Fußball - Warum Florian Kohfeldt nach Wolfsburg passen und anders als Thomas Schaaf auch außerhalb Bremens funktionieren könnte

Grün-weiße Trainer-Lehre

Von 
Frank Hellmann
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Für Trainer Florian Kohfeldt geht es gleich in die Vollen: Am Samstag steht das Liga-Spiel in Leverkusen an, danach das Champions-League-Duell mit Salzburg. © dpa

Wolfsburg/Bremen. Fast einen ganzen Sommer hatte sich Florian Kohfeldt ziemlich rar gemacht. Klar, in Bremen-Schwachhausen bekamen ihn die Nachbarn noch zu Gesicht, aber ansonsten wollte da einer nach dem Abstieg des SV Werder erkennbar Abstand von der bisweilen überdrehten Fußball-Branche gewinnen. Keine Interviews, keine Fernsehauftritte. Erst im September, als Amazon Prime aus einem Studio in Köln die Dienstagspiele der Champions League präsentierte, tauchte der Fußballlehrer wieder auf. Im beigefarbenen Anzug, mit weißen Sneakers und gesunder Gesichtsfarbe. Es war eigentlich nicht wichtig, was Kohfeldt als Experte sagte, sondern das Signal kam rüber: Da ist einer wieder bereit, mitzureden. Und siehe da: Seit Dienstag ist der 39-Jährige neuer Trainer beim VfL Wolfsburg. Nach vielen Gesprächen mit einer Auswahl möglicher Kandidaten ist die Wahl recht rasch auf den Familienvater gefallen.

Rhetorisch erstklassig

Dass Kohfeldt („Ich musste nicht lange überlegen, diese Herausforderung anzunehmen“) in den Unterredungen mit Sportdirektor Marcel Schäfer und Geschäftsführer Jörg Schmadtke punkten konnte, verwundert kaum: Rhetorisch ist der in Siegen geborene, in Delmenhorst vor den Toren Bremens sozialisierte Coach fraglos erstklassig. Für beide Seiten ist die bis 2023 beschlossene Zusammenarbeit Chance und Risiko. Mit seiner zupackenden Art wird der bislang nur bei Werder Bremen arbeitende Kohfeldt bei den VfL-Profis schnell Gehör finden. Das war schon seine große Stärke bei seinem Heimatverein, dessen Fan Kohfeldt vielleicht sogar Zeit seines Lebens bleiben wird. Wer schon in der dritten Mannschaft der Bremen-Liga auf Amateurebene das Werder-Tor gehütet, das gesamte Vereinsgebilde durchleuchtet und die familiäre Atmosphäre schätzen gelernt hat, behält diese Prägung. Vielleicht war das in den beiden Krisenjahren auch seine größte Schwäche: seine unerschütterliche Überzeugung, dass alles bei den Grün-Weißen noch gut werde, konnte am Ende kaum noch einer hören. Bis zu seiner Freistellung vor dem letzten Spieltag der Vorsaison galt er im Bremer Mikrokosmos vielen dennoch als Sympathieträger; wurde aber außerhalb der Hansestadt wegen seines vielen Reklamierens oder einer bisweilen besserwisserischen Attitüde kritischer gesehen. Ihn als Verursacher des Werder-Abstiegs anzusehen, wäre allerdings ungerecht, denn der wegen der Finanznot ausgeblutete Kader war vor allem deshalb am Ende kaum noch bundesligatauglich, weil der auch jetzt wieder unter Beschuss stehende Manager Frank Baumann bei zu vielen Personalentscheidungen falsch gelegen hatte. Kohfeldt schaffte nach seiner Beförderung zum Cheftrainer im November 2017 nicht nur locker den Klassenerhalt, sondern spielte – dank Individualisten wie Max Kruse – mit Werder 2018/2019 gleich um die Europapokalplätze und den Einzug ins DFB-Pokalfinale.

Ihn zum DFB-Trainer des Jahres 2018 und damit als Prototypen einer neuen Trainergeneration zu verklären, ging vielleicht ein bisschen schnell. Deshalb ist die Station Wolfsburg für ihn jetzt so wichtig. Er habe gar lange überlegen müssen, die Herausforderung anzunehmen, sagte Kohfeldt, der dem Bundesliga-Absteiger Werder rund 1,5 Millionen Euro Gehalt erspart und für den VW-Club nicht mal die Vereinsfarben wechseln muss. Am Mittellandkanal kann er mit einem qualitativ deutlich besseren Spielermaterial als am Osterdeich seine eigentlich offensiv geprägte Philosophie ausleben. Die Vorliebe für ein 4-3-3, für Ballbesitzfußball kann er endlich wieder umsetzen. „In dieser Mannschaft steckt viel Qualität und Dynamik“, hat Kohfeldt gesagt. Er will die kurze Zeit bis zum ersten Spiel vor allem nutzen, um viele Gespräche zu führen und sich einen Überblick zu verschaffen.

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Es geht gleich in die Vollen: Erst das Bundesliga-Spiel bei Bayer Leverkusen (Samstag 15.30 Uhr), dann das Champions-League-Heimspiel gegen Red Bull Salzburg (Dienstag 20.45 Uhr). Die Station im östlichen Niedersachsen wird auch sein ganz persönlicher Lackmustest. Funktioniert der Coach außerhalb Bremens, stehen ihm viele Türen offen. Der bis heute an der Stadtgrenze privat verwurzelte Thomas Schaaf, nur zur Erinnerung, hat weder bei Eintracht Frankfurt noch Hannover 96 auch nur ansatzweise an seine Werder-Erfolge anknüpfen können. Aber er war auch ein ganz anderer Typ. Kohfeldt ist dank seiner offenen Art mehr zuzutrauen – abgetaucht ist er vielleicht genau zur richtigen Zeit.