Ski Nordisch - Bei der WM in Oberstdorf sind die Springer vor dem Start in die zweite Hälfte der Wettkämpfe die große Zugmaschine

Geigers Show als Motivation

Von 
Th. Eßer, P. Reichardt
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Karl Geiger holte bislang Einzel-Silber und war maßgeblich am Gewinn der Gold-Medaille im Mixed-Wettbewerb beteiligt. © dpa

Oberstdorf. Das hollywoodreife Spektakel am Schattenberg soll Gastgeber Deutschland so richtig Schwung verleihen. Ausgerechnet Oberstdorfs Lokalheld Karl Geiger prägte mit zwei euphorisch gefeierten Medaillen das erste WM-Wochenende vor seiner Haustür und avancierte nach komplizierten Tagen zum großen Mutmacher für die zweite Halbzeit des Nordischen Ski-Spektakels. „Das nimmt extrem viel Druck“, sagte der völlig gelöste Bundestrainer Stefan Horngacher mit Blick auf die kommenden Aufgaben. Das Selbstvertrauen ist dank Silber für Geiger im Einzel und dem furiosen Gold-Coup im Mixed-Team plötzlich zurück – nicht nur beim Erfolgsgaranten aus dem Allgäu.

Geigers Kumpel Markus Eisenbichler, der nach seiner ersten von drei möglichen erfolgreichen Titelverteidigungen mit Geiger, Katharina Althaus und Anna Rupprecht ausgelassen jubelte, schaut nun ebenfalls optimistisch auf die Herausforderungen an der von der Tournee bekannten Großschanze. Er und Kumpel Geiger gehören am Freitag wieder zum Kreis der Edelmetall-Anwärter.

„Wir beide können die Große extrem gut springen“, sagte Eisenbichler voller Überzeugung. Horngacher sprach davon, dass man nun „viel lockerer an die Sache herangehen“ könne. Bevor die Flugkünstler in die finale Vorbereitung auf das Einzel und den Mannschaftswettbewerb am Samstag starten, freuten sie sich auf einen – bis auf einen Corona-Test – komplett freien Ruhetag. „Entspannen, ausschlafen“, so fasste Eisenbichler seinen simplen Regenerationsplan zusammen.

Zum Höhepunkt in Top-Form

Wie schon bei den Titelkämpfen in Tirol vor zwei Jahren, finden die Adler des Deutschen Skiverbandes pünktlich zum Saisonhöhepunkt ihre Topform und zeigen Nervenstärke. „Ein Großereignis ist immer etwas Besonderes, das hat seine eigenen Regeln“, sagte Geiger, der um eine Erklärung des Phänomens bemüht war.

„Die Favoriten geraten oftmals unter Druck“, sagte der 28-Jährige und ergänzte mit Bezug auf den im Gesamtweltcup meilenweit enteilten Norweger Halvor Egner Granerud: „Beim Halvor merkt man, er versucht es besonders gut zu machen, und dann macht er Fehler.“

Die Erfolge der Springer überdeckten ein wenig, dass es an den ersten WM-Tagen bei Traumwetter vor malerischer Bergkulisse in den anderen Disziplinen alles andere als optimal gelaufen war. Die erfolgsverwöhnten Nordischen Kombinierer holten zwar Silber mit der Mannschaft, waren gegen die überragenden Norweger aber chancenlos und schafften es im Einzel von der Normalschanze nicht auf das Podest.

Zwar ist DSV-Präsident Franz Steinle mit der sportlichen Zwischenbilanz nach eigenen Angaben vom Montag „in Summe zufrieden“ und freute sich auch darüber, dass die engmaschige Teststrategie bei fünf Corona-Fällen in der ersten Wettkampfwoche funktioniere. Doch schon vor der zweiten WM-Woche zeichnet sich deutlich ab, dass das deutsche Team an die Ausbeute der Gold-Festspiele von Seefeld (sechs Titel, dreimal Silber), Lahti 2017 (sechsmal Gold, dreimal Silber, zweimal Bronze) und Falun 2015 (5/2/1) diesmal nicht herankommen wird.

Gute Podest-Chancen haben nur die Nordischen Kombinierer und die Skispringer in ihren insgesamt noch vier Wettbewerben. „Wir sind so stark, dass wir eine Medaille gewinnen wollen, wenn wir an den Start gehen“, sagte Kombi-Bundestrainer Hermann Weinbuch. Zumindest im Einzel von der Großschanze wäre Gold aber eine große Überraschung.

Langläufer ein Totalausfall

Bei den Langläufern käme jeder Podiumsplatz einer Sensation gleich. Die Loipen-Cracks sind medaillentechnisch erwartungsgemäß ein Totalausfall. Selbst auf der rund drei Kilometer vom Skisprungstadion entfernten Strecke sollen Geigers Flugshows nun aber die entsprechende Wirkung entfalten.

„Wenn ein Skispringer wie der Karl eine Medaille macht, der einen langen Leidensweg hinter sich hat, der ganz viele frustrierende Momente erlebt hat in seiner Karriere: Sowas motiviert“, sagte Langlauf-Teamchef Peter Schlickenrieder. „Das zeigt: Hey, es lohnt sich. Hartnäckigkeit zahlt sich aus, irgendwann platzt der Knoten.“

Der 51 Jahre alte Outdoor-Enthusiast bleibt trotz der alles andere als optimalen ersten WM-Woche zuversichtlich. „Diese Anlaufschwierigkeiten hat ein deutsches Team öfter gehabt“, sagte er. „Jetzt gilt es, die Arschbacken zusammenzukneifen und das Beste rauszuholen!“ dpa