Mannheim. Trotz ihrer 25 Dienstjahre kann sich Claudia Fath, Richterin am Arbeitsgericht Mannheim, an keinen vergleichbaren Fall erinnern. „Ich habe die Sache tagelang durchdacht, ohne mir zumindest eine vorläufige Meinung dazu bilden zu können“, erklärte sie am Mittwoch bei einem Gütetermin. Die Chancen auf den Ausgang des Rechtsstreits befindet sie daher auf „50:50“, zudem könne der Fall in den verschiedenen Rechtsinstanzen ganz unterschiedlich bewertet werden.
Geklagt hat ein langjähriges Betriebsratsmitglied des Softwarekonzerns SAP, dem Anfang August fristlos gekündigt worden war. Hintergrund sind Rundschreiben, die er über eine interne Kommunikationsplattform an die Belegschaft verschickt hat. Darin ging es unter anderem um vier einzelne Fälle, in denen Mitarbeitern eine angeblich fällige Beförderung verwehrt worden sein soll.
Das Betriebsratsmitglied vermutet dahinter eine Systematik der Geschäftsführung, um Geld zu sparen und prangerte das in den Rundschreiben entsprechend an. Sogar den eigenen Betriebsratsmitgliedern warf er in diesem Zusammenhang eine subversive Zusammenarbeit mit dem Management vor. Martin Gerhardt, Geschäftsführer der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der den Betriebsrat bei seiner Klage auf Wiedereinstellung vertritt, kann daran nicht Schlimmes finden: „Wer soll Kritik üben, wenn nicht der Betriebsrat?“, argumentierte er. Das sei fraglos sehr pointiert geschehen, „aber sonst ändert sich eben nichts“.
Bereits zweimal abgemahnt
Natürlich stehe die Meinungsfreiheit außer Frage, entgegnete Barbara Reinhard, Rechtsanwältin der SAP. Allerdings setzen sich die Veröffentlichungen „teilweise aus unwahren, in jedem Fall stark polarisierenden und aggressiven Verdächtigungen und Vorwürfen gegen Mitarbeiter zusammen“. Die Geschäftsführung habe einschreiten müssen, schon weil eine „Fürsorgepflicht“ für die Belegschaft bestehe. Deshalb sei das Betriebsratsmitglied vor der Entlassung bereits zweimal abgemahnt worden, das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig zerstört.
Auch der besondere Kündigungsschutz, der in Deutschland für Betriebsräte gilt, helfe in diesem Fall nicht weiter. Zum einen, weil der Schritt nicht im Zusammenhang mit dem Mandat stehe, meint Reinhard. Zum anderen habe der zuständige Ausschuss im Betriebsrat der Kündigung seines Mitglieds ausdrücklich zugestimmt.
Die interne Kommunikation im Unternehmen sei kein „rechtsfreier Raum“, erinnerte die Juristin. Wenn bei den angesprochenen Beförderungen wirklich etwas schief gelaufen sein sollte, hätte er „auf den Arbeitgeber zugehen“ müssen, anstatt die Rundschreiben zu verschicken. „Das hat er ja versucht“, entgegnete Gerhardt. „Aber er wurde ausgebremst.
Und so steht Richterin Fath einigermaßen ratlos da. „Natürlich darf ein Betriebsrat kritisieren, auch pointiert“, ist sie überzeugt. Die Frage, ob dabei eine Grenze überschritten wurde, sei aber nur sehr schwer abzuschätzen. Sollte es zum Prozess kommen, bliebe ihr letztlich nur die Möglichkeit, die vier Mitarbeiter, denen angeblich die Beförderung verweigert wurde, als Zeugen zu laden. „Nur so ließe sich klären, ob es intern wirklich Regelverstöße gab“, so die Richterin.
Aber sie bezweifelt, dass dafür ein Gerichtsverfahren die richtige Plattform bietet. Fath bringt daher einen externen Mediator ins Spiel. Zwei Wochen haben die Parteien nun Zeit, über diesen Vorschlag zu entscheiden. Prinzipiell sei man dafür offen, sagte Reinhard. Ähnlich sieht es Gerhardt. Allerdings müsse geklärt werden, wie das Betriebsratsmitglied die Zwischenzeit finanziell überbrücken solle.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mediation gefragt