichen nutzen dieses Schlupfloch gnadenlos aus?

Dörrenberg: Eine Kollegin von mir hat mal gesagt: Erbschaftsteuer zahlen nur die armen Reichen. Ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber das so beabsichtigt hat.

2024 haben reiche Firmenerben nur rund 1,5 Prozent Steuer bezahlt, wie aus einer Untersuchung des Netzwerks Steuergerechtigkeit hervorgeht.

Dörrenberg: Wie gesagt, die Praxis der Verschonungsbedarfsprüfung muss geändert werden.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht, das sich mit dem Thema ja beschäftigt, da reingrätschen wird.

Dörrenberg: Ich bin Ökonom, kein Jurist. Klar ist für mich aber, dass wir schon aufpassen müssen, dass ein Erbe sein Unternehmen nicht verkaufen muss, damit er die fällige Steuer zahlen kann.

Das klingt jetzt nach Originalton Stiftung Familienunternehmen.

Dörrenberg: Moment mal, ich bin kein Lobbyist. Der Fiskus könnte ja sagen: Du musst die Erbschaftsteuer zahlen, kannst sie aber abstottern in einem Zeitraum von zehn Jahren. Und wenn der Firmenerbe mal ein ganz schlechtes Jahr hat und statt Gewinn Verlust machen, darf er ein Jahr aussetzen. Außerdem würde ich generell die Freibeträge erhöhen, dann aber auch die Ausnahmen auf ein Mindestmaß begrenzen.

Wer drei Häuser erbt, zahlt Erbschaftsteuer, ab 301 aber keine. Ist das nicht irrwitzig?

Dörrenberg: Natürlich. Deshalb nochmal: Die Freibeträge müssen hoch, aber klar ist, dass Erbschaftsteuer gleichermaßen für alle Vermögensarten gezahlt werden muss. Egal, ob für drei oder 301 Häuser.

Die Debatte über eine Reform der Erbschaftsteuer geht jetzt ja schon ewig. Sehr Reiche haben die Zeit genutzt und ihr Betriebsvermögen an die Kinder überschrieben. Nach Angaben des Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge waren es allein bei 90 Kindern zwischen 2011 und 2014 knapp 30 Milliarden Euro.

Dörrenberg: Auch bei der Schenkungsteuer muss der Staat nachbessern. Die bisherige Regel, wonach Schenkungen unterhalb der Freibeträge alle zehn Jahre steuerfrei sind, muss geändert werden. In anderen Ländern gibt es einen Festbetrag, zum Beispiel zwei Millionen Euro. Den darf man dann über die gesamte Lebenszeit steuerfrei verschenken. Das Erbe wäre dann aber voll steuerpflichtig. Wird der Festbetrag aber nicht ausgeschöpft, bleiben die ersten zwei Millionen im Erbfall steuerfrei.

Lobbyisten warnen davor, dass die Reichen auswandern könnten, wenn der Staat sie zu sehr schröpft. Ist das nur Augenwischerei?

Dörrenberg: In der Schweiz können die Kantone die Vermögensteuer ja selbst festlegen. Da gibt es dann schon Effekte, wenn ein Kanton zu sehr am Steuerrad dreht. Aber es wandern natürlich nicht alle aus. Außerdem kann der Staat ja auch eine Wegzugsteuer erheben. Ich glaube ohnehin, dass auch viele Reiche in der Bundesrepublik ihr Land lieben und es deshalb nicht verlassen werden.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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