Wien. Es gibt Spieler, die einer Mannschaft mehr geben als nur ihre rein sportliche Qualität. Weil sie eine Persönlichkeit sind. Eine besondere Ausstrahlung haben. Vielleicht sogar als Orientierungspunkt gelten. Auf Johannes Bitter trifft all das zu. Seitdem die deutsche Handball-Nationalmannschaft am 2. Januar zusammengekommen ist, gehört der Schlussmann zu den Führungsfiguren, was auf den ersten Blick ein wenig verwundert. Denn der Keeper war 2011 aus dem Nationalteam zurückgetreten und nur 2014 für die zwei WM-Play-off-Spiele gegen Polen zurückgekehrt, ansonsten aber der DHB-Auswahl fern geblieben. Er ist theoretisch gesehen also eher ein Neuling in der deutschen Mannschaft, in der Realität sieht es aber ganz anders aus. Nämlich so, als sei der 37-Jährige nie weg gewesen.
Bitter behielt die Ruhe, als es in der EM-Vorrunde schlecht lief. Explizit auch für ihn und seinen Kollegen Andreas Wolff. Dann half er seinem Partner zwischen den Pfosten aus dem Tief, ehe der Routinier selbst beim 34:22 über Österreich 54 Prozent der Würfe auf sein Tor abwehrte. Eine Weltklasseleistung.
„Das war fantastisch. Er bringt das ganze Turnier über schon eine hervorragende Aura in diese Mannschaft“, lobte Prokop den Weltmeister von 2007, der beim Bundesligisten TVB Stuttgart spielt, große Erfolge mit dem HSV Hamburg feierte (Pokalsieger 2010, Meister 2011, Champions-League-Gewinner 2013) und sich als Vertreter von Wolff längst für die Olympischen Spiele in Position gebracht hat - eine erfolgreiche Qualifikation im April vorausgesetzt.
„Ich glaube, dass Andi und ich Werbung für uns als Team gemacht haben. Es fühlt sich alles toll an, es könnte noch ewig so weitergehen“, schwärmte Bitter, der sich 2011 aus der DHB-Auswahl zurückgezogen hatte, um sich um die Familie zu kümmern. Mittlerweile sind die Kinder des Schlussmannes sechs, neun und elf Jahre alt. Als ihr Papa 2007 WM-Gold holte, bekamen sie es gar nicht mit oder waren noch nicht geboren.
Kinder fiebern mit
„Jetzt ist zuhause Halligalli. Ich bekomme so viele Nachrichten von meinem Sohn wie lange nicht mehr. Er will wissen, was wir machen. Ich soll ihm Bilder schicken“, berichtete Bitter schon kurz vor der EM und freute sich, dass seine Kinder ihn nun erstmals für Deutschland spielen sehen und vor allem verstehen, warum ihm dieser Sport so viel bedeutet: „2013 hatte ich den Champions-League-Pokal zwei Tage bei uns zuhause. Mein ältester Sohn meinte letztens zu mir: ,Papa, wir haben damit gespielt und konnten das damals gar nicht einschätzen.’ Nun verstehen sie, wie wichtig der Handball für mich ist, sie realisieren es.“
Und vor allem sehen die Kinder, wie gut ihr Vater immer noch ist, wobei die Formulierung „gut“ seiner Leistung nicht gerecht würde. Der gebürtige Oldenburger gehört schlichtweg immer noch zu den Allerbesten. „Ohne Bitter“, glaubt DHB-Vize Bob Hanning, „würde Stuttgart in Konstanz oder Rimpar spielen.“ Also in der 2. Liga.
Keine Frage: Der 37-Jährige ist so etwas wie die Lebensversicherung der Schwaben. Aber um zu verstehen, wie wertvoll dieser Mann für den schwäbischen Erstligisten ist, reicht wie auch bei der Nationalmannschaft ein reiner Blick auf die Zahlen nicht aus. Denn die Statistiken verraten nur, wie gut er auf dem Feld ist. Sie sagen aber nichts über seine Bedeutung für die Mannschaft aus. Bitter selbst will seine Rolle indes gar nicht überbewerten, er nimmt sie lieber mit einem Augenzwinkern an: „Ich habe drei Söhne, von daher weiß ich, wie man junge Leute führen kann.“