Libanon - Zahl der Toten nach Explosion in Beirut steigt / Internationale Teams suchen nach Überlebenden / Zehntausende Kinder obdachlos

Hafen-Vertreter festgenommen

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dpa
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Deutsche Zivilschutz-Mitarbeiter inspizieren Trümmer am Ort der massiven Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut. Nach der Detonation wird weiterhin nach Opfern und Überlebenden gesucht. © dpa

Beirut. Drei Tage nach der verheerenden Explosion in Beirut sind Verantwortliche des Hafens der libanesischen Hauptstadt festgenommen worden. Dazu zählten Zoll-Chef Badri Dahir, dessen Vorgänger Schafik Mirhi und Hafen-Direktor Hassan Kuraitim, meldete die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA am Freitagabend.

Die Entscheidung sei im Zuge von Ermittlungen zu den Hintergründen der Explosion getroffen worden, hieß es weiter. Bereits am Vorabend waren 16 Hafen-Mitarbeiter festgenommen worden. Nach Justizangaben wurden bislang 18 Personen vernommen. Bei den Ermittlungen hat sich zudem die internationale Polizeiorganisation Interpol eingeschaltet und unterstützt die örtlichen Behörden mit Experten. Dabei gehe es etwa um die Identifizierung von Opfern, teilte Interpol mit.

In einem Rennen gegen die Zeit haben Rettungshelfer unterdessen nach weiteren Überlebenden der Explosion gesucht – und bargen dabei noch mehr Opfer aus den Trümmern. Die Zahl der Toten stieg auf 154, wie das libanesische Gesundheitsministerium erklärte. Rund 5000 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten könnte weiter steigen, weil noch viele Schwerverletzte auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen. Hilfsorganisationen warnen, die Kliniken seien überlastet.

Wut auf die Regierung

Die Suche nach Überlebenden kam nur langsam voran. Kräne und Bulldozer versuchten, große Trümmerteile zu räumen. Das libanesische Rote Kreuz schätzt, dass noch rund 100 Menschen vermisst werden. Dabei soll es sich vor allem um Hafenarbeiter handeln. Angesichts der massiven Zerstörung gebe es Zweifel, noch Überlebende zu finden, sagte ein Helfer. „Aber wir haben noch immer Hoffnung.“

Internationale Teams waren an der Suche beteiligt, darunter auch das Technische Hilfswerk (THW). Ein Krisenunterstützungsteam (KUT) der Bundeswehr sollte am Freitag in Beirut eintreffen.

Deutsche Rettungshelfer zeigten sich vom Ausmaß der Zerstörung in Beirut schockiert. „Das Einsatzgebiet ist wirklich riesig“, sagte die THW-Sprecherin Georgia Pfleiderer aus dem Einsatzgebiet der Deutschen Presse-Agentur. Die Schäden seien immens. „Was hier an Gebäuden stand, das waren ja richtige Hochregallager und Großgebäude, die liegen alle in Trümmern. Das ist wirklich eine Dimension, die ist echt atemberaubend.“ Ihr bisher fünfter THW-Einsatz im Ausland sei „vom Ausmaß des Schadens das Größte, was ich bisher gesehen habe“.

Infolge der Explosion wurden rund 80 000 Kinder obdachlos, sagte die Sprecherin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Marixie Mercado. Viele Haushalte hätten begrenzt Wasser und Strom. Zudem gebe es Berichte, dass über 120 Schulen beschädigt worden seien. Beiruts Gouverneur hatte erklärt, es könnten bis zu 250 000 Menschen obdachlos geworden sein.

An der Absperrung zum Hafen versammelten sich auch wütende Einwohner, darunter Angehörige von Vermissten. Sie riefen: „Diese Regierung hat versagt“. „Die Explosion war am Dienstag, und sie arbeiten noch immer langsam“, sagte ein Demonstrant. „Wenn noch Lebende unter den Trümmern festgesessen haben, dann sind sie jetzt tot.“

Die Wut vieler Libanesen auf die Regierung und die politische Elite ist groß. Sie machen die Führung für die Explosion verantwortlich und werfen ihr grobe Fahrlässigkeit vor. Die heftige Explosion soll durch große Mengen Ammoniumnitrat ausgelöst worden sein, die seit Jahren ohne Sicherheitsmaßnahmen im Hafen gelagert wurden.

In der Nacht auf Freitag kam es in Beirut vereinzelt zu Protesten. Aktivisten haben für Samstag zu weiteren Demonstrationen aufgerufen, die nach der Beerdigung von Opfern beginnen sollen. Vereinzelt wird im Libanon auch öffentlich nach der Verantwortung der einflussreichen schiitischen Hisbollah für die Explosion gefragt. Die Iran-treue Organisation ist an der Regierung beteiligt und bildet im Libanon einen Staat im Staate. Ihre Macht sehen viele als unantastbar. Der Bruder von Ex-Regierungschef Saad Hariri, Baha Hariri, sagte nach Angaben lokaler Medien, die Hisbollah kontrolliere den Beiruter Hafen. Nichts komme dort ohne sie hinein und hinaus.

Die zyprischen Behörden befragten Igor Gretschuschkin, den früheren Besitzer eines Frachtschiffes, das 2013 große Mengen Ammoniumnitrat nach Beirut gebracht haben soll. Die Befragung sei auf Antrag der libanesischen Polizei geschehen, wie ein Sprecher der zyprischen Polizei mitteilte. dpa