Brauchen sich die europäischen Bildungsbürger mal gar nichts darauf einbilden. Sollen sie doch altgriechisch parlieren oder aus dem Stand Ovids Metamorphosen rezitieren: Letztlich hängen sie der Vergangenheit nach. Bisschen alte Steine bei den Griechen anschauen, sich noch mal der Geschichte des Römischen Reiches gewahr werden und dazu einen edlen Tropfen toskanischen Rotweins genießen. Es ist die eurozentristische Vorstellung von Bildung und Genuss.
Den Brückenbauern der Fifa sei gedankt, dass sie sich um die Erweiterung des Kulturbegriffs verdient machen wollen. In den hiesigen Standardwerken werden die Männer und Frauen des Fußball-Weltverbandes als korrupte Machtmenschen beschrieben, deren eigenes Wohl über allem steht. Als Beweis gilt die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2022 nach Katar. Nur weil der Fußball dort gleichzusetzen ist mit der Rolle der Frau oder der Gastarbeiter (gleichgültig), heißt das noch nicht, dass lediglich die persönliche Bereicherung den Hauptgrund bei der Vergabe gespielt hat. Der Fußball soll wachsen. Überall! Dem fühlt sich die Fifa verpflichtet.
Dem gemeinen mitteleuropäischen Erdenbürger kann es egal sein, an welchem Ende der Welt dem Ball nachgejagt wird. Katar oder Kaimaninseln, Hauptsache Kleinststaat.
Die Fifa wirbt nun offensiv um Fans, die doch bitte in der Vorweihnachtszeit nach Katar reisen sollen. Bei der ersten Weltmeisterschaft in der arabischen Welt könne man „besonders viel vom Gastgeberland sehen“, schreibt der Verband. Was ja stimmt, da das Gastgeberland nun wirklich klein ist. Das Saarland passt gerade vier Mal rein. Anders als im alten Europa bilden sich die Kataris nichts auf verfallenes historisches Mauerwerk ein. Rom wurde nicht an einem Tag gebaut? Lächerlich! Die Insel „The Pearl“ wurde flugs aufgeschüttet und trotzt den Gezeiten, während das Kolosseum vor sich hin modert. Dazu noch die herrschaftlichen Hütten der Gastarbeiter, die zeigen werden, wie fürsorglich mit Rangniederen umgegangen wird. Wem sich der Nacken vor lauter Hochhäusern noch nicht versteift hat, dem wird nahegelegt, „mehrere Spiele pro Tag zu besuchen“. Kultur und Sport! Mens sana in ...
Dass die Fifa da noch nicht früher darauf gekommen ist. Fußball-EM in Malta, Frauenfußball-WM im Kloster Ettal, das ist die Zukunft! Nicht eine Männer-WM in Kanada, Mexiko und USA, wie sie 2026 stattfindet. Was sich die Fifa nur dabei gedacht hat?
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar WM in Katar: Boykott ist der falsche Weg